Der Zufall will es, dass derzeit zwei parlamentarische Delegationen für denselben Termin eine Reise nach Iran planen: Am kommenden Sonntag werden sowohl drei Abgeordnete des Deutschen Bundestages als auch vier Mitglieder des Europäischen Parlaments in Teheran erwartet. In den Medien haben diese Pläne einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Neben einigen EU-Parlamentariern meldeten sich auch zwei US-Senatoren zu Wort. Der Vorwurf: Der Besuch untergrabe die aktuelle internationale Sanktionspolitik und stärke das iranische Regime durch parlamentarische Aufwartung.
Den Abgeordneten in Berlin wie Brüssel stellen sich dieselben Fragen: Inwieweit darf und sollte parlamentarische „Nebenaußenpolitik“ generell von der offiziellen Linie der Regierung abweichen? Und wie verhält es sich im speziellen Fall des Iran?
Der internationale parlamentarische Austausch ist lang etablierte Praxis. Seit über 120 Jahren kommen Abgeordnete fast aller Länder im Rahmen der Interparlamentarischen Union zusammen und tauschen sich darüber hinaus auch bilateral aus. Dass dies traditionell auch die Volksvertretungen weniger bis undemokratischer Staaten einschließt, zeigt die langjährige Existenz von „Freundschaftsgruppen“ im Bundestag etwa mit Belarus, China, den Maghrebstaaten und den Ländern Zentralasiens. Begründen lässt sich diese Zusammenarbeit damit, dass Abgeordnete auf direkte Informationen angewiesen sind, um ihre Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle exekutiver Außenpolitik erfüllen zu können. Darüber hinaus sind Delegationsreisen und Parlamentarische Versammlungen legitime Foren des internationalen Meinungsaustauschs – auch außerhalb der Regierungskontakte sowie abseits der offiziellen Regierungslinie. Immerhin sind die Delegationen fraktionsübergreifend und mit Blick auf die individuellen Interessen der Abgeordneten besetzt. Dies sind auch die gängigen Argumenten der reisewilligen Abgeordneten, die sich der heftigen Kritik angesichts ihres Besuchs in Iran erwehren müssen.
Der Kritik nach zu urteilen scheint für viele eine Reise in den Iran erst nach der Ablösung des derzeitigen Regimes richtig zu sein. Doch das widerspricht dem grundlegenden Gedanken der zwischenparlamentarischen Zusammenarbeit. Ob der Besuch die aktuelle EU-Sanktionspolitik tatsächlich untergräbt und sich die Parlamentarier vom iranischen Regime instrumentalisieren lassen, hängt von der richtigen Strategie ab. Einen Beweis dafür hat unlängst UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon angetreten, dessen Teilnahme am Gipfel der Blockfreien Staaten in Teheran im August ebenfalls sehr umstritten war. Aufgrund des universalen Anspruchs der Vereinten Nationen hatte er sich eine Absage - trotz Kritik aus Israel und den USA – kaum leisten können. Daher entschied er sich für eine offensive Strategie: Seine deutlichen Worte zur miserablen Menschenrechtssituation in Iran sowie seine Mahnung zur Kooperationspflicht des Landes in der Nuklearfrage missfielen dem Gastgeber ebenso wie sie ihm internationalen Respekt einbrachten.
Wenn die deutschen und europäischen Parlamentarier über eine ähnliche Strategie verfügten, wäre ihre Reise gerechtfertigt. Ausreichend Anknüpfungspunkte für eine offene Debatte bietet beispielsweise der jüngste UNO-Bericht zur Menschenrechtslage in Iran, der auch die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung thematisiert. Doch eine solche politische Linie ist bislang weder in Berlin noch in Brüssel zu erkennen. Das lässt die Reise tatsächlich fragwürdig erscheinen.
Am Ende könnte den Parlamentariern hüben wie drüben ein anderer Zufall zu Hilfe kommen: An diesem Freitag entscheidet das Europäische Parlament über die diesjährige Vergabe des Sacharow-Preises für geistige Freiheit. Zu den Kandidaten gehören auch zwei inhaftierte Iraner: die Anwältin Nasrin Sotoudeh und der Filmemacher Jafar Panahi. Sollte der EU-Menschenrechtspreis erstmals einer Iranerin oder einem Iraner verliehen werden, wäre das für die Volksvertreter ein Geschenk: Entweder hätten sie ein Thema für ihre Reise gefunden, das sie kraftvoll vor Ort vertreten könnten, oder die iranische Regierung sagt die Besuche ihrerseits ab und gibt sich damit selbst eine politische Blöße.
Für die Zukunft gilt aber, dass die Abgeordneten wie auch die jeweiligen Parlamente insgesamt die außenpolitische Ausübung des freien Mandats gerade bei wenig demokratischen Ländern wie Iran besser vorbereiten müssen. Denn auf Zufälle zu hoffen, kann keine Strategie ersetzen.
Cornelius Adebahr ist Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zurzeit pendelt er zwischen Teheran und Berlin. Der Text erschien auch auf tagesspiegel.de.