Integration und Immigration, und damit stark verzahnt Sicherheit, blieben während des gesamten Quinquennats von Präsident Nicolas Sarkozy für die Regierung, aber auch für die Opposition und insbesondere für den Front National (FN), dem die Politik der Regierung nicht weit genug ging, zentrale und zudem stark mediatisierte Themenbereiche. Besonders hervorzuheben sind dabei die Auflösung von Roma-Lagern und die Abschiebung ihrer Bewohner sowie die weiterhin ungelöste Situation der sogenannten „Sans papiers“, den Ausländern, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung auf französischem Territorium befinden. Zudem haben die großen internationalen Ereignisse der letzten Monate, und insbesondere der arabische Frühling, die Frage der illegalen Einwanderung und der Abwesenheit einer kohärenten europäischen Politik in diesem Feld auf eine schmerzhafte Weise zurück auf den Tisch gebracht.
Auch die Reform des Schengen-Vertrags ist spätestens seit der Rede von Nicolas Sarkozy in Villepinte zentrales Thema der Debatte. Der derzeitige Präsident fordert eine Strukturreform des Schengen-Abkommens: Die Außengrenzen Europas müssen besser kontrolliert werden. Sollte ein Staat diese Aufgabe nicht erfüllen, muss er sanktioniert oder suspendiert werden. Sollte Europa es nicht schaffen, die Einwanderung besser zu kontrollieren, drohte Sarkozy darüber hinaus mit einem einseitigen Ausstieg. Inwiefern es sich bei diesen Forderungen um Wahlkampfmethodik handelt oder aber um eine neue europapolitische Ausrichtung Frankreichs, ist diskutierbar. Sie zeigen jedoch abermals die Signifikanz der Immigrationsdebatte im französischen Wahlkampf auf.1
Positionen zur legalen Einwanderung
Im Bereich der legalen Zuwanderung wird von den Parteien in erster Linie die Frage des Familiennachzugs gestellt. Dabei lässt sich, wie zu vermuten, zwischen dem rechten und dem linken politischen Spektrum eine klare Divergenz zwischen der Forderung nach einem Verbot bis hin zur Forderung einer Aufweichung der bestehenden Regeln feststellen.
Der FN attackiert in seinem Programm explizit die seiner Meinung nach gescheiterte Einwanderungspolitik Sarkozys. Dabei bleibt die Partei ihrer traditionellen Argumentationslinie treu und verweist darauf, dass legale Einwanderung zu Gehaltssenkungen und zur Schaffung von Ghettos beitrage. Auch legal Eingewanderte würden zu einem hohen Anteil eine Belastung für die Gemeinschaft darstellen. Dementsprechend sollte die Anzahl der legalen Einwanderer pro Jahr durch zwanzig geteilt werden und somit auf 10 000 reduziert werden. Ein Familiennachzug soll verhindert werden. Während einer Fernsehdebatte am 5. März sprach auch Nicolas Sarkozy davon, die Einwandererzahlen zu halbieren. Der FN fordert ebenfalls eine Ausweisung der Einwanderer, die ihre Arbeit verlieren. Als wolle man möglichen Kritikern im Voraus ein Aus setzen, bietet die Partei an, alle bisher bezahlten Sozialbeiträge in Form von Kapital an die Betroffenen auszuzahlen. Die Regierungspartei Union pour un Mouvement Populaire (UMP) fordert in ihren bisher vorliegenden Wahlvorschlägen zunehmend strengere Regeln: dazu gehört eine bessere Kontrolle der Konditionen des Familiennachzugs; ein fester Wohnsitz und ein ausreichendes Einkommen sollen nachgewiesen werden.
Die Grünen (Europe Ecologie-Les Verts) hingegen fordern, wie der Front de gauche, eine Aufweichung genau dieser Regeln, die als Hindernis der Familienzusammenführung angesehen werden. Die legalen Zuwanderer sollten zudem als Bürger mit vollen Rechten wahrgenommen werden, und in einem zweiten Schritt sollte ihnen der Zugang zur französischen Staatsbürgerschaft erleichtert werden. Auch der Parti socialiste (PS) argumentiert in diese Richtung und fordert das lokale Wahlrecht nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in Frankreich ein, eine Maßnahme, die auch von den Grünen befürwortet, von der UMP jedoch vehement abgelehnt wird.
FN, PS, der Front de Gauche und die Grünen stellen weiterhin die Frage nach der Form und Dauer von Aufenthaltsgenehmigungen. Während der FN eine Eingrenzung der maximalen Aufenthaltsdauer von zehn Jahren verlangt, wünschen sich der PS und die Grünen eine Reform des CESEDA (code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile): Die Politik sollte kohärenter gestaltet werden. Eine Steigerung in der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen von vorerst einem Jahr, dann drei und dann zehn Jahren würde die Situation der legalen Einwanderer erleichtern. Frankreich benötige des Weiteren mehr Flexibilität bei den Aufenthaltsgenehmigungen für Studenten und Saisonarbeiter. Der Front de Gauche geht sogar einen Schritt weiter und möchte eine einheitliche Aufenthaltsgenehmigung von zehn Jahren einführen.
Hochqualifizierte Arbeitskräfte: kein Wahlkampfthema
Obwohl die sogenannte „Circulaire [Rundschreiben] des 31. Mai“ des französischen Innenministers Claude Guéant stark mediatisiert wurde, fällt die Frage der Immigration hochqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland im Wahlkampf kaum ins Gewicht. In diesem Rundschreiben wurden die Präfekturen dazu aufgefordert, das Verfahren zur Änderung des Aufenthaltsstatus, in diesem Fall von einem Studentenvisum zu einem Arbeitsvisum für Nicht-EU-Bürger, einer strengeren Kontrolle zu unterziehen. Dies führte zu einer Verzögerung bzw. Ablehnung einiger Dossiers von Ausländern, die ihr Studium in Frankreich und zumeist sogar in den französischen Eliteschmieden absolviert hatten. Trotz einer Aufweichung der Bestimmungen, konnte die Situation bis heute nicht gelöst werden.
