Für ein starkes Europa

Außenminister Heiko Maas beim Außenpolitischen Salon des DGAPforums Hansestädte in Bremen

Datum
04 März 2019
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
Bremer Rathaus, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

Share

Auf einer gemeinsamen Veranstaltung des DGAPforums Hansestädte zusammen mit dem „Weser-Kurier“ warb Außenminister Heiko Maas in einer Rede für seine Vision eines gemeinsamen Europas. In der anschließenden Diskussion debattierten Daniela Schwarzer, Direktorin der DGAP, und Staatsminister Niels Annen über die Herausforderungen für die EU. Moderiert wurde die Veranstaltung von Moritz Döbler, dem Chefredakteur des „Weser Kurier“. Gastgeber war Bremens Bürgermeister Carsten Sieling.

Lesen Sie die Rede im Wortlaut:

Rede von Außenminister Heiko Maas beim Außenpolitischen Salon des DGAPforums Hansestädte in Bremen

Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihrem Bürgermeister bedanken, der dafür gesorgt hat, dass mir die Hansestadt Bremen am Rosenmontag Asyl gewährt. Das entbindet mich von einer Vielzahl anderer Veranstaltungen, die mich an anderer Stelle heimgesucht hätten. Aber natürlich nicht nur deshalb bin ich heute Abend gerne hier, sondern es gibt, ganz viele interessante Themen. Ich hatte heute auch schon hier einige Begegnungen vor allen Dingen mit Schülerinnen und Schülern aus Schulen dieser Stadt und es ist wirklich eine ganz interessante Diskussion gewesen, die wir dort geführt haben, auch zum Thema Außenpolitik. Im Übrigen mit großem Interesse und gut informiert, also à la bonheur.

Ansonsten scheint das hier ja auch eine interessante Zusammenkunft zu sein. Wir erfahren von Staatsminister Annen, dass die meisten Abgeordneten aus Hamburg eigentlich in Bremen geboren sind, dass Frau Motschmann zwar jetzt in Bremen ist, aber in Hamburg auf der Schule gewesen ist. Also, das Thema Hamburg-Bremen ist mir auch aus dem Fußball bekannt. Da will ich aber aus eigenen Interessen nicht näher drauf eingehen, weil mich das hier, glaube ich, innerhalb kürzester Zeit relativ unbeliebt machen würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich auch, dass Sie so zahlreich erschienen sind zum Außenpolitischen Salon, denn ich glaube, es gibt tatsächlich im Moment in den einzelnen Politikfeldern, mit denen wir es zu tun haben, wenige, in denen so viel in Bewegung ist und wo so viele Weichenstellungen zur Zeit getroffen werden. Im Moment bewegt sich unheimlich viel. Es wird unheimlich Vieles neu geordnet. Es wird viel bewegt und wir haben im Moment die Möglichkeit, an den Weichenstellungen, die jetzt vorgenommen werden, auch mitzuwirken. Das ist nicht einfach und ich kann auch nicht sagen, wo das im Moment hinführt. Aber die Tatsache, dass wir uns dort aktiv beteiligen, auch als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, ist wirklich eine große Herausforderung.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade hier in Bremen könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Menschen in den letzten Jahrhunderten wenig gelernt haben. Weniger die Bremerinnen und Bremer, sondern vielmehr andere.

Schon Mitte des 12. Jahrhunderts stand die Hanse für den Abbau von Schranken, für gemeinsame Investitionen in Sicherheit, für den freien Austausch von Gütern und Ideen und für freie Wege und freien Handel. Mitte des 12. Jahrhunderts.

Und heute? Heute stehen, wenn man die internationale Politik verfolgt, die Zeichen eher auf Abschottung – sie reichen von Handelsbarrieren, die aufgebaut wurden, selbst bis hin zu echten Mauern, die errichtet werden.

Nationalistische Töne nehmen weltweit zu – leider auch bei uns in Europa und leider auch bei uns in Deutschland.

In Europa stehen wir in diesen Wochen ganz besonders vor zentralen Weichenstellungen.

