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13. Apr. 2012

Atomenergie: Wirtschaftsinteressen im Vordergrund

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Die Energiepolitik Frankreichs hat sich in ihrer Ausrichtung seit den 1970er Jahren und der Einführung des französischen Atomprogramms nach dem Zweiten Weltkrieg kaum verändert. So war sie nie ein entscheidendes noch polarisierendes Thema in den französischen Präsidentschaftswahlen. Doch die Atomkatastrophe in Japan im März 2011 sowie die Perspektive eines Ausstieges aus der Atomenergie einiger europäischer Länder, hat die Wahrnehmung der Atomenergie in Frankreich verändert.

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Die Energiepolitik Frankreichs hat sich in ihrer Ausrichtung seit den 1970er Jahren und der Einführung des französischen Atomprogramms nach dem Zweiten Weltkrieg kaum verändert. So war sie nie ein entscheidendes noch polarisierendes Thema in den französischen Präsidentschaftswahlen. Insbesondere die Stellung der Atomenergie, die 75 Prozent der Elektrizitätserzeugung des Landes ausmacht, war stets Gegenstand eines politischen Konsenses. Doch die Atomkatastrophe in Japan im März 2011 sowie die Perspektive eines Ausstieges aus der Atomenergie einiger europäischer Länder – hier sei vor allem Deutschland erwähnt – hat die Wahrnehmung der Atomenergie in Frankreich verändert.

Nicolas Sarkozy und die Rechtsparteien lehnen es ab, die traditionelle Haltung Frankreichs gegenüber der Nuklearenergie in Frage zu stellen. Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes 2012 haben jedoch im November 2011 der Parti Socialiste (PS) und die Grünen (Europe Ecologie/Les Verts, EELV) ein Abkommen zur Reduzierung der Atomenergie beschlossen, was in ganz Frankreich eine heftige Debatte über die Zukunft der Atomenergie ausgelöst hat. Im Laufe des Wahlkampfes ist dieses Thema jedoch erneut fast gänzlich aus den Medien verschwunden.

Konkurrierende Berichterstattung

Obwohl in Frankreich gesetzlich keine Laufzeitbegrenzung für Kernkraftwerke festgelegt wurde, war ursprünglich eine Laufzeit von 40 Jahren beim Bau der Kernkraftwerke vorgesehen. Nach Angaben des französischen Rechnungshofes werden im Jahr 2022 22 der 58 französischen Kernkraftwerke genau dieses Alter erreicht haben. Daher plant der Stromkonzern EDF (Électricité de France) die Laufzeit auf 60 Jahre zu verlängern, wobei die ersten Kraftwerke dieser Generation schon 2016 vernetzt werden sollen. Dies soll ermöglichen, die Produktion auf heutigem Niveau zu sichern, bevor die nächste Generation von Kernkraftwerken entwickelt wird. Die Energiepolitik Frankreichs steht demzufolge an einem Scheidepunkt und dies in einem wesentlichen politischen Moment, dem des Präsidentschaftswahlkampfs.

In Folge der derzeitigen politischen Debatten wurden mehrere Berichte zu den Aspekten Sicherheit und Finanzierung von Atomenergie sowie über die Zukunft der Energiepolitik in Frankreich veröffentlicht. Am 4. Januar 2012 hat die französische Behörde für Atomsicherheit (Autorité de sûreté nucléaire, ASN), nach dem Erfolg des im Anschluss an das nukleare Unglück in Japan von der Europäischen Kommission verlangten Stresstests, die vom EDF gewünschte Laufzeitverlängerung zunächst an neue Sicherheitsmaßnahmen geknüpft. Unter die Aufgaben der ASN fällt u.a. die Genehmigung von Laufzeitverlängerungen. So wurde beispielsweise im Sommer 2011 eine Laufzeitverlängerung für das Kernkraftwerk Fessenheim beschlossen. Am 31. Januar 2012 hat der französische Rechnungshof dann Untersuchungen zu den Kosten der Atomenergie von ihren Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute veranlasst sowie Zukunftsszenarien zu ihrer Finanzierung vorgestellt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Aufrechterhaltung der Atomenergie in Frankreich die kostengünstigste Lösung darstellt. Jedoch bestehen weiterhin Unklarheiten bezüglich der Finanzierung von Atommüllendlagerungen sowie des Abbaus der Kernkräfte. Zudem fehlt es an konkreten politischen Entscheidungen zu diesem Thema.

