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05. Okt. 2016

Die Republik Südsudan kommt nicht zur Ruhe

Zentrale Krisenursache sind rivalisierende Eigeninteressen bewaffneter Eliten

Nach opferreichen Auseinandersetzungen schlossen die südsudanesischen Konfliktparteien im August 2015 ein Friedensabkommen, wenngleich unter großem internationalem Druck. Auf die jüngst vereidigte Übergangsregierung sollten 2018 freie Wahlen folgen. Doch brutale Machtkämpfe und ausgeprägte Gewalt halten an. Eine politisch verhandelte Überwindung der Interessengegensätze ist nicht in Sicht. Der UN-Sicherheitsrat erwägt Sanktionen und befürwortet die Entsendung einer internationalen Schutztruppe.

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Ein Fünftel der 12 Millionen Einwohner Südsudans ist auf der Flucht. Wie konnte es dazu kommen?

Stefan Brüne: Als sich im Januar 2011 über 98 Prozent der Wähler in einem Referendum für die Unabhängigkeit Südsudans aussprachen, war die Begeisterung groß. Im Juli 2011 wurde der jüngste Staat der Welt dann unabhängig. Doch im Dezember 2013 brachen bewaffnete Kämpfe aus. Feindseligkeiten innerhalb des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) – zwischen Anhängern Präsident Salva Kiir Mayardits, einem Dinka, und Vizepräsident Riek Machar, einem Nuer – eskalierten und mehrere hundert Menschen, zumeist Nuer, starben. Der genaue Verlauf der tödlichen Vorfälle, in die lokale Sicherheitskräfte und konkurrierende Fraktionen der Präsidialgarde verwickelt waren, ist bis heute ungeklärt. Präsidentennahe Kommentatoren versuchten im Nachhinein, sie einem gescheiterten Staatsstreich anzulasten. Eine Behauptung, die von der Afrikanischen Union befragte Zeugen als irreführend zurückweisen. Als Riek Machar als Minister entlassen wurde, betrieb er den Aufbau des Sudan People’s Liberation Movement-in-Opposition (SPLM-IO). Inzwischen ruft er von Khartum aus zum gewaltsamen Sturz der Dinka-dominierten Regierung in Juba auf.

Die Republik Südsudan zählt zu den ärmsten und unterentwickeltsten Staaten des subsaharischen Afrikas. Zugleich gilt sie als Kleptokratie. Empirische Studien belegen eine äußerst ungleiche Verteilung des Reichtums. Jüngst veröffentlichten Berichten zufolge versorgen einflussreiche Politiker ihr nahes Umfeld auch über ins Ausland verbrachte Reichtümer. Geldwäsche und kriminell beförderte Aktivitäten sind weit verbreitet.[1] Im aktuellen Fragile States Index des Fund for Peace rangiert das Land hinter Somalia an zweiter Stelle. Prognosen zufolge werden die Öleinkünfte des heute weltweit ölabhängigsten Staates ab 2035 zu vernachlässigen sein.

Was tun mit Kriegsparteien, die nicht friedenswillig sind?

Stefan Brüne: Auf internationaler Ebene konkurrieren normativ und realpolitisch motivierte Handlungsempfehlungen. Den Konfliktparteien wurden umfängliche Kriegs- und andere Verbrechen nachgewiesen. Dennoch vermeidet der US Special Envoy to Sudan and South Sudan, Donald Booth, eine direkte Verurteilung. Er sieht im mehrfach verletzten Friedensabkommen immer noch die beste Hoffnung für ein schnelles und einvernehmlich vereinbartes Kriegsende. Das ist auch Südafrikas Sicht. Die Sorge, dass ein machtpolitisches Vakuum erst recht eine anhaltende Gewalt begünstigen könnte, ist nicht gänzlich unbegründet. Aus friedens- und versöhnungsbemühter Perspektive müssen jedoch die Verbrechen und Versäumnisse beider Bürgerkriegsparteien offengelegt und verurteilt werden. Südsudans Bischöfe haben kürzlich die „militarisierte Kultur“ des Landes kritisiert und eine friedliche Entwaffnung ziviler Bevölkerungsgruppen gefordert.

