Policy Brief

22. März 2016

Transformation in der Sackgasse

Die Krise in der Republik Moldau wird trotz der geglückten Regierungsbildung anhalten

Korruption und Partikularinteressen der politischen Eliten verhindern die Entwicklung des kleinen osteuropäischen Landes und seine Annäherung an die EU. Die wiederum hat auf diese Probleme keine überzeugenden Antworten.

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Ende Januar ernannte Staatspräsident Nicolas Timofti in der moldauischen Hauptstadt Chisinau die neue Regierung unter Premierminister Pavel Filip. Seit den Parlamentswahlen im Dezember 2014 hat das Parlament bereits fünf neue Regierungen gewählt. Die letzte Regie­rung stürzte im Herbst 2015 über den „Jahrhundertraub“: Kurz vor den Parlamentswahlen im Dezember 2014 war circa eine Milliarde Euro aus drei moldauischen Banken abgeflossen. Der Verbleib großer Teile des Geldes ist nach wie vor ungeklärt und die vollständige Aufklärung des Skandals bis heute nicht gelungen. Seitdem hatte sich die Regierungskoalition auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen und somit dem Parlament keinen Vorschlag zur Abstimmung vorlegen können. Anhaltender Protest der Bevölkerung angesichts korrupter Eliten und einer wirt­schaftlichen Talfahrt begleitet das politische Tauziehen.

Die Regierungskoalition will Neuwahlen verhindern

Proteste begleiteten auch die Wahl und Ernennung Pavel Filips zum Premierminister. Im Vorfeld hatte sich Präsi­dent Timofti zunächst geweigert, Vladimir Plahotniuc, den Kandidaten der pro-europäischen Regierungskoaliti­on[i] zu ernennen. Er begründete dies mit der mangelnden Integrität Plahotniucs. Timofti stützte sich dabei auf ein Verfassungsgerichtsurteil, das Integrität als erforderliche Eigenschaft eines Premierministers aufführt. Sein Schritt war überraschend, denn er gilt als ein eher blasser und zurückhaltender Amtsinhaber. Die Regierungskoalition hielt ihm entgegen, dass das Verfassungsgericht in einem anderen Urteil dem Präsidenten die Möglichkeit abspricht, einen vom Parlament gewählten Premierminister nicht zu ernennen.

Die Mehrheit für die neue Regierung kam schließlich mithilfe einer neuen Parlamentariergruppe zustande, die sich von den pro-russischen Parteien der Opposition abge­spalten hatte und Filips Wahl unterstützte. Filip ist somit in erster Linie ein Kompromisskandidat, um die Bildung einer Regierung noch zu ermöglichen und so die Wahl eines neuen Parlaments zu verhindern.

Protestierende Bürgerinnen und Bürger und die parlamentarische Opposition fordern nun ebendiese Neuwahlen mit Verweis auf die grassierende Korruption und die verlorene Glaubwürdigkeit der Regierung. Die regierenden Parteien hingegen wollen sie um jeden Preis vermeiden, da aktuellen Umfragen zufolge die pro-rus­sische Opposition gewinnen würde. Die Umfragen legen zudem den Parlamentseinzug der Partei „Volkskraft“ nahe, an der sich wiederum die Bürger-Plattform „Würde und Wahrheit“ beteiligt; die Plattform hat maßgeblich an den Demonstrationen der vergangenen Monate mitgewirkt, kritisiert die Politik der Eliten als eigeninteressengetrie­ben und sieht sich als Verfechterin einer tatsächlichen Annäherung an die EU, im Gegensatz zur rein nominellen EU-Ausrichtung der regierenden Parteien. Es bleibt ab­zuwarten, ob drohende Neuwahlen als Kitt zwischen den Machtgruppen der aktuellen Koalition ausreichen oder ob ihre divergierenden Interessen auch der neuen Regierung die Macht kosten; es waren mitunter diese unterschiedli­chen Interessen, die eine Regierungsbildung in den letzten Monaten verhinderten.

Oligarchen dominieren die Politik Moldaus

Dass die Ernennung der Regierung Filip derweil die Krise in Moldau beenden wird, ist zu bezweifeln. Ähnlich wie seine Vorgänger aus dem vergangenen Jahr ist Filip ledig­lich das Gesicht einer kleinen Machtelite. Diese Gruppe aus wenigen Oligarchen dominiert die Politik Moldaus und richtet sie wesentlich nach ihren eigenen Interessen aus. An die Öffentlichkeit gelangen diese Mechanismen in Form von Skandalen und Machtkämpfen einzelner Protagonisten, wie nun bei der Aufklärung des „Jahrhun­dertraubs“ oder dem Ausschluss der Partei Patria[ii] von den Wahlen 2014.

