Gemeinsame Gedenkfeiern, unterschiedliche Erinnerungskultur

100 Jahre Erster Weltkrieg in Deutschland und Frankreich

Hundert Jahre nach der deutschen Kriegserklärung an Frankreich erin-nern Bundespräsiden Joachim Gauck und Frankreichs Präsident François Hollande am 3. August an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die beiden Präsidenten werden die Gedenkfeier auf dem Hart-mannswillerkopf im Elsass ganz unterschiedlich wahrnehmen, erklärt die Historikerin Élise Julien in einer aktuellen DGAPanalyse. Denn in Deutschland und Frankreich haben sich unterschiedliche Erinnerungs-kulturen entwickelt.

Eine gemeinsame deutsch-französische oder gar europäische Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg existiere nicht, zeigt die französische Dozentin in der Studie „Asymmetrie der Erinnerungskulturen“ auf. Während den meisten Menschen in Deutschland der Erste Weltkrieg eher als Vorbedingung für den Zweiten bekannt ist, sei la „Grande Guerre“ in Frankreich viel stärker im kollektiven Bewusstsein verankert.

Die Vorbereitungen auf das hundertjährige Gedenkjahr heben den ungleichen Stellenwert des Ersten Weltkrieges hervor. Die Französische Regierung bereitet seit Anfang 2012 mit einer interministeriellen Koordination das offizielle Gedenkprogramm zum „Centenaire“ vor. In Deutschland gibt es seit Anfang 2013 im Auswärtige Amt mit Andreas Meitzner, aus der Abteilung Kultur und Kommunikation, einen diplomatischen Ansprechpartner. „Dies war jedoch eher eine Antwort auf die Nachfrage aus anderen Ländern als ein Entwurf eines offiziellen Gedenkprogramms“, meint Julien.

Die Kluft zwischen den Wahrnehmungen habe man bereits am 11. November 2009 beobachten können, als Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkfeier zum Ende des Ersten Weltkriegs am Pariser Triumphbogen teilnahm. Die Rede vom damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy verwies ausführlich auf den Ersten Weltkrieg und die Schwierigkeit, Frieden zu schaffen. Merkels Rede hingegen verband den Ersten Weltkrieg direkt mit dem Fall der Mauer, bevor sie den Bogen über die deutsch-französische Versöhnung und ihre Bedeutung für die europäische Einigung schlug.

Als Mitherausgeberin des Projekts „1914-1918-online“ warnt Élise Julien davor, anachronistische Fehlschlüsse über die erst viel später stattfindende europäische Einigung zu ziehen. Sie hoffe allerdings, dass „das Weltkriegsgedenken zumindest dazu dient, den Frieden auf dem Kontinent bewusst wahrzunehmen und die Gelegenheit erneuert, die deutsch-französische Freundschaft zu feiern.“


Zum Download:
DGAP-Analyse 2014 Nr. 13
Asymmetrie der Erinnerungskulturen. Der Erste Weltkrieg in Frankreich und Deutschland
von Élise Julien

(Link ab dem 30.6.): https://dgap.org/de/think-tank/publikationen/dgapanalyse/asymmetrie-der-erinnerungskulturen

Élise Julien ist Dozentin an Sciences Po Lille und forscht am Institut de Recherches en Historiques du Septentrion (CNRS/Université de Lille). Sie ist außerdem Mitglied im wissenschaftlichen Rat der „Mission interministérielle du Centenaire“, des wissenschaftlichen Rats des „Historial de la Grande Guerre“ (Péronne) und Herausgeberin des Projekts „1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War“ (Freie Universität Berlin)

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