  • Mit Großbritannien wird erstmals ein Mitgliedstaat die EU verlassen. Ausgerechnet die in vielen Punkten so weltoffenen und liberalen Briten haben sich für einen Rückzug von der EU entschieden. Und ich finde, das ist auch für die Geschichte dieser Region und dieses Landes eine wirklich außerordentlich traurige Ironie der Geschichte.
  • Und: Ende Mai wählen wir ein neues Europäisches Parlament. Und alle Prognosen, die es gibt, sehen Populisten und Nationalisten gestärkt aus dieser Wahl hervorgehen. Und ich glaube, es gibt viele, die das beunruhigt. Rechtspopulismus ist ein Frontalangriff auf die Werte, die uns ganz besonders am Herzen liegen und auf die wir uns innerhalb der EU als die Grundwerte der europäischen Idee verständigt haben.
  • Dass neuer Nationalismus das Problem, aber niemals die Lösung ist, ich glaube, das sollte gerade uns in Deutschland ganz besonders bewusst sein: Unsere Kultur, unser Wohlstand beruht vor allen Dingen auf offenen Grenzen und auf freiem Handel.
  • Ob Klimawandel, Digitalisierung oder Migration: kein einziges Land in Europa kann diese großen Herausforderung alleine lösen – auch nicht Deutschland. Ein ehemaliger belgischer Premierminister, ein in Vergessenheit geratener Gründungsvater der EU, Paul-Henri Spaak, hat vor vielen Jahrzehnten einmal gesagt: „Europa besteht eigentlich nur aus zwei Arten von Ländern: Kleinen Ländern und Ländern, die noch nicht gemerkt haben, dass sie klein sind.“ Und das ist, glaube ich, gerade heute, aktueller denn je. Denn auch wir in Deutschland als das wirtschaftsstärkste Land in Europa, werden nicht alleine in der Lage sein, in einer längst nicht mehr bipolaren Welt, unsere Werte und unsere Interessen erfolgversprechend durchzusetzen. Und deshalb: Isolation und Nationalismus sind nichts anderes als ein Irrweg in die politische Ohnmacht.
  • Unser Land, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat eine schwierige Vergangenheit, aber die Generation unserer Eltern hat ein modernes Deutschland im Herzen Europas geschaffen: weltoffen und liberal im Innern, gute Nachbarn und friedliche Partner nach außen. Über Jahrzehnte haben wir dies aufgebaut. Und dies zu bewahren ist unser Auftrag und zwar einer, der nicht so einfach werden wird, wenn ich mir unsere Rahmenbedingungen heute anschaue. Ja, die EU ist nicht perfekt, aber eines ist, glaube ich, doch ganz klar: Dass das, was von den Populisten uns vorgegaukelt wird als Lösung, keine ist, noch nicht noch einmal eine kurzfristige, vielleicht mit kurzfristigem Effekten. Aber bei all den Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben, die alle sehr komplex sind und alle sehr unterschiedlich, die aber alle eine Gemeinsamkeit haben: die Globalisierung, die Digitalisierung, der Klimawandel, die Migration, alle sind grenzenlos, sondern teilweise ist die Überwindung von Grenzen ein Kernbestandteil dieser Entwicklung. Deshalb ist es völlig illusorisch zu glauben, dass man bei diesen Herausforderungen noch mit nationalen Lösungen Antworten auf die Fragen finden kann, die wir uns heute stellen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir die Lage der Europäischen Union analysieren, gehört dazu auch ein offener und durchaus auch selbstkritischer Blick.

Seit der Lehman-Pleite ist die EU im Dauer-Krisenmodus. Die Wunden, die die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade in den südeuropäischen Ländern gerissen hat, sind bis heute immer noch nicht verheilt.

Wie sollten sie auch – wenn man bedenkt, dass in Griechenland, zeitweise mehr als jeder zweite Jugendliche arbeitslos war. Seit 2016 geht es zwar wirtschaftlich wieder bergauf in der EU. Aber die Unterschiede zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen West und Ost, sind nicht kleiner geworden, sondern sie sind teilweise sogar größer geworden.

