„Als Mitglied in einem Club muss man auch Beiträge zahlen“

Generalleutnant Mark P. Hertling über die aktuellen Pläne des Pentagons

Die Neuausrichtung der US-Verteidigungsstrategie hin zum pazifischen Raum und die Haushaltskürzungen haben die Befürchtung genährt, Amerika könne sich aus Europa zurückziehen. „Wir bleiben mit glaubwürdigen Kräften in Europa,“ hält Mark P. Hertling, Oberkommandierender der US-Truppen in Europa, dem entgegen. Allerdings müssten auch die europäischen Verbündeten ihren Verpflichtungen nachkommen. „Manche Länder kämpfen wirklich oberhalb ihrer Gewichtsklasse. Andere nicht.“

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Herr General, die Vereinigten Staaten haben das 21. Jahrhundert zum „pazifischen Jahrhundert“ erklärt. Washington will sich sicherheitspolitisch künftig stärker auf den pazifischen Raum konzentrieren. Welchen Platz hat Europa noch in diesen Planungen?

Ich kenne die Debatte über „das pazifische Jahrhundert“. Vielleicht sollten wir aber besser von einem „globalen Jahrhundert“ sprechen. Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton tun nichts anderes als Aufmerksamkeit auf Asien zu lenken, eine Region, die bisher zu wenig beachtet wurde. Und europäische Politiker haben mir in vielen Gesprächen bedeutet, dass sie dies für richtig halten, nicht nur für die USA, sondern auch für Europa, auf das asiatische Länder ja auch einwirken. Die USA verfolgen also eine umfassende, globale Strategie: Es geht darum, dass wir nicht nur auf den Nahen und Mittleren Osten schauen und dann vielleicht noch auf Europa. Wir müssen die Welt als Ganzes in den Blick nehmen und unsere Schwerpunkte vielleicht ein bisschen verlagern.

Was bedeutet das für Europa? Europa wird unser Partner bleiben. Wir wollen unsere bestehenden, sehr tragfähigen Allianzen weiterführen – in strategischer ebenso wie in militärischer Hinsicht. Viele europäische Länder haben in letzten Jahren beträchtliche militärische Fähigkeiten aufgebaut, nicht zuletzt durch ihr Engagement  im Irak und vor allem in Afghanistan. Als Allianz können wir heute mehr leisten als noch vor zehn Jahren. Amerikanische Truppen können mit ihren europäischen Verbündeten noch enger zusammenarbeiten, insbesondere mit den Streitkräften von Staaten, die früher dem Ostblock angehörten.

Viele sind allerdings besorgt wegen des hohen Schuldenstands der USA und der geplanten Einsparungen im US-Haushalt, die auch den Etat des Pentagon betreffen. Der frühere Chef der Vereinigten Stäbe, Admiral Mike Mullen hat die Staatsverschuldung als „größte Gefahr für die Sicherheit“ der Vereinigten Staaten bezeichnet ...

... ja, aber ich stimme da nicht mit ihm überein. Ein starkes Land, das seine Macht erhalten will – vor allem als Akteur, der bestimmte Werte verkörpert –, braucht natürlich eine stabile finanzielle Grundlage. Aber es bedarf noch mehr: eines schlagkräftigen Militärs und einer handlungsfähigen Diplomatie. All das gehört zusammen. Sich nur auf einen dieser Aspekte zu konzentrieren wäre falsch. Ich denke, dass unser neuer Chef der Vereinigten Stäbe, General Martin Dempsey, die Aussage von Admiral Mullen schon ein bisschen relativiert hat. Selbstverständlich müssen wir der wirtschaftlichen Lage mehr Aufmerksamkeit schenken, in den USA, aber auch in Europa und weltweit.

Dabei sollten wir mitdenken, dass sich zwei Konflikte, Irak und Afghanistan, dem Ende zuneigen, und es gehört zu unserer strategischen Kultur, nach dem Abschluss von Konflikten unsere Truppenstärken stets zu reduzieren. Und unsere Militärstrategen und Politiker fragen bereits: Was machen wir in den Jahren 2014 bis 2020? Welche militärischen Fähigkeiten benötigen wir künftig? Welchen Umfang sollten unsere Streitkräfte haben? Brauchen wir vielleicht weniger Truppen, die Bedrohungen anderer Natur begegnen? Inwieweit können wir uns bestimmte Dinge noch leisten oder müssen uns anpassen? All diese Fragen sind jetzt in der Diskussion. Und zum ersten Mal seit Jahrhunderten schauen wir voraus während sich unsere Streitkräfte noch im Krieg befinden, weil wir wissen, dass das notwendig ist.