Nur der FN und der PS äußern sich in ihren Programmen zu der Frage der Arbeitskräfte aus dem Ausland: Der FN fordert eine „nationale Priorität“ für die Besetzung von Arbeitsplätzen. Im selben Atemzug äußert sich die Partei ebenfalls gegen das Prinzip einer „positiven Diskriminierung“, obwohl diese jedoch de facto nicht die Personen mit einem Arbeitsvisum betrifft, sondern Franzosen mit Migrationshintergrund. Der PS fordert dagegen eine Aufweichung der Kriterien für ein Arbeitsvisum und argumentiert mit nichtbesetzten Stellen in einigen Sektoren des Arbeitsmarktes.
Was passiert mit den „Sans Papiers“?
Im Frühjahr 2011 drängte sich die Frage der „Sans Papiers“, d.h. der Personen, die sich ohne gültigem Visum auf französischem Territorium befinden, aufgrund der arabischen Revolutionen wieder in die Medien. Schon in den vergangenen Jahren schafften es die „papierlosen“ Arbeitskräfte auf die Titelseiten der französischen Presse, als sie gegen ihre Situation als Arbeitnehmer ohne „Arbeitsverträge“ und ohne Aussicht auf Legalisierung demonstrierten. Als nach dem arabischen Frühling dann vermehrt „papierlose“ Tunesier in der Hoffnung auf Arbeitsplätze nach Frankreich kamen, mussten sich die Parteien erneut mit dieser Problematik auseinandersetzen. Entsprechend weitreichend und konkret sind daher auch die Vorschläge der einzelnen Parteien.
Wie zu erwarten, fordert die FN eine systematische Ausweisung der „Papierlosen“. Ein illegal Eingewanderter sollte auch im Nachhinein nicht die Möglichkeit erhalten, seinen Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Des Weiteren soll den „Sans papiers“ das Versammlungsrecht entzogen werden, sicherlich eine Anspielung auf die Streiks von 2009 und 2010. Gefordert wird darüber hinaus auch eine Konditionalität hinsichtlich der Entwicklungshilfe, die sich auf die Wiederaufnahme von illegalen Immigranten in ihre Herkunftsländer bezieht. Interessanterweise wird dieser Vorschlag auch von der UMP geteilt. Die harte Linie, die die Partei in diesem Themenfeld seit 2007 fährt, wird bestätigt. So fordert auch die UMP, dass Aufenthaltsgenehmigungen nur nach einer legalen Einreise ausgestellt werden können.
Der PS und die Grünen treten dagegen für die Regulierung der Situation der „Papierlosen“ unter bestimmten Voraussetzungen ein. So können ein fester Arbeitsplatz und Kinder im schulpflichtigen Alter wichtige Kriterien für eine Aufenthaltsgenehmigung darstellen. Der Front de Gauche fordert die „Entkriminalisierung“ der Situation der Illegalen und die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen, da sich die Personen nur durch die sehr strenge Politik der aktuellen Regierung in dieser Lage befänden.
Asylpolitik: ein Thema für die Europäische Union
Zu der Frage, welche Asylpolitik Frankreich in den kommenden Jahren verfolgen sollte, werden nur wenige Vorschläge gemacht. Wie zu erwarten, fordert der FN weniger Genehmigungen von Asylanträgen, eine Maßnahme, die der Argumentation des Front de Gauche gegenübersteht. Die Partei von Mélenchon möchte, dass Asylpolitik nicht mit der allgemeinen Einwanderungspolitik und somit den Einwanderungsquoten gleichgesetzt wird. PS und UMP sind sich der Notwendigkeit einer Reform der Asylpolitik bewusst. Die UMP verlangt diesbezüglich schnellere und gerechtere Entscheidungen, mit dem Ziel, sich dem Recht der europäischen Nachbarn anzupassen. Die PS hält den Abschluss des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für unabdingbar.
Schlussfolgernd ist dieser Links-Rechts-Wahlkampf zum Thema Einwanderung vor allen Dingen dadurch gekennzeichnet, wie Einwanderung wahrgenommen wird. So wird sie im rechten Spektrum eher als potentielle Bedrohung, im linken Spektrum als Chance gesehen. Ein interessantes Beispiel hierfür ist die Frage, welchem Ministerium die Verantwortung für das Dossier übergeben werden soll. Während die Verantwortung zurzeit beim Innenministerium liegt, möchte die Partei MoDem ein Ministerium für Gleichheit (Ministère d’Egalité) einzurichten. Die Partei „Europe Ecologie-Les Verts“ fordert eine Übertragung der Kompetenzen an das Justiz-, Außen- und Arbeitsministerium, die den verschiedenen Herausforderungen der Einwanderungspolitik kompetenter gegenübertreten könnten.
Nele Wissmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen am Institut francais des relations internationales (Ifri) und Projektbeauftragte des „Deutsch-französischen Zukunftsdialogs“.
- 1Im Folgenden werden die bisherigen Stellungnahmen der Parteien UMP, PS, Front de Gauche, Europe Ecologie-Les Verts und Front National analysiert. Die Partei MoDem wird bei diesem Überblick nicht genannt. Der Kandidat François Bayrou hat zu dem Thema Einwanderung bisher nur vereinzelt Vorschläge gemacht.