Online Commentary

Jun 28, 2020

Paris setzt auf die grüne Karte und bremst die Macronie deutlich aus

Paris mayor Anne Hidalgo
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Paris hat sich mit der Wiederwahl der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo und ihrer Wahlallianz mit den Grünen für eine Fortführung der Verkehrswende in der französischen Hauptstadt entschieden und der La République en Marche-Bewegung (LaREM) eine deutliche Absage erteilt.

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Dies ist umso bezeichnender, da Paris als Epizentrum der sogenannten Macronie gilt und die Wahlniederlage in der französischen Hauptstadt für die junge Bewegung besonders schwer zu verschmerzen sein wird. In Paris, wo LaREM vor einem Jahr bei den Europawahlen in 16 der 20 Arrondissements noch als Wahlsieger hervorging, bleibt die Bürgermeisterkandidatin Agnès Buzyn mit nur 13,56 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz zurück.

Während das frankreichweite Scheitern der Bewegung bei den Kommunalwahlen vor allem durch die mangelnde lokale Verankerung vor Ort zu erklären ist, zeigt die Pariser Wahlniederlage auch ein mangelndes Gespür für politisches Personal auf: Nach dem Rücktritt des ursprünglichen LaREM-Kanditaten und ehemaligen Regierungssprechers Benjamin Griveaux nach einem Sex-Skandal konnte auch „Notfall“-Kandidatin Agnès Buzyn nicht bei den Parisern punkten. Ihr mea culpa nach dem ersten Wahlgang, in dem sie ihren Rücktritt vom Amt der Gesundheitsministerin zu Beginn der Covid-19-Krise als schweren Fehler bezeichnete, lastete schwer auf der Glaubwürdigkeit der politischen Bewegung.

Auch wenn einige Pariser in vielerlei Hinsichten Prototypen der macronistischen Start-Up-Nation sind, wäre eine Deutung der Wahlniederlage von LaREM als Kollateralschaden der derzeitigen Corona-Krise fehlleitend. Sowohl Benjamin Griveaux als auch Agnès Buzyn schafften es seit Jahresbeginn in den Umfragen nicht über den dritten Platz hinaus. Der Wahlausgang ist deshalb mehr als nur eine Momentaufnahme der derzeitigen Sondersituation durch die Pandemie, sondern zeigt vielmehr tiefgehende strukturelle Probleme bei LaREM auf, die für die Präsidentschaftswahlen 2022 gefährlich werden könnten.

Anders sieht es bei Hidalgo-Herausforderin Rachida Dati aus. Die bürgerlich-konservative Kandidatin und ehemalige Justizministerin konnte sich – für viele Beobachter überraschend – als ernstzunehmende Konkurrentin der Sozialistin etablieren und positionierte sich in einigen Umfragen im März auf der Pole-Position. Ihre Schwerpunktthemen Sicherheit und Sauberkeit erhielten jedoch unter dem Eindruck der derzeitigen Folgen der Covid-19-Krise kein Gehör.

Noch im März zeigte sich eine Mehrheit der Pariser (58 Prozent) unzufrieden mit der Bilanz der amtierenden Bürgermeisterin Hidalgo und führte dabei insbesondere die zunehmende Kriminalität und Verdreckung der Hauptstadt als Gründe dafür auf; ein Gelegenheitsfenster für das bürgerlich-konservative Lager. Der zweimonatige Lockdown in den vielfach sehr kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Terrasse hat jedoch zu einer Prioritätenverschiebung bei den Pariser Wählern geführt. Die Streichung der Hälfte aller Parkplätze zugunsten größerer Gehwege und Grünflächen, der Ausbau der Fahrradwege sowie die Einführung eines Tempo-30-Limits scheinen für viele Hauptstädter das derzeit richtige Angebot zu sein.  

Wie auch auf nationaler Ebene, sind die Wahlergebnisse in Paris aufgrund einer Wahlenthaltung von rund 60 Prozent ein mit Vorsicht zu genießender Tendenzgeber für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022. Sie zeigen jedoch deutlich auf, dass die LaREM-Bewegung in den Augen vielen Wähler nicht mehr als neuer Impulsgeber und Reformer punkten kann.

Fluctat nec mergitur (Sie schwankt, aber sie geht nicht unter) lautet die bekannte Devise der Hauptstadt Paris. Ob die Bewegung LaREM diese Devise in den kommenden zwei Jahren für sich nutzen kann, wird sich zeigen.

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Die Autorin Nele Katharina Wissmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Auslandsbüro Frankreich der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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