Nov 01, 2016

Welcher Präsident, welches Amerika?

Was der Wahlkampf über das politische System der USA aussagt

Bei der US-Präsidentschaftswahl am 8. November geht es um mehr als Personen: Der US-Wahlkampf zeigt die Polarisierung zwischen und in den Lagern und den Hass auf das Establishment. Werden Kompromisse noch schwieriger? Was passiert in der US-Außenpolitik? Jürgen Trittin, MdB, Dr. Daniela Schwarzer, Professor James D. Bindenagel und Dr. Josef Braml gaben ihre Einschätzungen bei einer Podiumsdiskussion der DGAP und des Inforadio (rbb).

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Bei Inforadio (rbb) können Sie das Gespräch hier nachhören.

Skandalisierung im Wahlkampf

Kann Trump gewinnen? „Es ist nicht wahrscheinlich, aber es ist möglich“, so James Bindenagel. Kleine Wähleranteile in Swing States könnten den Ausschlag geben. Trumps Systemkritik mache ihn trotz seiner Fehltritte zum Sprachrohr für die Wut vieler US-Bürger, die sich aus der wirtschaftlichen Lage und Identitätssorgen ergebe. „Was sind eigentlich die Maßstäbe, an denen politisches Handeln gemessen wird?“, fragte Jürgen Trittin. Statt sachliche Debatten zu führen, werde skandalisiert; die Vorwürfe gegen Clinton hätten wenig Substanz, während Trumps Fehlverhalten nicht zu leugnen sei.

Polarisierung und Geldinteressen

„Brutalität in der Rhetorik, Polarisierung, Ausschweifen nach sehr weit rechts und sehr weit links“, alles Phänomene, die Daniela Schwarzer im Wahlkampf beobachtete. Trump habe im Vorwahlkampf mit seiner Anti-Establishment-Rhetorik von einer republikanischen Basis profitiert, die sich von Washingtoner Eliten lossagt. Jürgen Trittin warf ein, dass Sanders im deutschen Vergleich als Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises der SPD durchgehen würde. Trump hingegen sei das Erzeugnis einer Partei, die sich mit Aufkommen der Tea Party-Bewegung und deren Kompromisslosigkeit selbst zerstöre. „Die Wahlfinanzierung ist das Kernproblem“, so Josef Braml. Die Tea Party sei Produkt einer Kampagne von Milliardären. Auch die US-Bevölkerung sehe den Einfluss von Geldinteressen negativ, was Trump dank des mit seinem Reichtum einhergehenden Nimbus der Unabhängigkeit nutze.

Erwartungen nach der Wahl

„Damit es keinen Staat gibt, der Steuern erhöhen oder regulieren könnte“, fließe Geld auch in Kongresswahlkämpfe, so Braml. Selbst bei einem Sieg Clintons sei daher innenpolitisch mit einer Blockade zu rechnen.

Außenpolitisch genieße der neue Präsident große Handlungsräume, doch auch bei Clinton sei unklar, ob sie Obamas zurückhaltenden Kurs fortführen würde. „Außenpolitisch wäre Trump die Einleitung einer Ära der völligen Unberechenbarkeit“, warnte Jürgen Trittin. Er könne nach Scheitern seiner innenpolitischen Pläne versuchen, Legitimierung aus außenpolitischer Eskalation zu gewinnen. Laut James Bindenagel lehnten viele republikanische Experten Trump ab. Es sei somit unklar, wer zu seinem Beraterkreis gehören würde. Josef Braml sah in Trumps Kurs Parallelen zum amerikanischen Isolationismus.

James Bindenagel erwartete eine Krise, sollte Trump das Wahlergebnis nicht anerkennen, aber keine erfolgreiche Anfechtung. Daniela Schwarzer sagte, dass „die Trennung der Medien“ zur Polarisierung im Wahlkampf beigetragen habe, und sich das Möglichkeitsspektrum politischer Positionen erweitert habe – dies werde nach der Wahl negativ auf die Kompromissfähigkeit in den USA wirken. Für Josef Braml stand die Rolle der USA als liberaler Hegemon unabhängig vom Wahlausgang infrage. Trump, aber auch Sanders, hätten selbst Clinton zu Globalisierungskritik bewegt.

Wirkung der politischen Bilanz Obamas im Wahlkampf

Jürgen Trittin unterstrich, dass die USA besser aus der Finanzkrise gekommen seien als die Eurozone im Schnitt, und Obama das Land vom unilateralen Kurs George W. Bushs weggeführt habe. „Wer von Obama enttäuscht ist, hat nicht verstanden, wie groß die Probleme waren, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat“, pflichtete Josef Braml bei. Daniela Schwarzer sagte, dass sich das Engagement von Barack und Michelle Obama positiv auf Clintons Wahlkampf ausgewirkt habe, auch wenn einzelne Initiativen in der Gesellschaft umstritten seien. James Bindenagel nannte Michelle Obamas Rolle gar „wahlentscheidend“.

Reformperspektiven

Mit Blick auf die Debattenkultur der USA betonte Jürgen Trittin, dass Europa angesichts eigener Probleme mit Rechtspopulisten nicht rechthaberisch auftreten dürfe. Nichtsdestotrotz müssten die USA ihre Kompromissfähigkeit wiedererlangen. James Bindenagel sah bei der politisierten Wahlkreisgestaltung Reformbedarf. Auf eine (Neu)Besetzung des Supreme Court, die eine Reduktion von Geldeinflüssen ermöglichen könnte, hoffte Josef Braml. 

Dietmar Ringel, Moderator des Inforadio (rbb), führte das Gespräch.

Jürgen Trittin ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Daniela Schwarzer ist Otto Wolff-Direktorin des Forschungsinstituts der DGAP.

James D. Bindenagel ist Henry-Kissinger-Stiftungsprofessor am Center for International Security and Governance der Reihnischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Dr. Josef Braml ist Leiter der Redaktion und Geschäftsführender Herausgeber des DGAP-Jahrbuchs.

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