Die Demonstrantinnen und Demonstranten richten ihren Protest hauptsächlich gegen den Unternehmer und Politiker Vladimir Plahotniuc, weil sie ihn als den eigent­lichen Machthaber hinter den Kulissen sehen. Die Person Plahotniucs ist aber vielmehr Symbol für ein breiteres Problem, dass die Eliten im Allgemeinen beschreibt: Sie teilen die finanziellen Ressourcen und Machtpositionen des Landes untereinander auf. Plahotniuc verfügt nicht nur über ein beachtliches Vermögen, sondern gilt als eigentlicher Lenker der moldauischen Justiz, die er durch geschickte Machtpolitik steuert. Die Generalstaatsan­waltschaft gilt als sein enger Verbündeter. Im Zuge der Aufklärung des „Jahrhundertraubs“ wurde der ehemalige Premierminister Vlad Filat, Kopf der Liberaldemokraten und Konkurrent Plahotniucs im politischen Machtkampf, nach Ermittlungen ebendieser Staatsanwaltschaft im Gefängnis festgesetzt. Eine Beteiligung Filats an diesem Skandal ist durchaus möglich; dass jedoch nur er und kein weiterer hochrangiger Politiker strafrechtlich ver­folgt wird, legt eine Instrumentalisierung des Skandals nahe, die Plahotniuc in die Hände spielt.

Der Staat als Mittel zur persönlichen Bereicherung

Politik, Justiz und Verwaltung Moldaus haben sich zu einem auf sich selbst ausgerichteten System entwickelt, mit dem Ziel und Zweck des sogenannten Rent-Seekings: Der Staat wird durch die Eliten als bloße Ressourcen- und Einkommensquelle genutzt und zu diesem Zweck auf­rechterhalten, ohne dass die eigentlichen Staatsaufgaben erfüllt werden. Das Gemeinwohl ist zur Nebensächlich­keit geworden. Bei der Aufteilung von Staatsbesitz und zentralen politischen Machtpositionen, von finanziellen Ressourcen und lukrativen Aufträgen steht die per­sönliche Bereicherung der Eliten und nicht die weitere Entwicklung und Transformation von Staat und Gesell­schaft im Zentrum. Wählerinnen und Wähler verkommen zum bloßen Mehrheitsbeschaffer, den es zu täuschen gilt, während Macht- und Ressourcengewinn zum politischen Inhalt werden.

Die ausufernde Korruption und das Unvermögen der Justiz, diese zu bekämpfen, sind nicht nur die wesentli­chen Hindernisse für weitere Reformen, sondern auch für die Annäherung an die EU. Die Regierung setzt die von der EU geforderten und im Assoziierungsabkommen vereinbarten Reformen nur soweit um, wie es den Inter­essen der moldauischen Machteliten nutzt. Weil etwa der Einfluss auf die Justiz als das probate Mittel gilt, sich vor Strafverfolgung zu schützen und gleichzeitig Konkurren­ten durch ebenjene Strafverfolgung auszuschalten, blei­ben unter anderem die so notwendigen Justizreformen aus, wie etwa die Reformierung der Staatsanwaltschaft und der Strafverfolgung.[iii]

Europäische versus Eurasische Union?

Die Annäherung an die EU und damit die geopolitische Ausrichtung des Landes sind ein zentrales Leitmotiv des Diskurses in und über Moldau. Moldauische und euro­päische Politikerinnen und Politiker reduzieren sowohl Wahlkämpfe im Land selbst als auch EU-Entscheidungen zu Moldau auf die simple Formel Europäische Union versus Eurasische Union. Die Eliten nutzen diese Zweitei­lung als Mobilisierungsinstrument in Wahlkämpfen. Die moldauische Bevölkerung ist in ihren außenpolitischen Präferenzen gespalten, die fortwährende Instrumentali­sierung dieses Diskurses vertieft jedoch die Gräben weiter und versperrt den Weg für konstruktive Lösungen.

Zudem ist zweifelhaft, inwiefern alle Parteien ihre in Wahlkämpfen postulierten geopolitischen Präferenzen in Regierungsverantwortung tatsächlich umsetzen würden. So war es etwa die pro-russische Kommunistische Partei, die in den 2000er-Jahren die Annäherung an die EU anstieß, um die Modernisierung des Landes mithilfe der EU weiter zu forcieren. Die pro-europäischen Regierun­gen haben sie lediglich weitergeführt. Doch durch deren inkonsequente Umsetzung der Reformen erleidet die pro-europäische Ausrichtung des Landes heute erhebliche Rückschläge.