2015 ist mit der Migrationspolitik ein neuer Spaltpilz hinzugekommen, der bis heute ganz grundlegende Fragen nach dem Wertefundament der EU aufwirft. Die politische Polarisierung, die wir in Deutschland erlebt haben – sie spiegelt sich auch auf der europäischen Ebene wider. Und ich will, um mal diesen Punkt aufzugreifen, die Tatsache, dass wir innerhalb der EU bis heute nicht in der Lage sind, eine Antwort auf die Migrationsfrage zu finden, zumindest eine praktische, eine technische. Nämlich, wie, Flüchtlinge nach Europa, in Europa verteilt werden, ist nah an einem Armutszeugnis für die EU. Wir sehen, dass im Mittelmeer die privaten Seenotretter unterwegs sind und aller paar Wochen versucht ein Schiff mit geretteten Flüchtlingen einen europäischen Hafen anzulaufen, in Spanien, Gibraltar, in Italien. Und mittlerweile werden diese Flüchtlinge nicht mehr in den Hafen gelassen, solange sich nicht ausreichend europäische Staaten sich gefunden haben, die die Flüchtlinge untereinander verteilen. Das führt uns, um es mal ganz praktisch zu beschreiben, wenn ein solches Schiff einen Hafen anläuft, dazu, dass Telefonketten zwischen Staatsministern, Außenministern über Tage durchgeführt werden – ich nehme 10, du nimmst 10, die nehmen 5 – bis von den 75 Flüchtlingen auf einem Boot dann alle aufgeteilt sind. So lange kreist das Boot im Mittelmeer und wird in keinen europäischen Hafen reingelassen. Das ist, glaube ich, nicht nur nahe an einem Armutszeugnis, das ist auch würdelos, dass wir in der EU nicht in der Lage sind, diese Frage vernünftig zu beantworten. Mittlerweile sind wir auch gar nicht mehr so weit, dass wir sagen, alle europäischen Staaten müssen an einem Verteilschlüssel für solche Situationen beteiligt werden. Wir haben ja schon festgestellt, dass das schon mal nicht funktioniert hat, und Leute wie Orban in Ungarn jemals bereit sein werden, sich daran zu beteiligen, glaube ich auch in Zukunft nicht. Und deshalb ist eigentlich nur eine Lösung denkbar, nämlich dass diejenigen, die dazu bereit sind, sich zusammentun und das kann deutlich mehr als die Hälfte aller Mitgliedsstaaten der EU sein. Und die, die nicht wollen, sich an anderer Stelle beteiligen müssen und dort in die Verantwortung gehen. Warum soll es nicht möglich sein, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen, sich stärker engagieren etwa in der größeren Fluchtursachenbekämpfung, wenn es um Afrika geht. Und dennoch ist es immer noch nicht möglich, diese Frage zu beantworten. Und das ist, glaube ich, wirklich ein gefährlicher Spaltpilz, den wir schon viel zu lange innerhalb der EU mit uns herumschleppen. Und das hat auch etwas mit Vertrauen zu tun. Da entstehen Gräben, die tief sind, Gräben zwischen Nord und Süd, aber eben auch Gräben zwischen Ost und West, und selbst Gräben, die es innerhalb der Mitgliedstaaten der EU gibt, sind ja nicht mehr zu übersehen. Und da ist viel Vertrauen verloren gegangen und das hat die europäische Handlungsfähigkeit geschwächt. Und wenn ich eine Erfahrung in den letzten Monaten gemacht habe, was internationale Politik und Diplomatie angeht, dann gibt es eine Währung, die unersetzlich ist, und das ist Vertrauen und Verlässlichkeit. Und die ist bedauerlicherweise im Moment in vielen Politikfeldern nicht mehr in der Form vorhanden, wie man das vielleicht aus der Vergangenheit gekannt hat und sich auch darauf stützen konnte.

Angesichts der Weltlage können wir Europäer es uns schlicht nicht leisten, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen. Denn die Welt um uns herum ist in den letzten Jahren eine andere – ja eine unsicherere - geworden.

Die regelbasierte internationale Ordnung ist längst unter Beschuss – im Übrigen nicht nur aus einer Himmelsrichtung. Wir stehen vor einem neuen Wettstreit der Großmächte, der viel unübersichtlicher ist, als den, den wir kennen aus Zeiten des Kalten Krieges.

  • Der wirtschaftliche und politische Aufstieg Chinas seit den 80‘er Jahren ist historisch einmalig, auch in der Geschwindigkeit. Prognosen sehen China bis 2030 als größte Volkswirtschaft der Welt – vor den USA.
  • Wir Europäer können uns nicht mehr zu 100% sicher sein, dass die USA, zumindest so wie dort im Moment Politik betrieben wird, bedingungslos zur transatlantischen Partnerschaft stehen.
  • Und Russland setzt zurzeit wieder auf militärische Stärke und versucht, die Gräben in den westlichen Gesellschaften gezielt zu vertiefen und auch diejenigen, die sich dort zusammengeschlossen haben, auseinanderzudividieren.

