G20 zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Die G-20-Gruppe hat seit ihrer Gründung nicht viel erreicht. Aber sie soll noch eine Chance bekommen.

Am 18. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) in Los Cabos, Mexiko. Die Erwartungen an das Treffen sind bereits im Vorfeld gering. Drei Jahre, nachdem sich die Gruppe selbst zum wichtigsten Koordinationsgremium für die Weltwirtschaft erklärt hat, befindet sich die G20 in einem fundamentalen Dilemma zwischen dem Wunsch nach medienwirksamen Erfolgen und den beschränkten Möglichkeiten, die die Gipfel letztlich haben.

Das mittlerweile jährlich stattfindende G-20-Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs wird nach Südkorea zum zweiten Mal von einem Schwellenland organisiert. Der Gipfel beginnt am Tag nach den Neuwahlen in Griechenland, deren Ausgang gravierende Risiken für den Euro, die Europäische Union und die internationalen Finanzmärkte birgt. Die europäische Schuldenkrise wird deshalb die Gespräche in Los Cabos beherrschen. Die G 20 werden sich darum bemühen, geschlossen auf das Geschehen nach den Wahlen zu reagieren, um einen Flächenbrand innerhalb und außerhalb der Euro-Zone zu vermeiden. 

Allerdings wurde bereits auf dem G-8-Gipfel im Mai in Camp David deutlich, dass selbst die Industriestaaten untereinander uneins darüber sind, wie man die Krise eindämmen und die europäischen Volkswirtschaften wieder auf einen Wachstumskurs führen kann. In Los Cabos wird es den nunmehr 20 Mitgliedstaaten kaum gelingen, hier Einigkeit zu erreichen. 

Eng verknüpft mit der Krise im Euro-Raum ist die Bekämpfung der globalen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft – eines der gesetzten Gipfelthemen der mexikanischen G-20-Präsidentschaft. Bereits auf dem letzten G-20-Gipfel in Cannes im November 2011 ist dazu ein Aktionsplan verabschiedet worden, dessen fiskal- und finanzpolitische Maßnahmen von den G-20-Finanzministern im Frühjahr dieses Jahres im Wesentlichen bestätigt worden sind. Dennoch bestand Gastgeber Mexiko nun darauf, einen neuen Aktionsplan aufzustellen – der dann natürlich einen mexikanischen Namen trägt. Große inhaltliche Neuerungen sind jedoch sieben Monate nach dem Gipfel von Cannes nicht zu erwarten. 

Neben der Euro-Krise wird das Tauziehen um die Mittelaufstockung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein zentraler Verhandlungspunkt des Treffens sein. Im Gegenzug könnten die Schwellenländer darauf bestehen, dass die 2010 beschlossene IWF-Quotenreform – die eben jenen Ländern mehr Gewicht gibt – termingerecht umgesetzt wird. In der Vergangenheit haben sich die G-20-Staaten durchaus in der Lage gezeigt, Kompromisse bei der Reform der internationalen Finanzarchitektur einzugehen. Doch bei der Umsetzung bewegt sich bisher zu wenig. Lediglich acht der zwanzig Staaten haben die notwendige nationale Ratifizierung bislang vorgenommen.

Bei der Finanzmarktregulierung, einem weiteren traditionell wichtigen Anliegen der G 20, gibt es zwar Fortschritte, diese gehen jedoch vor allem auf Vorarbeiten des Finanzstabilitätsrats zurück. Bis Jahresende soll der Rat einen Bericht vorlegen, wie man die Regulierung für systemrelevante international agierende Finanzinstitute – sogenannte SIFIs – auf inländische Banken übertragen kann. Des Weiteren soll der Finanzstabilitätsrat Empfehlungen zur Regulierung des Schattenbankensektors abgeben. Da sich der Zeitplan des Finanzstabilitätsrats nicht mit dem Gipfel deckt, können aber auch hierzu in Los Cabos keine neuen Ergebnisse erwartet werden. 

Nach den erfolgreichen ersten Gipfeln der G 20 in Washington, London und Pittsburgh hat der Elan der Gruppe spürbar nachgelassen. Die Mitglieder sind sich bei grundlegenden Themen wie beim Euro-Krisenmanagement und globalen Wachstumsstrategien uneinig – wobei sich die Kluft nicht nur zwischen Industrie- und Schwellenländern, sondern auch zwischen Deutschland, Frankreich und den USA auftut. 

Die G 20 schlingert zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Auf der einen Seite lebt die informelle Gruppe vom politischen Moment und dem Scheinwerferlicht, das auf die Treffen gerichtet ist. Politische Signalwirkung ist die einzige Währung der G-20-Gipfel. Nach beeindruckenden Initiativen auf dem Höhepunkt der Finanzkrise muss es jetzt jedoch um die Umsetzung und Weiterentwicklung von politischen Verpflichtungen gehen. Bei diesen teils technischen Plänen sind Kontinuität und Verhandlungen im Detail gefragt. Das mediale Rampenlicht kann zur Gefahr werden, wenn die G-20-Staaten – allen voran die Gastgeberländer – bei jedem Gipfel historische Erfolge vorweisen müssen und dafür immer neue Initiativen veranlassen, die sich in ihrer Substanz oftmals kaum unterscheiden. Für Los Cabos wäre es beispielsweise sinnvoller gewesen, den Fokus auf die Umsetzung der Ziele von Cannes zu legen, anstatt einen weiteren Aktionsplan aufzustellen. 

Damit die Gruppe nicht in die Bedeutungslosigkeit abrutscht, muss deshalb ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, was die G 20 als Gruppe und die Gipfel im Besonderen tatsächlich leisten können. Die Staaten müssen dringend selbst erkennen und kommunizieren, dass das Streben nach immer neuen Gipfelerfolgen kontraproduktiv ist. Es muss jetzt vor allem darum gehen, durch regelmäßige Treffen Vertrauen zwischen den Staaten aufzubauen, wie es etwa der G 7 gelungen ist. So konnte die G 7 beim Ausbruch der Finanzkrise auf informeller Ebene viele Krisenmaßnahmen schnell und effektiv koordinieren. 

Auch die G 20 muss diesen Netzwerkgedanken jenseits der Gipfeldiplomatie stärker in den Vordergrund rücken – allerdings ist diese Aufgabe wegen der Heterogenität der Mitglieder schwerer als bei der G 7. Die Arbeit zwischen den Gipfeln im Netzwerk der G-20-Staaten ist dabei von besonderer Bedeutung und die Schaffung weiterer Arbeitsgruppen auf operativer Ebene zu begrüßen. 

Trotz aller kurzfristiger Kritik am Gipfel von Los Cabos darf man den G-20-Prozess noch nicht abschreiben. Die Institution ist wichtig für den Dialog zwischen den Industrie- und Schwellenländern. Sie bietet eine Plattform, um ressortübergreifend an Lösungen für globale Probleme zu arbeiten. Diese langfristige Chance zur Stabilisierung und Reform der Weltwirtschaft darf auf keinen Fall vertan werden.

Claudia Schmucker leitet das Programm Globalisierung und Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Katharina Gnath ist Associate Fellow. Ihr Beitrag erschien auch in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juni 2012.

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