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02. Febr. 2013

Asien strategisch in den Blick nehmen!

Die EU kümmert sich zu wenig um die sicherheitspolitischen Risiken der Region, warnt Eberhard Sandschneider

Asiens Aufsteigerstaaten sind für Europa vor allem Handelspartner. Als Raum machtpolitischer Spannungen findet die asiatisch-pazifische Region in der EU-Außenpolitik dagegen kaum Beachtung. Der Machtwille Chinas wird ebenso unterschätzt wie die Gefahr militärischer Konflikte, sei es auf der koreanischen Halbinsel oder im südchinesischen Meer – und deren mögliche globale Konsequenzen. Da Brüssel als Akteur ausfällt, sind die EU-Mitgliedsländer gefordert, Asien strategisch in den Blick zu nehmen.

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Europas Unfähigkeit, jenseits von wohlklingenden Strategiepapieren außenpolitisch geschlossen und überzeugend zu handeln, ist mittlerweile sprichwörtlich. Besonders deutlich zeigt sich dieser Befund am fehlenden strategischen Blick Europas auf die asiatisch-pazifische Region. Wer sich auf die Entwicklungen in einer der dynamischsten Wachstumsregionen der Welt vorbereiten will, ist gut beraten, nicht darauf zu warten, dass die EU in absehbarer Zeit in der Lage sein könnte, ihre außen- und sicherheitspolitischen Hausaufgaben zu machen. Dies gilt umso mehr, als die Welt, wie wir sie heute kennen, schon in wenigen Jahren völlig anders aussehen wird.

Machtpolitische Verschiebungen lassen sich bereits in voller Entfaltung beobachten: Europa und die USA müssen lernen, dass aufsteigende Akteure ihr Mitspracherecht einfordern und ihre Interessen immer selbstbewusster vertreten. Dem asiatisch-pazifischen Raum kommt dabei eine besondere Bedeutung zu – nicht nur wegen seines beeindruckenden Nachholprozesses, sondern vor allem auch wegen der damit einhergehenden sicherheitspolitischen Risiken.

Aus europäischer Sicht zieht der asiatisch-pazifische Raum vor allem als dynamische Wirtschaftsregion Aufmerksamkeit auf sich. Dies ist zweifellos berechtigt. Unterschätzt werden dabei aber häufig die Risiken regionaler Konflikte und wie stark diese auch die globale Sicherheitspolitik herausfordern können.

In Europa ist das dominierende Thema zu der Region der Aufstieg Chinas. Die beeindruckende wirtschaftliche Leistungsbilanz des „Reichs der Mitte“ beschäftigt die Fantasie westlicher Politik, Wirtschaft und Medien gleichermaßen. Diese Diskussion gewinnt durch die verstärkte strategische Hinwendung der USA zum asiatisch-pazifischen Raum weiter an Fahrt – zu Recht, denn das transpazifische Verhältnis dieser beiden Staaten wird die Entwicklungen der internationalen Politik im 21. Jahrhundert wesentlich bestimmen.

Für Europa hat das zwei unliebsame Konsequenzen: Die Zeiten, in denen wir uns blind darauf verlassen konnten, mit den USA gemeinsame strategische Interessen zu teilen, sind ebenso vorbei wie die Jahre, in denen wir getragen von einem überheblichen Werterigorismus glaubten, China Vorschriften zu seiner Werteordnung machen zu können.

Mit Blick auf die Geschichte sind wir gewarnt: Aufstiege von neuen Mächten haben in der Geschichte der vergangenen Jahrhunderte immer wieder zu schweren machtpolitischen Konflikten geführt und nicht selten katastrophale Kriege zur Folge gehabt. Auch wenn es nicht allen Strategen in Washington recht ist, so bleibt eine schlichte Feststellung: Der Aufstieg Chinas ist ein normaler Prozess und völlig legitim. Nach 30 Jahren beeindruckender ökonomischer Entwicklung geht die Volksrepublik China daran, die neu gewonnene ökonomische Leistungsfähigkeit Schritt für Schritt in politischen Einfluss zu übersetzen und letztlich auch ihre militärischen Einflussmöglichkeiten zu steigern.