Und wenn man sich das alles anschaut, dann kann man schon den Eindruck, dass das Recht des Stärkeren immer häufiger gegen die Stärke des Rechts steht.

Wenn wir dem nichts entgegensetzen, dann droht vor allen Dingen eines, nämlich dann droht Europa zum bloßen Objekt der Weltpolitik zu werden. Wir wollen aber Akteur auf der Weltbühne bleiben, und deshalb muss Europa geschlossener nach innen und entschlossener nach außen auftreten, als das zurzeit der Fall ist. Kurz: Europa muss souveräner werden.

Meine Damen und Herren, das ist leicht gesagt und das sagen im Übrigen auch viele. Denn die Europäische Union war vor allen Dingen, zumindest ist das der Eindruck vieler, ein nach innen gerichtetes Projekt.

Dabei geht es darum, Frieden zu wahren zwischen den Ländern, wirtschaftlich gemeinsam voranzukommen und Wohlstand zu schaffen in allen Teilen des Kontinents. Dieses nach Innen gerichtete Europa muss nun plötzlich ein Akteur auf der Weltbühne sein, um Werte und Interessen durchsetzen zu können.

Was bedeutet das für uns in Europa?

Wir brauchen, nach meiner Einschätzung, erstens, eine echte europäische Außenpolitik.

Dabei, das will ich nicht verschweigen, dabei gab es wirklich Fortschritte in den letzten Jahren:

  • Der Europäische Auswärtige Dienst vertritt die EU mit über 130 Vertretungen in der ganzen Welt.
  • Wir haben eine viel engere Abstimmung der Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheit und Verteidigung auf den Weg gebracht - die sogenannte „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“.
  • Und: Unsere Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen richten wir bewusst ganz europäisch aus. Europäischer Sitz im Sicherheitsrat hin oder her. Im März wird Frankreich dort den Vorsitz übernehmen, gefolgt von uns im April. Und wir haben erstmals diese vier aufeinanderfolgenden Wochen als acht Wochen zusammengepackt, haben als Deutschland und Frankreich ein gemeinsames Programm für diese acht Wochen entwickelt. Die Franzosen beginnen unsere Projekte und wir enden mit unseren vier Wochen die Projekte der Franzosen. Und die P5, diejenigen, die dauerhaft im Sicherheitsrat vertreten sind und natürlich mehr Einfluss haben, werden sich, und so ist es in den ersten Wochen der Fall gewesen, mit den fünf europäischen Mitgliedern des Sicherheitsrates, die bisher in allen Fragen geschlossen abgestimmt haben, abstimmen müssen.
  • Also der europäische Sitz im Sicherheitsrat ist insoweit gewährleistet, weil die Europäer bisher große Einigkeit dort gewahrt haben. Das ist außerordentlich wichtig, weil wir nämlich auch dort, wenn wir eine europäische Außenpolitik machen wollen, als Europäer mit einer Stimme sprechen wollen. Und das ist gelungen, obwohl es vier nichtständige Mitglieder gibt und ein mit Frankreich ständiges Mitglied, das natürlich auch noch einmal dort ganz andere Möglichkeiten hat.

Meine Damen und Herren, bei der europäischen Außenpolitik wird es auch darum gehen, ob wir in der Lage sind, auf aktuelle weltpolitische Ereignisse in absehbar kurzer Zeit eine gemeinsame europäische Antwort zu finden. Und deshalb bin ich schon Wochen, Monate unterwegs in Europa, um mit Kolleginnen und Kollegen darüber zu sprechen, ob wir nicht eine strukturelle Veränderung herbeiführen sollen im Außenrat, nämlich das Prinzip der Einstimmigkeit zu beenden und das Prinzip der Mehrheitsentscheidung dort einzuführen.

