Kommentar

12. Dez. 2011

EU-Kandidatenstatus für Serbien

Ein Hinhalten Belgrads verzögert die Lösung der Kosovo-Frage nur weiter

Beim EU-Gipfel im Dezember hätte Serbien gern einen weiteren Schritt Richtung Beitritt getan. Doch die Mitgliedstaaten konnten sich nicht darauf einigen, dem Land den Kandidatenstatus zu verleihen. Allen voran Deutschland verweigerte die Zustimmung, um Belgrad zu größeren Zugeständnissen in der Kosovo-Frage zu bewegen. Das ist ein falsches Signal. Stattdessen sollte die EU die Reformbemühungen Serbiens durch eine Beförderung im Beitrittsprozess würdigen.

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Serbien kommt im Transformationsprozess des Westlichen Balkan eine Schlüsselrolle zu. Ein erfolgreicher Übergang des größten jugoslawischen Nachfolgestaats von der Zeit der Kriege der 1990er Jahre hin zu politischer Stabilität innerhalb der EU hätte Signalwirkung für die gesamte Region. Er wäre zudem Beleg für die Gestaltungsmacht der EU in ihrer Nachbarschaft.

Dabei ist Serbien kein einfacher EU-Anwärter: Innenpolitisch hin- und hergerissen zwischen reformwilligen, proeuropäischen Parteien und nationalistischen Kräften, kommt der Modernisierungsprozess oft nur stockend voran. Außenpolitisch schwankte Belgrad lange Zeit, ob es sich eher vom Ziel der EU-Integration leiten lassen oder der Vorstellung vergangener nationaler Größe folgen solle. Noch heute vermeiden serbische Politiker, zur Frage „EU oder Kosovo?“ eindeutig Stellung zu beziehen.

Für viele EU-Mitglieder ist dies frustrierend angesichts der Anstrengungen, die die Gemeinschaft bereits unternommen hat, um den Balkan zu stabilisieren. So führten der Unwille und die Unfähigkeit Serbiens bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern mehrfach zu Verzögerungen im Beitrittsprozess. Während diese Hürde mit der Festnahme der letzten flüchtigen Angeklagten im Mai und im Juli 2011 genommen ist, stellt der schleppende Verlauf des von der EU moderierten serbisch-kosovarischen Dialogs ein neues Hindernis dar.

Kosovo als Stolperstein

Angesichts jahrelanger erfolgloser Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina und der Perspektive einer fortdauernden Existenz Kosovos als internationales Protektorat sahen die USA und einige EU-Mitgliedstaaten im Februar 2008 keine andere Möglichkeit, als die Loslösung des Gebiets von Serbien auch ohne Zustimmung Belgrads zu akzeptieren. Deutschland trug diese Entscheidung mit und war unter den ersten Ländern, die das Kosovo als souveränen Staat anerkannten. Obwohl mehr und mehr Länder diesem Schritt folgten, darunter bereits 22 der 27 EU-Mitglieder, weigert sich Belgrad beharrlich, den Verlust seiner südlichen Provinz hinzunehmen. Gleichzeitig behindert der unklare rechtliche Status Kosovos den Aufbau staatlicher Strukturen. Die faktische Abspaltung des serbisch dominierten Nordens vom übrigen, mehrheitlich albanisch bevölkerten Staatsgebiet, kommt erschwerend hinzu.

Erfolge und Grenzen der EU-Mediation

Seit Anfang 2011 bemüht sich der Europäische Auswärtige Dienst um eine für beide Seiten akzeptable Lösung der Kosovo-Frage. Dieser Mediationsversuch trug auch bereits erste Früchte. So unterzeichneten beide Parteien Anfang Juli 2011 eine Teileinigung über praktische Fragen der Zusammenarbeit, etwa im Bereich des Warenaustauschs und des freien Personenverkehrs.

Nur wenige Wochen später jedoch eskalierte ein bereits seit längerer Zeit schwelender Zollstreit zwischen Kosovo und Serbien: Bei Zusammenstößen zwischen kosovarischen Sicherheitskräften und der aufgebrachten serbisch-kosovarischen Bevölkerung starb ein kosovarischer Polizist, der Grenzübergang bei Jarinje wurde niedergebrannt.

Seitdem sind die Verhandlungen wieder festgefahren: Der kosovarische Premierminister Hashim Thaci warf der Regierung in Belgrad vor, maßgeblich auf die Eskalation hingewirkt und diese sogar koordiniert zu haben. Die serbische Seite stellte daraufhin die bisher erreichten Kompromisse in Frage und brachte erneut eine Teilung Kosovos ins Spiel.

Zwar führte die zögerliche Wiederaufnahme des Dialogs seit Ende November zu einer formalen Einigung zwischen Belgrad und Pristina hinsichtlich der Kontrolle der umstrittenen nordkosovarischen Grenzübergänge, deren konkrete Umsetzung dürfte sich jedoch schwierig gestalten.

Deutschlands Strategie der Härte

Angesichts dieser Eskalation hat Deutschland den diplomatischen Druck auf Serbien erhöht. Bereits anlässlich seines Besuchs in Belgrad im August 2011 sprach Außenminister Guido Westerwelle davon, dass auf dem Balkan nun alle territorialen Fragen gelöst seien. Damit brachte er die von vielen Partnern Deutschlands geteilte Sorge vor einer Abtrennung Nordkosovos zum Ausdruck und steckte einen klaren Verhandlungsrahmen für künftige Gespräche ab.

Bundeskanzlerin Angela Merkel legte bei einem Treffen mit dem serbischen Staatspräsidenten Boris Tadic im September nach: Die Verleihung des EU-Kandidatenstatus sei nur denkbar, wenn Serbien glaubhafte Schritte zum Abbau von Parallelinstitutionen im Nordkosovo unternehme. So verknüpfte die Kanzlerin eine Beförderung Serbiens im Beitrittsprozess direkt mit Fortschritten im Kosovo-Dialog.