Sind die USA in der Lage, eine ausreichende Truppenstärke in Europa aufrecht zu erhalten, als Defensivkräfte beispielsweise gegenüber Russland oder Iran?

Die Antwort ist: ja. Wir werden mit glaubhaften Kräften in Europa präsent bleiben. Inwieweit dienen diese der Abwehr von Gefahren? Das hängt vom jeweiligen Bereich ab. In Sachen Raketenabwehr: sicherlich ja, ebenso bei Cyberattacken. Bei Terrorismus, organisiertem Verbrechen oder Menschenhandel? Da müssen wir als freie Gesellschaften natürlich sorgsam abwägen, wie wir militärische Kräfte einsetzen, wenn es um die Bekämpfung neuartiger Bedrohungen geht, jenseits traditioneller Konflikte und an der Schnittstelle zu polizeilichem Handeln. Kurzum, wir werden unseren Verbündeten in Europa auch weiterhin mit militärischen Kräften beistehen: Wir müssen Bedrohungen, die es früher nicht gab, etwas entgegensetzen, und gleichzeitig abschrecken und unsere Verbündeten absichern, wie wir es immer getan haben.

Was sagen Sie zu den jüngsten Debatten, ob Europa und vor allem Deutschland die transatlantische Partnerschaft mit den USA überhaupt noch als außen- und sicherheitspolitische Priorität betrachten? Müsste Deutschland nicht einen höheren Beitrag leisten?

Ich kann das nicht aus der politischen Perspektive beurteilen. Ich kann Ihnen nur aus der Warte des Oberkommandierenden der US-Armee in Europa sagen, was ich sehe und höre. Zwei unserer Verteidigungsminister haben sehr klar gesagt: Wenn man Mitglied in einem Club ist – und dieser Club heißt NATO – dann muss man auch seine Mitgliedsbeiträge zahlen und bestimmte Pflichten übernehmen. Nun gibt es einige Länder, die ihren Verpflichtungen nachkommen, und andere, die dies nicht tun. Dazu genügt ein Blick auf die Verteidigungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt.

Als Armeegeneral schaue ich aber noch auf etwas anderes: Und da sehe ich, dass viele europäische Länder einen beträchtlichen militärischen Beitrag leisten in den Konflikten, in den denen wir uns engagieren: im Kosovo, in Zypern, Afghanistan, im Irak oder in Nordafrika. Manche Länder kämpfen da wirklich oberhalb ihrer Gewichtsklasse. Andere nicht. Das Potenzial für Beiträge zur Allianz, zu Out-of-Area-Einsätzen, selbst zu den Anforderungen des Artikel 5, dem kollektiven Verteidigungsfall, sollten wir weiterhin analysieren und prüfen: Stellen die einzelnen Mitgliedstaaten das jeweils Richtige mit ihren Streitkräften an? Aus eigener Anschauung, von meinen Besuchen bei den Armeen unserer Partner, weiß ich: Es gibt einige Länder, die wirklich mehr tun könnten. Andere leisten Überdurchschnittliches: bei den Einsätzen, bei der Modernisierung und Professionalisierung ihrer Armeen. Jedes Land versucht wohl, sein Bestes zu tun, aber bei einigen mangelt es, ehrlich gesagt.

Im Libyen-Konflikt hielten sich die USA als kriegführende Partei zurück. Die Rede war vom „leading from behind“. Werden wir Washington in dieser Rolle künftig öfter erleben?

Das hängt ganz vom nationalen Interesse ab. Ich bin kein Fan der Formulierung des „leading from behind“. Vielmehr haben die an der Libyen-Operation beteiligten Länder getan, was sie konnten. Wir, die USA, standen nicht an vorderster Front, aber ich meine, wir haben gute Arbeit geleistet. Vieles spielt sich ja bei so einer NATO-Operation in der Tat hinter den Kulissen ab. Müssen die USA immer führen? Oder sollten wir nicht manchmal die Verantwortung teilen, wenn es im Interesse der Partner liegt? In dieser Hinsicht kann man den Libyen-Einsatz schon als beispielhaft betrachten.

[Interview: Henning Hoff, Joachim Staron]

Generalleutnant Mark P. Hertling folgte einer Einladung des ‚Berliner Forum Zukunft’ (BFZ) des Forschungsinstituts der DGAP zum Hintergrundgespräch am 31. Januar 2012.

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