Gleichzeitig darf man den Strategiewechsel der Vereinigten Staaten nicht überbewerten. Die USA waren immer eine pazifische Macht, sie haben im Pazifik ihre wichtigsten und verlustreichsten Kriege geführt und waren in den letzten Jahrzehnten politisch wie auch wirtschaftlich und militärisch in der Region präsent. Überdies sollten Europäer nicht außer Acht lassen, dass es kein reines Vergnügen ist, im strategischen Fokus der Vereinigten Staaten zu liegen. Solange Europa diesen „Vorzug“ genießen konnte, ging ein Riss durch Europa, war Deutschland ein geteiltes Land und Berlin eine geteilte Stadt. Dies hat sich erst geändert, als nach 1990 der strategische Fokus der USA verstärkt auf den Nahen und Mittleren Osten, auf Südasien und letztlich auch insbesondere auf Ostasien gerichtet wurde.

Bei dem Blick auf die beiden Giganten im pazifischen Raum übersieht man leicht ein weiteres Land, dessen Einfluss man nicht unterschätzen sollte: Japan. Insbesondere das Verhältnis zwischen China und Japan wird auf die Entwicklung im Westpazifik erheblichen Einfluss haben. Die beiden Länder sind längst zu wichtigen Handelspartnern geworden. Japan ist darüber hinaus einer der größten Investoren in China. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass in Ostasien wesentliche Lektionen der europäischen Geschichte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gelernt worden sind: Völkerverständigung funktioniert hier anders und bedauerlicherweise sehr viel schlechter als in Europa. Jederzeit können Konflikte, die auf den schwierigen Erfahrungen der Vergangenheit aufbauen, aktiviert werden. Nationalismus ist eine grassierende Gefahr überall in Ostasien. Nationalistische Grundströmungen bestimmen chinesische und japanische Politik gleichermaßen und bergen jederzeit das Risiko militärischer Entgleisungen.

Daneben gilt auch festzuhalten, dass vielfältige regionale Konflikte Frieden, Sicherheit und ökonomische Entwicklung in der Region gefährden. Zwei dieser Konflikte müssen wegen ihrer Virulenz besonders hervorgehoben werden.

Einer davon findet auf der koreanischen Halbinsel statt. Das völlig unberechenbare Regime in Nordkorea ist sowohl für seinen unmittelbaren Nachbarn Südkorea als auch für die gesamte Region eine ständige Bedrohung. Nordkorea demonstriert immer wieder mit Nachdruck, wie schwierig es ist, in der internationalen Politik zu kooperieren, wenn ein Staat partout nicht kooperationswillig ist.

Hier wie auch im Falle des Iran ist die internationale Staatengemeinschaft vermutlich zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie es gelingen kann, eine atomare Bewaffnungsstrategie zu verhindern. Über kurz oder lang wird die Politik aber nicht um die Einsicht umhin kommen, dass es auch mit einem nuklear bewaffneten Nordkorea umgehen muss. Die nordkoreanischen Sicherheitsinteressen mögen krankhaft übertrieben sein. Trotzdem verfügt Nordkorea auch jenseits seines Atomprogramms bereits heute über genügend Artilleriekapazitäten, um insbesondere der Millionenstadt Seoul erheblichen Schaden zuzufügen. Selbst China als einzig befreundete Macht des nordkoreanischen Regimes hat kaum Möglichkeiten der Einflussnahme. Die beteiligten Nachbarstaaten können bei einem höchst irrationalen und unberechenbar agierenden Akteur nicht einmal auf die Rationalität funktionierender Abschreckung setzen.