Mit der Ablehnung des Kandidatenstatus für Serbien auf dem Dezember-Gipfel hat die Bundesregierung eindeutig klargemacht, dass sie die bisherigen Anstrengungen Serbiens für nicht ausreichend hält. Eine solche Strategie der Härte ist jedoch sowohl hinsichtlich ihrer Begründung als auch ihrer möglichen Konsequenzen fragwürdig. Die Bundesregierung riskiert durch ihr strenges Auftreten, die bisher eher konstruktive serbische Seite zu vergraulen. So sinkt die Wahrscheinlichkeit einer einvernehmlichen Lösung der Kosovofrage noch weiter.

Die Ablehnung des EU-Kandidatenstatus für Serbien durch die Bundesregierung gründet auf der Annahme, durch stärkeren Druck auf Serbien könne das Land im Kosovodialog kompromissbereiter werden. Der bisherige Verlauf des serbischen Beitrittsprozesses lässt jedoch eher das Gegenteil erwarten: So vergrößerte die Aussetzung der Verhandlungen für ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) im Mai 2006 die serbische Kooperationsbereitschaft nicht. Stattdessen war es gerade der Abschluss eines SAA im April 2008 – trotz der nicht erfolgten Festnahme dreier wichtiger mutmaßlicher Kriegsverbrecher – der der jetzigen, reformfreudigen Regierungskoalition zum Wahlsieg verhalf.

Zwar wird eine Verknüpfung der Kosovo-Frage mit Serbiens EU-Beitritt letzten Endes unausweichlich sein. Gerade vor dem Hintergrund der Zypern-Problematik ist es nicht vorstellbar, dass die Union einen weiteren Mitgliedstaat mit einem ungelösten territorialen Konflikt aufnimmt.

Dennoch ist es gerade in den frühen Etappen des langwierigen Beitrittsprozesses sinnvoll, Entscheidungen über das Weiterkommen von den internen Reformanstrengungen des Landes abhängig zu machen. Und hier hat Serbien im Laufe des Jahres 2011 beachtliche Fortschritte gemacht:

So wurde nicht nur der institutionelle Rahmen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechts- und Minderheitenschutz deutlich verbessert. Belgrad zeigte zudem durch die Verhaftung der letzten flüchtigen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Goran Hadzic, dass inzwischen der Wille zur Erfüllung schwieriger politischer Beitrittsbedingungen vorhanden ist.

Nicht zuletzt dieser reifere Umgang mit der Kriegsverantwortung der 1990er Jahre verdient Anerkennung seitens der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten und sollte als Zeichen dafür gewertet werden, dass Serbien sich nun klar für eine Zukunft in der EU entschieden hat.

Kandidatenstatus als Ansporn

Ganz im Gegensatz zu ihrer symbolischen Aufladung in der öffentlichen Debatte ist die Verleihung des Kandidatenstatus aus EU-Perspektive letztlich ein eher marginaler Schritt, der mit keinen zusätzlichen finanziellen Zuwendungen verbunden ist. Er bedeutet lediglich die formale Aufwertung eines Landes, das sich nun auf die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen vorbereiten kann. Während dieser Verhandlungen bietet sich den Mitgliedstaaten ausreichend Gelegenheit, sowohl den Reformwillen Serbiens als auch die Bereitschaft zu regionaler Zusammenarbeit zu evaluieren.

Für Serbien hätte die Anerkennung als offizieller Beitrittskandidat hingegen eine bedeutende Würdigung seiner Reformen dargestellt. Proeuropäischen Politikern des Landes wäre sie ein wichtiger Ansporn für weitere Reformen gewesen. Überdies hätte die deutsche Bundesregierung zu einer Verstärkung der Reformdynamik im Land beitragen und dem Dialog zwischen Serbien und Kosovo einen weiteren Impuls geben können.

Die EU-Mitglieder haben ihre Entscheidung allerdings lediglich vertagt und beschlossen, im März 2012 erneut über die Verleihung des Kandidatenstatus an Serbien zu beraten. Die möglichen Konsequenzen einer weiteren Vertröstung Serbiens sollten genau bedacht werden. Wenn die Verleihung des Kandidatenstatus an das Balkan-Land noch einmal scheitert, dürfte die von Belgrad als unfair wahrgenommene Vermengung von Beitrittsprozess und Fortschritten in der Kosovofrage nämlich eine gegenteilige Wirkung entfalten.

Sowohl Regierung als auch Bevölkerung würden sich enttäuscht von der EU abwenden. Entsprechend ist mit einer Verlangsamung des Reformprozesses und einer weiteren Verhärtung der Haltung gegenüber dem Kosovo zu rechnen. Angesichts der anstehenden Parlamentswahlen in Serbien im Mai 2012 wäre zudem die Ablösung der reformorientierten Regierung durch eine stärker national orientierte Führung wahrscheinlich. Dies wäre ein Rückschritt nicht nur für Serbien, sondern für die gesamte Region, die gespannt die Entwicklungen in Belgrad beobachtet. Eine Lösung der Kosovofrage würde in noch weitere Ferne rücken. Schließlich würde die Glaubwürdigkeit des Beitrittsprozesses sowie der EU insgesamt geschwächt, mit entsprechenden Konsequenzen für die Einflussmöglichkeiten der Union in ihrer Nachbarschaft.

Bibliografische Angaben

Wunsch, Natasha. “EU-Kandidatenstatus für Serbien.” December 2011.

DGAPstandpunkt 15, 13. Dezember 2011, 4 S.

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