Die EU will Moldau auf pro-europäischen Kurs halten

Die Debatte über die außenpolitische Ausrichtung ist für Moldau ohne Zweifel von zentraler Bedeutung, verdeckt aber den Blick auf die Reformunfähigkeit und Korruption im Land, die unabhängig von geopolitischen Präferenzen allen Eliten eigen ist. Im vermeintlichen Wettlauf mit Russland und auch, um den einstigen Musterschüler der Östlichen Partnerschaft (ÖP) nicht aufzugeben, ist die EU zu Zugeständnissen bereit. So gewährte sie der separa­tistischen Republik Transnistrien zum Jahresbeginn den Beitritt zur Freihandelszone mit Moldau – obwohl die transnistrischen Machthaber die nötigen Reformen und Anpassungen an EU-Standards, beispielsweise in den Bereichen Handel, Warenkennzeichnung und Qualitäts­sicherung, nicht vorgenommen haben. Die EU gewährte Transnistrien nun eine Frist von zwei Jahren, um dies nachzuholen.

Zusätzlich hält die EU an den pro-europäischen Kräften, also der derzeitigen Regierungskoalition im Parlament fest, obwohl diese sich als mindestens ebenso korrupt erweist wie die Opposition. Die EU unterschätzt die macht- und ressourcenorientierten Mechanismen der Eliten oder nimmt sie sogar in Kauf, um den pro-europäischen Kurs der Republik nicht zu gefährden. Eine als Mobilisierungsinstrument genutzte pro-europäische Ausrichtung ist jedoch keine echte Umsetzung europäi­scher Prinzipien. Das der Östlichen Partnerschaft eigene Prinzip der Konditionalität wird verletzt. Zum einen möchte man, wie erwähnt, das einstige Vorzeigeland der ÖP im geopolitischen Wettstreit mit Russland nicht preis­geben. Zum anderen hat die EU bis dato kein adäquates Konzept gefunden, um auf die Probleme zu reagieren und konsequent gegenzusteuern. Das Prinzip der Konditiona­lität bleibt als struktur- und anreizgebendes Instrument jedoch unersetzlich.

Die Durchsetzung notwendiger Reformen ist mit der derzeitigen Regierung und Machtelite nicht möglich. Die Aussichten für das Land bleiben düster, solange ein glaubwürdiger, jedoch nur schwer zu erreichender Elitenwechsel ausbleibt; diesem müsste auch ein langwie­riger Prozess des Wechsels und der Umschulung in den Verwaltungen und Behörden folgen, denn die Korrup­tion reicht tief in sie hinein. Die Langwierigkeit und die enormen Hindernisse eines solchen Vorhabens lassen sich auch an den Schwierigkeiten einiger Balkanländer seit dem Ende des dortigen Krieges beobachten. Angesichts ihrer eigenen langen Liste an Problemen verfügt die EU kaum über den politischen Willen, sich in Moldau stärker zu engagieren und einen Elitenwechsel zu forcieren und zu begleiten. Dasselbe gilt für Russland. Die Interven­tion in Syrien, die Annexion der Krim und das Stützen der prorussischen Regime in separatistischen Gebieten kosten Moskau enorme Ressourcen. Es scheint daher an einer Eskalation des Konflikts um Transnistrien zurzeit kein Interesse zu haben; allein die Drohung eines solchen Szenariums reichte aus, die Politik Chisinaus zu beein­flussen. Moldau und seine protestierende Zivilgesellschaft bleiben auf absehbare Zeit auf sich allein gestellt.


[i] Die pro-europäische Regierungskoalition besteht aus der Demokratischen Partei, der auch Plahotniuc angehört, der Liberaldemokratischen Partei und der Liberalen Partei. Die Kommunis­tische Partei und die Sozialistische Partei bilden die Opposition.

[ii] Die Partei Patria des schillernden und ebenso um­strittenen Politikers und Unternehmers Renato Usatii ist pro-russisch ausgerichtet und wurde von den letzten Parlamentswahlen 2014 kurz vor dem Urnengang ausgeschlossen. Umfragen hatten der Partei einen Einzug in Parlament vorhergesagt. Sie hätte damit das Machtverhältnis im Parlament zugunsten der pro-russischen Opposition ver­schieben können. Ihr Ausschluss von den Wahlen ist vor allem auch vor dem Hintergrund des dro­henden Machtverlusts der Regierungskoalition zu verstehen.

[iii] Weitere Informationen vgl. Igor Botan et al., Euromonitor: implementation of the EU-Moldova Association Agreement during Aug-Dec 2015, 27.1.2016, <http://www.expert-grup.org/en/biblioteca/item/1202-euromonitor-aa-augus…; (abgerufen am 11.2.2016).

Bibliografische Angaben

Pagung, Sarah. “Transformation in der Sackgasse.” March 2016.

DGAPkompakt Nr. 5, 16. Februar 2016, 3 S.

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