Ich will mal ein Beispiel nennen. Als wir uns vor einigen Wochen im Außenrat mit dem Thema Venezuela beschäftigt haben und uns darüber unterhalten haben, wie gehen wir mit Juan Guaidó um, da waren sich 27 Mitglieder (im Moment sind wir noch 28) einig, außer einer. Der war anderer Meinung. Er wollte keine Anerkennung, keine Aufforderung zu freien, fairen und demokratischen Wahlen, sondern er wollte sich einfach raushalten. Das hat dazu geführt, dass wir in einer derartig exponierten Situation nicht in der Lage gewesen sind, als EU ein gemeinsames Statement abzugeben. Die Folge war, jeder hat ein Statement für sich abgegeben. Einige haben gar nichts abgegeben. Und damit hat man auch nur bedingt den Einfluss ausüben können, den wir eigentlich in dieser Situation ausüben wollten. Und deshalb glaube ich, dass es Situationen gibt, das muss nicht unbedingt generell bei allen Fragen der Fall sein, aber dass es sinnvoll wäre, bestimmte Themen festzulegen, bei denen man im Außenrat nicht mehr einstimmig entscheiden muss.

Meine Damen und Herren, die Handlungsfähigkeit nach Außen setzt aber natürlich auch ein Mindestmaß an Geschlossenheit nach Innen voraus.

Dafür müssen wir auch den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EU stärken – das ist der zweite Pfeiler eines souveränen Europas. Ein sozial gerechteres Europa wäre auch ein ganz zentraler Beitrag dazu, den Populisten die Stirn zu bieten, die die Unterschiede in Europa für ihre Zwecke missbrauchen.

Jacques Delors‘ bekanntes Bonmot, dass sich niemand in einen Binnenmarkt verliebe, ist zweifellos richtig. Doch auch wenn wirtschaftliche Integration nicht die Liebe der Europäerinnen und Europäer entfacht- muss sie ja auch nicht - so hat die EU doch über Jahrzehnte das europäische Wohlstandsversprechen erfüllt. Das muss uns auch in Zukunft gelingen– auch in Zeiten der Krise. Und dabei muss es uns auch gelingen, den Wohlstand in Europa gerechter zu verteilen.

  • Ein Ansatzpunkt ist z.B. auch die Steuerpolitik. Die EU muss noch energischer gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorgehen, als es bisher an der Tagesordnung war. Und auch eine viel diskutierte Digitalsteuer würde eine von den Bürgern zu Recht empfundene Gerechtigkeitslücke schließen. Denn es kann nicht sein, dass Digitalunternehmen wie Amazon, Google, Facebook und Co. in Europa Milliardengewinne erzielen, und im Übrigen nicht nur Milliardengewinne erzielen, sondern auch auf das Kommunikationsverhalten und auch Meinungsbildungsprozesse in Europa maßgeblich einwirken, aber die wirtschaftlichen Gewinne im Ausland versteuern.
  • Soziale Sicherheit setzt auch ein stabiles wirtschaftliches Fundament voraus - und dies bedeutet auch eine krisenfeste gemeinsame Währung. Im Verlauf der Eurokrise haben wir auch dazu wichtige Fortschritte erzielt.
  • Der Europäische Stabilitätsmechanismus hat mittlerweile die Schlagkraft, um Mitgliedstaaten auch in schweren Krisen zu unterstützen, trotz aller Diskussion, die es darüber gibt. Doch wir dürfen bei der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion aber auch nicht auf halber Strecke stehen bleiben.
  • Wir brauchen Absicherungsmechanismen schon bevor ein Mitgliedstaat ein Rettungsprogramm benötigt. Und innerhalb der Bundesregierung ist auch die Diskussion um die Arbeitslosenrückversicherung für die Eurozone ein Thema, mit dem wir uns weiter beschäftigen. Das Konzept ist relativ einfach: Wer in schlechten Zeiten Mittel bezieht, der zahlt diese in guten Zeiten zurück. Permanente Transfers werden auf diese Art und Weise ausgeschlossen, entgegen allem, was dazu in der Öffentlichkeit teilweise gesagt wird!
  • Am Ende geht es um eine Versicherung, die unsere Währung gegen erneute Krisen schützt. Dass diese kommen werden, ist relativ wahrscheinlich. Nicht nur aus Solidarität, sondern weil für Deutschland als Exportnation das wirtschaftliche Wohlergehen unserer Nachbarn in unserem ureigenen Interesse liegt, müssten wir eigentlich bei dieser Debatte aus eigenem Interesse Vorreiter sein.
  • Ein krisenfester Währungsraum würde den Euro auch als internationale Reservewährung für Anleger attraktiver machen. Langfristig sollten wir den Euro gegenüber dem Dollar emanzipieren. Denn die US-Regierung nutzt ja auch, und das ist eine neue Situation, mit der wir konfrontiert sind, die Dominanz des Dollars auch für Außenpolitik –etwa in ihrer Sanktionspolitik. Eine Stärkung der internationalen Rolle des Euro würde auch in diesem Bereich mehr europäische Solidarität bedeuten.

