Die aktuellen Proteste in Iran machen einmal mehr deutlich: Es sind die jahrzehntelang systematisch unterdrückten Frauen des Landes, die für Wandel stehen – und streiten. Und weil im männerdominierten System kein Platz für frei denkende, sich nicht den islamischen Vorschriften beugende, gar ihr Kopftuch verbrennende Frauen ist, schlägt das Regime mit aller Härte zurück. Wie schon bei den Unruhen 2009 und 2017/18 geht es ums Ganze: um den Fortbestand der Islamischen Republik, die das Tragen des Schleiers in der Öffentlichkeit zu einem Grundpfeiler ihres Selbstverständnisses erhoben hat.
Außenministerin Baerbock bestellt iranischen Botschafter ein
So eindeutig dieser Fall „toxischer Männlichkeit“ ist, so schwer tut sich feministische Politik damit, wirksame Mittel im Umgang mit einem solchen autoritären Staat zu finden. Zwar haben die EU-Mitgliedstaaten das Vorgehen der iranischen Regierung am Wochenende scharf verurteilt, worauf Außenministerin Baerbock noch die Forderung nach Sanktionen gegen die Verantwortlichen sattelte – und den iranischen Botschafter in Berlin einbestellte. Gleichwohl verlangte die CDU/CSU-Opposition im Bundestag eine deutlichere Positionierung und sprach, ungewöhnlich für eine Partei mit einem anerkannten Männerproblem, von einem „harten Realitätscheck“ für die feministische Außenpolitik. Es steht die Vermutung im Raum, bei den Europäern walte Rücksichtnahme gegenüber Teheran angesichts der stockenden, aber eben noch nicht abgebrochenen Verhandlungen zu einer Rückkehr zum Atomabkommen von 2015.
Stellt hier etwa eine den Fortschritt wagen wollende Ampelkoalition mit feministischem Ansatz etwaige sicherheitspolitische Belange über Menschen- und Frauenrechte?
Was ist feministische Außenpolitik?
Ganz so leicht ist es nicht, denn auch in der Frage nach der angemessenen Reaktion auf die Proteste dominieren die Grauzonen internationaler Politik. Das liegt zum einen daran, dass es zwar ein theoretisches Grundgerüst feministischer Außenpolitik gibt, dieses aber erst seit wenigen Jahren und bislang nur von einzelnen Ländern – und oftmals nicht vollumfänglich – umgesetzt wird. Es gibt also nur wenig gelebte feministische Praxis, auf die man sich berufen könnte. Zum anderen ist auch Deutschland weit davon entfernt, auswärtiges Handeln in einem ganzheitlichen Sinne von Diplomatie, Entwicklung, Sicherheit und Wirtschaft sowie als eng mit inneren Belangen verwoben anzuerkennen. Selbst wenn also die vom Auswärtigen Amt formulierte Politik feministisch wäre, gäbe es noch die von anderen Häusern verantworteten Bereiche, die einer anderen Denklogik folgen (könnten).
Beginnen wir aber mit den Prinzipien: Der feministische Ansatz stellt das Wohl aller Menschen, vor allem aber benachteiligter Bevölkerungsgruppen – wozu überall auf der Welt Frauen gehören – in den Vordergrund. Dafür beleuchtet er existierende Machtstrukturen kritisch, besteht auf einem umfassenden – also über die Abwesenheit von Gewalt hinausgehenden – Verständnis von Sicherheit und drängt auf die Handlungsfähigkeit (agency) von Frauen und anderen ausgegrenzten Gruppen. Hierfür will er vor allem strukturelle Ungleichheiten, die oftmals als Konflikttreiber wirken, beseitigen – ob diese nun zwischen den Geschlechtern bestehen oder sich aus anderen (ethnischen, sozialen oder religiösen) gesellschaftlichen Gegensätzen speisen.
Allein als „Brille“ verstanden, mit der man bekannte Konflikte auf – im Wortsinne – unkonventionelle Weise betrachten kann, stellt dieser Ansatz bereits einen Mehrwert dar. Denn damit zählen beispielsweise beim russischen Überfall auf die Ukraine nicht nur die schweren Waffen und möglichen Kriegsziele des Kremlherrschers, sondern auch, wie Dritte die ukrainische Zivilbevölkerung unterstützen und dem humanitären Völkerrecht zur Durchsetzung verhelfen können. Diese Aspekte mitzudenken und zu mit bestehenden Mitteln adressieren ist eine echte Investition in den späteren Wiederaufbau, um die Traumata des Krieges wenigstens ansatzweise abzumildern.
Die praktische Anwendung feministischer Außenpolitik steht seit dem von Schweden gemachten Auftakt 2014 im Lichte von Rechten, Repräsentanz und Ressourcen (den sogenannten „3R“). Es geht also darum, dass alle Menschen ihre verbrieften Rechte wahrnehmen können, sie adäquat in Entscheidungsgremien repräsentiert sind und ihren Belangen ausreichend Ressourcen zugedacht sind. Die Bundesregierung ergänzt diesen Ansatz um die Förderung von Diversität in allen drei Bereichen, will also die gelebte Vielfalt in der Analyse berücksichtigen, bei Entscheidungen abbilden und in der Praxis umsetzen.
Wie sollte Deutschland reagieren?
Aus diesem Anspruch soll nun Wirklichkeit werden, während Russland einen Krieg vom Zaun gebrochen hat, die Klimakrise durch eine veritable Energiekrise verschärft wird, und die Coronapandemie noch immer nicht gebannt ist. Anders gesagt: Das Regierungsschiff muss im Sturm auf hoher See repariert, oder vielmehr: umgebaut werden. Dabei wird klar, wie eng verbunden innen und außen in der Welt sind, während die Politik mit ihrer Ressortverteilung – in Deutschland verstärkt durch die Koalitionslogik – separat zu behandelnde Sphären annimmt.