Zu denselben Ergebnissen kommt die vom französischen Ministerium für Industrie und Energie für Investitionsplanungen einberufene „Energiekommission 2050“. Diese Investitionen sollen ab 2013 getätigt werden. Die Kommission prüfte zudem die von Energie-Experten (z. B. Negawatt, die einen Ausstieg aus der Kernenergie fordern) und Energieunternehmen (z.B. AREVA) aufgestellten Zukunftsszenarien.

Ganz anders Global Chance und Greenpeace: Sie sehen in den Schlussfolgerungen der Kommission hauptsächlich eine Interessensvertretung der Atomanhänger. Diese beiden Organisationen sowie die Agence de l'Environnement et de la Maîtrise de l'Energie (ADEME), obwohl sie Mitglied der Energiekommission 2050 war, kritisieren die Kommission, weil sie der Möglichkeit von Energieeinsparungen in ihren Untersuchungen zu wenig Beachtung geschenkt habe. Die Berichte von Greenpeace stellen zudem die Schlussfolgerungen des Stresstestes in Frage: Die französischen Kernkraftwerke seien nicht ausreichend vor Terroranschlägen (z. B. durch einen Flugzeugangriff) geschützt, was Greenpeace-Protestler am 5. Dezember 2011 durch das Eindringen in zwei Kernkraftwerke gezeigt hätten. Der Bericht über „die Zukunft der Atombranche in Frankreich“ des Senats zeigt zudem auf, mit welcher Dringlichkeit Atompolitik in Frankreich diskutiert werden müsse, nicht zuletzt aufgrund der Gefahr eines nuklearen Unfalls. Ein solcher könnte auch Konsequenzen für die Energieversorgung Frankreichs haben, wenn wie in Japan nach dem Erdbeben fast alle Kernkraftwerke abgeschaltet würden. Der Bericht zielt daher auf eine Reduzierung des Anteils der Atomenergie an der Energieproduktion  Frankreichs ab.

Eine Frage, die spaltet

Nach dem Unfall in Fukushima forderten die Grünen, EELV zu einer Volksabstimmung über Atomenergie auf, jedoch ohne Erfolg. Sie stehen für einen Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2031. Dem mit der PS im November geschlossenen Abkommen zur Reduzierung der Atomenergie entsprechend soll der Anteil der Atomenergie in der Elektrizitätserzeugung im Jahr 2025 50 % (anstelle der derzeitigen 75%) betragen. Der Präsidentschaftskandidat des PS Francois Hollande hat sich, ähnlich wie Ségolène Royal 2007,  für eine Reduzierung der Atomenergie in Frankreich ausgesprochen, jedoch soll nur das Kraftwerk von Fessenheim bis 2017 ausgeschaltet werden. Der Verlust von Arbeitsplätzen in dieser Branche soll vermieden werden. Auch sei der Reduzierungsvorschlag eine Reaktion auf die ungewissen Kosten der Atomenergie.

Der PS ist sich über die Entscheidung Hollandes allerdings nicht einig: Einige Sozialisten, wie der ehemalige Premierminister Michel Rocard sprechen sich für Atomenergie aus und zeigen sich mit dem Abkommen mit der EELV für die Parlamentswahl unzufrieden. Es gibt zwar ein Abkommen mit der EELV, aber der Kandidat Hollande widersetzt sich der Idee eines völligen Atomausstiegs der EELV. Die PS war, wie die PCF, ein traditioneller Anhänger der Atomenergie mit der Begründung, Atomenergie wahre die Energieunabhängigkeit Frankreichs und garantiere billige Energiepreise und sichere Arbeitsplätze. Infolge des schlechten Abschneidens (von  2% bis 3%) der Kandidatin Eva Joly (EELV) in den allgemeinen Umfragen vor den Wahlen, kann sie kaum auf die Durchsetzung ihrer Interessen hoffen, obwohl sie die Energiewende als eine  Priorität im Wahlkampf definiert.