Meine Damen und Herren, die Stärkung der sozialen Dimension der EU kann helfen, dem Populismus den Nährboden zu entziehen. Doch wie gehen wir mit den Populisten von heute um, denen die Freiheit, Offenheit und Toleranz Europas ein Dorn im Auge ist? Und wer sich die Parlamentswahlen, die in Europa stattgefunden haben in den letzten Jahren, noch einmal genauer anschaut, welche Erfolge Populisten etwa in den Niederlanden, aber auch in den skandinavischen Ländern, zuletzt in Schweden erzielt haben, muss eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass es eben nicht nur die soziale Frage ist, die die Populisten thematisieren, sondern dass es auch kulturelle Fragen sind.

Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir zunächst einmal den Verschwörungstheorien der Orbans und Salvinis unsere Idee eines offenen, toleranten, freien Europas klar und deutlich und laut gegenüberstellen. Das ist der dritte Ansatzpunkt für ein souveränes Europa.

Trotz aller Schwierigkeiten – es gibt keinen Anlass für Fatalismus. Allerdings ist das, was ich beschrieben habe, letztlich auch nur im Zusammenhang wirksam. Es geht um die soziale Frage, es geht um Angst vor kultureller Überfremdung und wir müssen darauf eine Antwort finden, die diese Dinge alle berücksichtigt und dabei auch davon ausgeht, dass eben kein Anlass für Fatalismus herrscht. Das Vertrauen der Menschen in Europa doch da – das zeigt zum Beispiel das jüngste Eurobarometer. Es ist sogar größer geworden, auch als Reaktion auf den Brexit. Das ist ein gutes Fundament, auf das man aufbauen kann.

Den nationalistischen Tönen, den Rufen nach Abschottung, denen muss man ein positives Europabild entgegensetzen und ich bin mir absolut sicher, dass in unserer Bevölkerung dies auf fruchtbaren Boden fallen wird. Freizügigkeit, der Binnenmarkt, Dinge wie das Erasmus-Programm – das sind alles europäische Errungenschaften, die auch die europäische Idee weiterentwickeln und die wir auch h verteidigen müssen!

Und dabei ist mir noch eines ganz besonders wichtig: Gerade wir Deutschen dürfen, und das ist bedauerlicherweise insbesondere bei den Rechtspopulisten ein fließender Übergang geworden, wir Deutschen dürfen antisemitischen und rassistischen Tiraden nicht tatenlos zuschauen. Deshalb bin ich froh, dass nach der jüngsten Hetzkampagne endlich auch aus der Europäischen Volkspartei deutliche Stimmen zu vernehmen sind, die Orbans ständige Grenzüberschreitungen nicht mehr hinnehmen wollen.

Hetzerische Worte werden irgendwann zu Taten. Das wissen wir auch aus der Kriminalitätsstatistik. Antisemitisch motivierte Straftaten nehmen mittlerweile überall in Europa zu. Allein in Deutschland waren es 1.646 im vergangenen Jahr. Tendenz steigend.

Das ist eine Schande für Deutschland und auch Europa. Und deshalb werden wir uns im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nächstes Jahr dafür einsetzen, dass vor allen Dingen auch der Kampf gegen Antisemitismus viel stärker zu einem gesamteuropäischen Thema gemacht wird.

Nur, wenn Europa zu seinen Werten steht, wird es auch international als glaubwürdig wahrgenommen. Ohne Glaubwürdigkeit aber, gibt es auch keine europäische Souveränität.

Und deshalb: Verstöße gegen die Grundwerte der EU müssen Konsequenzen haben.

Im nächsten Finanzrahmen der EU diskutieren wir darüber, ob die Ausschüttung von Mitteln deshalb konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze geknüpft werden muss. Denn auf der einen Seite bei den Beitrittskandidaten, mit denen wir zurzeit verhandeln, ist das Rechtsstaatskapitel bei allen das schwierigste, die Anforderungen die höchsten. Und wir werden uns zwangsläufig auch Gedanken machen müssen darüber, ob diejenigen, die schon Mitglied in der EU sind, die aber die Rechtsstaatlichkeitskapitel bei Beitrittsverhandlungen nicht mehr erfüllen, auch innerhalb der EU einen Sanktionsmechanismus gegenübergestellt bekommen, über den wir momentan nicht verfügen.

