Kooperation wo möglich, Eindämmung wo nötig

DGAP-Experte fordert Strategiewechsel in der deutschen Russlandpolitik

Die deutsche und die europäische Russlandpolitik stecken in einer Sackgasse. Der Westen setzt auf Sanktionen und Krisenmanagement in der Ostukraine. Russlandexperte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik geht das nicht weit genug. „Sanktionen sind alternativlos, sie ersetzen aber keine aktive Politik“, so Meister. „Sie sollten von einer umfassenden Strategie für die Bereiche harte Sicherheit, Stärkung der Zivilgesellschaft und Medienmanipulation begleitet werden.“

In einem aktuellen Positionspapier hat der Russlandexperte der DGAP, Stefan Meister, Thesen für eine neue deutsche Russlandpolitik formuliert.

  1. „Deutschland sollte Abstand vom Eliten-Dialog nehmen und den zivilgesellschaftlichen Austausch stärken“, sagt Meister. Er fordert eine „positive Agenda für die russische Gesellschaft“, etwa durch Visaerleichterungen, mehr Austauschprogramme für Studenten und junge Berufstätige sowie durch den Umbau des Petersburger Dialogs zu einer echten gesellschaftlichen Plattform.
  2. Das Angebot unabhängiger russischsprachiger Medien solle durch die EU-Mitgliedstaaten ausgebaut werden, „um Halbwahrheiten und Lügen der russischen Politik und Medien transparent zu machen und um europäische Politik in Russland zu erklären“, so Meister. Dazu könne etwa das russischsprachige Programm des Senders Euronews entwickelt werden. Stiftungen sollten zudem den freien Journalismus in Russland und der Ukraine gezielt fördern.
  3. Um die Situation in der Ukraine rasch zu stabilisieren, müsse die NATO-Integration mittelfristig ausgeschlossen werden, empfiehlt Stefan Meister. Ein langwieriger Beitrittsprozess in die  NATO würde der Ukraine in ihrer prekären Situation nicht helfen. „Die Ukraine und andere postsowjetische Staaten müssen außerhalb der NATO stabilisiert werden, um sich selbst verteidigen zu können“, sagt der DGAP-Experte. „Deutschland und die EU sollten beim Aufbau entsprechender Ressourcen aktiv mitwirken, allein schon, um zu verhindern, dass in unserer Nachbarschaft auf Dauer instabile Staaten entstehen.“
  4. Um mit Russland über harte Sicherheitsfragen zu sprechen, sei die OSZE zu schwach, schreibt Stefan Meister. Er schlägt den NATO-Russland-Rat als Ort vor, um alle Verhandlungspartner an einen Tisch zu bekommen. „Dieses Gremium, wo auch die USA Mitglied ist, ist die relevante Sicherheitsinstitution des Westens“, so der DGAP-Experte.
  5. Deutsche Investoren stünden in Russland mittelfristig vor großen Herausforderungen. Meister erwartet, dass sich das Investitionsklima weiter verschlechtere, da die russische Wirtschaftskrise nicht nur auf Sanktionen, sondern vor allem auf strukturelle Defizite zurückzuführen sei. „Die deutsche Wirtschaft sollte mehr Verantwortung übernehmen: Kommunikationskanäle offen halten aber gleichzeitig russische Praktiken nicht übernehmen oder tolerieren“, fordert Meister.

„Die polarisierte Debatte über die Russland- und Ukrainekrise steht einer Neuausrichtung im Weg“, kritisiert der Politikwissenschaftler. Der Konflikt mit Russland sei eine langfristige Herausforderung, die weit über die Ukraine hinausreiche. Um adäquate Antworten auf die Umbrüche in der östlichen Nachbarschaft Europas zu finden, müssten alle Akteure, die in der Region aktiv seien, ihre Kräfte bündeln.


Zum Download:
DGAPkompakt Nr. 3/2015 (PDF-Dokument)
„Thesen für eine neue deutsche Russlandpolitik“
Von Dr. Stefan Meister

Dr. Stefan Meister leitet das Russlandprogramm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die russische Außen- und Sicherheitspolitik sowie die EU-Russland-Beziehungen.

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