Der zweite Krisenherd ist nicht minder brisant: Die Territorialstreits im südchinesischen Meer haben das Potenzial, jederzeit in einen groß angelegten Regionalkonflikt mit globaler Ausstrahlung umzuschlagen. Wichtige Energie- und Ressourcentransportwege führen durch die Region. Die Vermutung, auf dem Meeresboden erhebliche Öl- und Gasressourcen zu finden, treiben die beteiligten Nationalstaaten in ein ausgesprochen feindseliges Verhalten. Das Verhalten der Volksrepublik China hat viel Aufmerksamkeit und Kritik auf sich gezogen, aber auch die übrigen Anrainerstaaten Vietnam, die Philippinen, Indonesien und in Teilen auch Taiwan lassen es an konfliktorientiertem Verhalten fehlen. Lösen lassen sich diese Konflikte nicht, sie lassen sich bestenfalls befrieden und managen. Dazu fehlt es allen Beteiligten derzeit an einem überzeugenden Willen. Und erneut wäre Europa von einem militärischen Konflikt oder auch nur von einer weiteren Verschärfung unmittelbar betroffen.

Immerhin gibt es einen Konflikt, der über viele Jahre die Politik in der ostasiatischen Region bestimmt hat und heute kein größeres Risikopotenzial mehr birgt: die Konfrontation zwischen China und Taiwan. Der Fall zeigt, dass es neben den Bemühungen um institutionalisierte Kooperation möglich ist, Konflikte so einzudämmen, dass sie ihre unmittelbare Gefährlichkeit verlieren. Die Regierung in China besteht zwar weiterhin darauf, dass Taiwan Teil des chinesischen Territoriums ist; auf der Insel selbst ist die Bevölkerung gespalten zwischen Anhängern der Unabhängigkeit und denjenigen, die – wenn auch unter anderen Bedingungen – zurück zu politischer Einheit mit dem Festland wollen. Die veränderte Politik des taiwanesischen Präsidenten hat dazu geführt, dass das Konfliktniveau auf beiden Seiten erheblich zurückging. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit floriert. Wer heute in Peking an den Flughafen kommt, stellt mit Erstaunen fest, dass er einen Direktflug nach Taipeh buchen kann.

Und Europa? Europa steht bei all diesen Entwicklungen abseits oder bestenfalls im Schatten der Vereinigten Staaten. Die Europäer sind völlig auf Wirtschaft und Handel fixiert, eine sicherheitspolitische Perspektive auf den asiatisch-pazifischen Raum fehlt ihnen. Das ist mitunter sogar zu begrüßen, wenn man berücksichtigt, dass wesentliche Machtwährungen der internationalen Politik sich in diesen Monaten und Jahren verändern. Es zählt nicht mehr automatisch das militärische Übergewicht, sondern es sind weiche Kriterien, die letztlich den Einfluss in einer globalisierten Welt ausmachen. Dennoch werden auch Europäer feststellen, dass die Risiken, die sich aus dem asiatisch-pazifischen Raum ergeben können, sehr schnell unmittelbare Auswirkungen auch in Europa haben können. Für solche Risiken ist Europa schlecht gerüstet.

Wer nicht müde wird, globale Handelsbeziehungen zu propagieren, muss auch bereit sein anzuerkennen, dass nicht nur Waren global ausgetauscht werden, sondern dass auch die politischen und ökonomischen Konsequenzen machtpolitischer und militärischer Konflikte kaum noch regional zu begrenzen sind. Es wäre schon hilfreich, feststellen zu können, dass unsere Aufmerksamkeit und unser Verständnis der Zusammenhänge in der asiatisch-pazifischen Region besser werden.

Das Europa der Europäischen Union wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, eine geschlossene, handlungsfähige und überzeugende Außenpolitik in die Tat umzusetzen. Darüber vor Verzweiflung die Augen zu rollen und in europakritische Stoßseufzer zu verfallen, ist keine brauchbare Alternative. Es bleibt der außenpolitischen Initiative wichtiger Mitgliedstaaten – allen voran Deutschland – überlassen, die asiatisch-pazifische Region nicht nur als Wachstumsregion, sondern auch als machtpolitische Schwerpunktregion der Weltpolitik und als Risikoregion für Europas globale wirtschaftlichen und politischen Interessen zu betrachten.

Bibliografische Angaben

Sandschneider, Eberhard. “Asien strategisch in den Blick nehmen!.” February 2013.

Der Tagesspiegel Online, 2. Februar 2013

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