Meine Damen und Herren, zu Beginn habe ich die Hanse erwähnt. In seinem Buch „Deutschland: Erinnerungen einer Nation“ erklärt der britische Historiker Neil MacGregor ihren Niedergang wie folgt: Es fehlte „eine wirkliche Struktur, sodass sich im Lauf der Zeit einzelne Kaufleute von der Hanse abwandten und diese sich schlicht auflöste.“

Was bedeutet das für die heutige Europäische Union? Natürlich verfügt die EU über gefestigte Strukturen. Doch sind diese Strukturen so gestaltet, dass sie den Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, auch wirklich gewachsen sind?

Ich glaube, wir haben ein gutes Fundament, aber die Strukturen, die wir haben, müssen dringend weiterentwickelt werden, um ein wirklich souveränes Europa zu schaffen:

  • Ein Europa, das handlungsfähig und bereit ist, sich kraftvoll in globalen Fragen und Krisen einzubringen und nicht nur Objekt derselben wird.
  • Ein Europa, das im Innern zusammenhält und sein Wohlstandsversprechen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern einlöst.
  • Ein Europa, das seine gemeinsamen Werte, Überzeugungen und Interessen glaubwürdig lebt und sie auch vertritt, nach Innen und nach Außen.

Aufgrund Deutschlands Lage, aufgrund seiner Geschichte, aufgrund seiner wirtschaftlichen Vernetzung liegt es in unserem nationalen Interesse, dieses Europa an führender Stelle maßgeblich mit voranzubringen. Das bedeutet auch, mehr, noch mehr in Europa zu investieren und einige lang gehegte Orthodoxien zu überwinden.

Deutschlands Sicherheit und Wohlstand hängen an Europa. Nationale Kurzsichtigkeit gefährdet diese Sicherheit und diesen Wohlstand.

Zwei Jahre vor seinem Tod schrieb Helmut Schmidt: "Das Zusammenwachsen der Völker Europas war von Anfang an ein Geben und Nehmen, und diejenigen, die über die Jahre am meisten davon profitierten, waren wir Deutsche."

Ich teile diese Einschätzung voll und ganz. Wir Deutsche sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass die Errungenschaften der Europäischen Union eben keine Selbstverständlichkeit sind. Ich erlebe das vielfach auch in Diskussionen mit Vertretern meiner Generation. Ich bin 1966 geboren und in Westdeutschland aufgewachsen. All das, was mein Leben lebenswert macht, habe ich schon vorgefunden. Nichts davon musste ich mir erkämpfen: Frieden, relativer Wohlstand, Rechtsstaat, Bürgerrechte, Freiheit, Demokratie. Das war alles da. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn ich die eine oder andere Diskussion in unserem Land verfolge, dass viel zu viele Menschen das alles für selbstverständlich halten. Das war schon immer da. Wenn man sich aber all die Entwicklungen anschaut, die ich beschrieben habe, in Europa, in unserem eigenen Land, auf der Welt, muss man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist. Oder zumindest muss man zu dem Ergebnis kommen, dass man die Selbstverständlichkeit durchaus leben kann, aber dass es auch Situationen geben kann, in denen man bereit sein muss, dafür einzustehen, mehr, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Und dafür bietet Europa eine große Chance. Und Europa braucht Unterstützung, weil Europa angegriffen wird, im Inneren und von außen, die europäische Idee. Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, Beiträge, die Deutschland zum Gelingen der EU leistet, sind kein Akt der Großzügigkeit oder ein Almosen an wirtschaftlich schwächere Länder.

Sie sind Voraussetzung für Frieden und Wohlstand auch bei uns – Investitionen auch in unsere eigene Zukunft.

Herzlichen Dank!

Die Rede ist dem Newsroom des Auswärtigen Amtes entnommen.

Beim Weserkurier finden Sie online einen Bericht zur Veranstaltung.

Format

Diskussion
Zielgruppe
DGAP Regionalforum Hansestädte
Kontakt
Core Expertise topic