Diesem Umbau unter veränderten geopolitischen Vorzeichen eine Richtung zu geben, obliegt jedoch nicht der feministischen Außenpolitik, sondern ist Aufgabe der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie, die zum Jahresende vorliegen soll. Darauf hatte sich die Koalition schon vor dem Ukrainekrieg, aber passend zum dadurch besiegelten Ende der europäischen Sicherheitsordnung verständigt. In breiten Konsultationen sowohl innerhalb der Regierung als auch mit Wissenschaft und Bevölkerung kristallisiert sich ein Fokus auf eine breit definierte, „integrierte Sicherheit“ als Leitlinie für die gesamte Bundesregierung heraus.
An dieser Stelle muss auch feministische Außenpolitik ansetzen. Denn ihre langfristige Wirkung entscheidet sich nicht dort, wo sie punktuell in den Vordergrund gestellt wird – sei es bei Mädchenbildung in Afghanistan oder beim Schutz vor sexualisierter Gewalt in Konflikten weltweit. Vielmehr wird sie dadurch wirkmächtig, dass feministische Grundprinzipien – vom Beseitigen struktureller Ungleichheiten bis hin zum Befähigen besonders benachteiligter Gruppen – in allgemeine Politik übersetzt werden. Das bedeutet auch und gerade, dass etablierte Denkmuster hinterfragt und eingefahrene Handlungsweisen neu ausgerichtet werden müssen. Merke: Ein Strategiedokument macht noch keinen Wandel.
Was also könnte feministische Außenpolitik konkret im Falle Irans heißen, wo nun die Menschen trotz Lebensgefahr auf die Straßen gehen? Auch hier gilt es, zwei Vorbehalte vorwegzuschicken: Zum einen verfügt der feministische Ansatz, weil er auf langfristige strukturelle Veränderungen zielt, bislang noch über kein gesondertes Instrumentarium für kurzfristige Interventionen. Ein Teil der Antwort besteht also in der – unbefriedigenden – Gegenfrage, was die Politik in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren hätte anders machen müssen, um jetzt nicht an diesem Punkt zu stehen – und diese Maßnahmen dann in Zukunft und bei vergleichbaren Fällen zu verfolgen.
Die meisten dieser Dinge können nur die Iraner selbst erreichen
Zum anderen sollten Deutschland und Europa nicht der Illusion verfallen, sie könnten – direkt und in einem positiven Sinne – in den inneren Konflikt eines Drittlandes eingreifen. Kann die Bundesregierung den iranischen Sicherheitskräften Einhalt gebieten? Können Deutschland, Frankreich und Großbritannien – die mit Iran über das Nukleardossier verhandeln – die Internetsperren aufheben und das Mobilfunknetz wieder in Gang bringen, damit die Protestierenden sich besser koordinieren können? Kann die EU-Kommission Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und vor Gericht bringen?
Die meisten dieser Dinge können nur die Iranerinnen und Iraner selbst erreichen, zumal jede allzu deutliche Einmischung von außen als gesteuerter Umsturz gedeutet werden könnte, von denen die Region bereits zu viele hatte. An vielen Stellen helfen zivilgesellschaftliche Netzwerke, ob bei der Organisation von individueller Unterstützung, mit praktischen Hinweisen zum Umgang mit den Sicherheitskräften oder bei der Aufarbeitung von Gewalt und Verbrechen. Diese brauchen Förderung jedoch nicht ad hoc, sondern auf lange Sicht, um Strukturen aufbauen zu können und dauerhaft wirksam zu sein.
Warum symbolische Reaktionen wichtig sind
Bleiben die symbolischen – aber deshalb in der Politik nicht weniger wichtigen – Handlungen: Öffentliche demonstrierte Solidarität, damit die Menschen in Iran wissen, wer an ihrer Seite steht; die deutliche Positionierung gegenüber iranischen Regierungsvertretern, wo solche Kontakte weiterhin bestehen; und das Versprechen, in Zukunft eine bessere, umfassende und am Wohl der gesamten Gesellschaft ausgerichtete Außenpolitik zu machen – all das ist nicht nichts.
Denn feministische Außenpolitik fängt immer bei der eigenen Position an. Das heißt auch: Geht es beim Drang, „etwas zu tun“, mehr um das Gefühl, selbst auf der richtigen Seite zu stehen? Wie müsste dieses „etwas“ aussehen, um wirklich etwas Positives für den anderen und nicht nur für einen selbst zu bewirken? Was muss ein Land wie Deutschland grundsätzlich anders machen, um nicht bestehende Ungleichheiten zu zementieren, sondern Freiheit, menschliche Sicherheit und Menschenrechte zu fördern?
Diese harten Fragen zu beantworten ist Anliegen des feministischen Ansatzes – egal, wer gerade in Iran oder anderswo gegen Ungerechtigkeit demonstriert. Schnelle feministische Lösungen zu fordern, weil derzeit Frauen die Proteste dominieren, ist wohlfeil. Vielmehr geht es darum, die zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel im Sinne der Bevölkerung einzusetzen und auf langfristige Veränderungen – auch der eigenen Politik – hinzuarbeiten.
Wenn der gewaltsame Tod einer jungen Frau auf einer Polizeiwache in Teheran nicht nur zum Wandel ihres Landes, sondern auch zum Umdenken hierzulande beiträgt, um so besser.