Die laut Umfragen zweitstärkste Linkspartei Front de Gauche (eine Koalition zwischen dem Parti de Gauche und der Kommunistischen Partei Frankreichs, PCF), derer Umfragewerte im März 2012 zwischen 10% und 14% lagen, fordert im Gegensatz zum PS eine Volksabstimmung über die Zukunft der Atomenergie und eine Verstaatlichung der Energiebranche. Sie wollen damit erreichen, zukünftig sowohl die Energieträger wählen, als auch die Preise kontrollieren zu können. Der Vorschlag einer Volksabstimmung entzweit die beiden Parteien des Front de Gauche. Während der Parti de Gauche für einen Ausstieg plädiert, spricht sich die PCF dagegen aus. Diese Veränderung der Machtverhältnisse innerhalb des linken Lagers könnte das Abkommen zwischen den Grünen und dem PS in Frage stellen.

Im rechten Lager herrscht hingegen Konsens über Kernenergie: Sowohl der konservative Sarkozy als auch der Zentrist Bayrou und die rechtsextreme Marine Le Pen haben sich gegen die Ausschaltung des Fessenheimer Atomkraftwerks ausgesprochen und plädieren für eine Laufzeitverlängerung aller Reaktoren über 40 Jahre hinaus. Nicolas Sarkozy hat im Zeitraum von November 2011 bis Februar 2012, nach der Veröffentlichung des Berichts der ASN und des Rechnungshofs, mehrere Kernkraftwerke besucht und die Meinung Hollandes vehement kritisiert, sogar als „Wahnsinn“ bezeichnet. Atomenergie sei für Frankreich von grundlegender Wichtigkeit: Sie halte die Energiekosten niedrig und trüge entscheidend zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei. Somit sei die Atomenergie eines der  „wichtigsten Interessen Frankreichs“, mehr noch: „Die Atomenergie [sei] Frankreich“. Daher sei die Positionierung des PS zu diesem Thema eine Untergrabung eines wichtigen wirtschaftlichen Vorteils Frankreichs.

Atompolitik – Ein Wahlkampf-relevantes Thema?

Bisher konnten die Linksparteien keine gemeinsamen Antworten zu Fragen der Atompolitik finden. Daraus ergibt sich ein scheinbar widersprüchliches Bild: Einerseits droht das Thema Atomenergie generell an Bedeutung zu verlieren. Andererseits wird es auf Grund seiner wirtschaftlichen und identitätsstiftenden Dimension auch im Wahlkampf noch polarisierend wirken können: Die Entscheidung für oder gegen Atomenergie hängt für die meisten Franzosen sehr stark von wirtschaftlichen Fragen (Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung) ab, was die Berichte des Rechnungshofs und der Energiekommission 2050 deutlich aufgezeigt haben.

Die Franzosen  zeigen generell nur wenig Begeisterung für das Thema, auch wenn Atomgegner, wie Greenpeace, versuchen, Frankreich für dieses Thema zu sensibilisieren. Obwohl  83 % der Bevölkerung im April 2011 einer Reduzierung von Atomenergie in Frankreich für die Jahre 2020-2030 zustimmten, wurde im März 2012 festgestellt, dass die Anzahl der Franzosen, die der Atomenergie zustimmen, von Juli 2011 bis März 2012 von 32 auf 37 % gestiegen ist, obgleich die Anzahl der Zauderer stabil geblieben ist (36 %).

Paul Jutteau ist Praktikant im Frankreich-Programm der DGAP und studiert an der Ecole Normale Supérieure de Paris (ENS Ulm) und an der Sorbonne (Paris 1).

Bibliografische Angaben

Jutteau, Paul. “Atomenergie: Wirtschaftsinteressen im Vordergrund .” April 2012.

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