Wer liefert die Waffen?

Stefan Brüne: 2015 lagen Südsudans Militärausgaben bei 70 Prozent des Staatshaushalts und entsprachen rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Land verfügt nach Russland über die weltweit zweithöchste Zahl an Generälen (745). Bewaffnete Milizen und ein vorwiegend militärisch gebildeter Präsident haben die überfällige Reform des Sicherheitssektors und einen Rückbau des überdimensionierten Sicherheitsapparates bislang verhindert. Das hohe Militärbudget hemmt die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und erschwert die dringend gebotene Diversifizierung der Kriegswirtschaft.

Zu den wichtigsten Waffenlieferanten zählen die Ukraine, Israel und China. Auch Khartum steht im Verdacht, die SPLM-IO zu unterstützen. Ugandas Rolle ist ambivalent: Die 2013 zur Unterstützung General Kiirs entsandten 5 000 ugandischen Truppen haben Südsudan inzwischen – nach telefonischer Intervention von Barack Obama – verlassen. Aber weiterhin gibt es Spekulationen über anhaltende militärische Unterstützung und die kostspielige Beschaffung und Wartung südsudanesischer MI-24 Kampfhubschrauber und Amphibienpanzer durch ugandische Militärs.

Welche Handlungsoptionen haben die USA und die Europäische Union?

Stefan Brüne: Nach dem jüngsten Juba-Aufenthalt des UN-Sicherheitsrats sprach sich Federica Mogherini Anfang September für eine zügige Untersuchung vergangener Verbrechen und die Einrichtung eines Hybriden Gerichtshofes aus. Dabei forderte sie die Übergangsregierung in Juba auf, das Friedensabkommen schnell und in gegenseitigem Vertrauen umzusetzen. Sie verwies auch auf das von der EU bereits vor Jahren verfügte Waffenembargo. Die führenden Politiker Südsudans stünden in der Pflicht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Bürgern ihres Landes weitere Gewalt zu ersparen. Die Entmilitarisierung von Juba und die Entsendung einer regionalen Schutztruppe seien von äußerster Dringlichkeit. Die EU sei bereit, zielgerichtete Sanktionen gegen Personen zu prüfen, die den Friedensprozess behinderten und begrüße Überlegungen Russlands, von einem Veto gegen weitere Sanktionen und gegen ein Waffenembargo abzusehen.

Welche Wege aus der Krise sind denkbar?

Stefan Brüne: Zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als dreißig Jahre. 80 Prozent der Jugendlichen im arbeitsfähigen Alter haben keine oder zu wenig Arbeit und das Land hat eine hohe Analphabetenrate. Nur die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu aufbereitetem Trinkwasser. Nahrungsmittelknappheit bedroht knapp zwei Millionen Menschen. Erklärtes Ziel der Übergangsregierung ist es, bis 2040 eine von humanitären Hilfsleistungen unabhängige, lese- und schreibkundige und politisch informierte Nation zu schaffen. Eine alters- und geschlechtsunabhängige Förderung von Bildungsmaßnahmen sollte Priorität haben. Es gilt über anderthalb Millionen Kindern eine nachholende Ausbildung zu gewähren.

Die internationale Gemeinschaft könnte zudem demokratieorientierte Entwicklungen konditionsgebunden unterstützen, ebenso Versuche, gesellschaftliche Probleme angstfrei und transparent zu diskutieren. Man könnte verstärkt Rechtsstaatlichkeit und freie Medien fördern und die Anliegen zivilgesellschaftlicher Organisationen – von Frauenvereinigungen oder regionalen Bauern- und Studentenbewegungen – inhaltlich, finanziell und organisatorisch fördern. Auch die schwachen und schlecht organisierten Gewerkschaften bedürfen einer zukunftsfesten Unterstützung.


[1] War Crimes Shouldn’t Pay: Stopping the Looting and Destruction in South Sudan, September 2016, An Investigative Report by The Sentry. 

Bibliografische Angaben

Brüne, Stefan . “Die Republik Südsudan kommt nicht zur Ruhe.” October 2016.

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