Nach dem Arabischen Frühling

Hat die Demokratie im Nahen Osten eine Chance? Ja – doch auch der Westen ist in der Pflicht

Datum
01 Juli 2011
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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In der arabischen Welt brodelt es, immer mehr Menschen begehren gegen ihre autokratischen Regierungen auf. Professor Jack A. Goldstone von der George Mason University in Washington sieht eine Ursache für die massive Unzufriedenheit in der Bevölkerungsentwicklung des Nahen Ostens: Die Geburtenraten in Ländern wie Tunesien, Ägypten oder Libyen steigen rasant, ohne dass es den Regierungen gelungen wäre, vor allem der Jugend ausreichende Perspektiven zu bieten.

Dass die Menschen in der Region, insbesondere in Ägypten und Tunesien, zuversichtlich in die Zukunft blicken, stimmt Goldstone optimistisch. Es gebe eine „globale Welle in Richtung Demokratie“, die endlich auch in diesem Teil der Welt angekommen sei. Die Menschen, so Goldstone, sind ehrgeizig und gewillt, den schweren Weg, der vor ihnen liegt, zu gehen. Der niedrige Altersdurchschnitt in den arabischen Ländern ist dabei Fluch und Segen zugleich: Einerseits braucht man die Jugend, um das Land auf- und umzubauen. Anderseits könnte die Stimmung umschlagen, wenn es nicht gelingt, die Jüngeren in die Umgestaltung einzubeziehen.

Altbekannte Autokraten

Dass die westlichen Regierungen lange gezögert haben, sich mit der Protestbewegung solidarisch zu zeigen, hält Goldstone für einen Fehler. Anstatt die Demonstranten zu unterstützen haben westliche Politiker viel zu lange an altbekannten Autokraten festgehalten und ihre Haltung erst im letzten Moment geändert. Auch deshalb darf nun nicht der Eindruck entstehen, der Westen mache den arabischen Ländern Vorgaben, wie die politische Entwicklung in der Region zu gestalten sei.

Was die Intervention in Libyen anbelangt, wirft Goldstone dem Westen Unentschlossenheit vor – die fatale Folgen haben könnte: Solange Gaddafi seinen Unterstützern gegenüber glaubwürdig behaupten kann, der Krieg sei in wenigen Monaten vorbei und er selbst werde als Sieger hervorgehen, ist die Chance, dass sich seine Soldaten von ihm abwenden, gering. DGAP-Geschäftsführer Paul Freiherr von Maltzahn hält die Intervention in Libyen grundsätzlich für problematisch. Sollte die Revolution dort gelingen, so von Maltzahn, kann der Eindruck entstehen, dies sei nur aufgrund des westlichen Eingreifens möglich gewesen, was dem Ansehen der Aufständischen im eigenen Land erheblich schaden würde. Dieser Eindruck wird durch die Teilnahme der ehemaligen Kolonialstaaten England und Frankreich noch verstärkt.

Ein Problem ist laut von Maltzahn auch der Unwille der Europäer, sich mit den Flüchtlingen aus der Region auseinanderzusetzen. Der Streit um eine angemessene Migrationspolitik beeinträchtigt das Verhältnis zwischen den arabischen und den europäischen Ländern. Ob man bei dem Arabischen Frühling überhaupt von einer „Revolution“ sprechen könne, ist seiner Sicht fraglich, denn: zu einer Revolution gehört eigentlich mehr als eine Reform des politischen Systems. In Ägypten und Tunesien sollte man eher von einer „Revolte“ sprechen. Einen dramatischen Umbau des Staatsapparats kann man dort bislang jedenfalls nicht beobachten.

Europa in der Pflicht

Was also kann Europa tun, um den Arabischen Frühling zu unterstützen? Almut Möller sieht die europäische Außenpolitik in der Pflicht und verweist auf ihre aktuelle Publikation: Die EU muss sich auf völlig neue Gegebenheiten einstellen, da ihre Gesprächspartner nicht mehr so homogen sind wie früher. Noch ist nicht absehbar, wohin das neue Ägypten – auch außenpolitisch – hinsteuert, das gilt auch für Tunesien.

In einem waren sich alle Diskutanten einig: Der Westen muss auch mit den Islamisten reden. Sie von sämtlichen Gesprächen auszuschließen ist keine Lösung, zumal die Muslimbrüder weniger radikal sind als häufig dargestellt. Sie nicht am an Gesprächen zu beteiligen, selbst wenn sie durch die Teilnahme an demokratischen Wahlen an Einfluss in der Region gewinnen, könnte dem politischen Prozess schaden. Der Westen wird in Ägypten und Tunesien den demokratischen Willen der Bevölkerung nicht einfach für nichtig erklären können wie 2006 bei der Wahl der Hamas.

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