Deconstructing Islamist Terrorism in Egypt

Policy Workshop

Datum
01 - 03 Oktober 2015
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 erlebt Ägypten einen dramatischen Anstieg in der Anzahl terroristischer Anschläge. Nordsinai ist das Zentrum des Aufstands, dem bereits hunderte Menschen zum Opfer fielen. Darunter befanden sich vorrangig Mitglieder der Staatssicherheitsdienste, aber auch Zivilisten. Die Gruppe Sinai Provinz (SP), ursprünglich Ansar Bayt al-Maqdis, ist die bedeutendste Terrorgruppe im Sinai und hat offen ihre Treue zum IS bekundet. Unlängst bekannte sich die Gruppe auch zu Anschlägen in urbanen Zentren Ägyptens. Auf der Liste der militanten Hauptakteure folgen „Ajnad Misr“ (Soldaten Ägyptens) und die Al-Qaeda-Splittergruppe Al-Murabitun. Weitere kleinere Gruppen mit unbekannten Namen erscheinen jedoch auch auf der Bildfläche. Zudem werden zunehmend regelmäßig Anschläge auf zivile Ballungszentren verübt, die weitestgehend ohne ein offizielles Bekennen ihrer Täter bleiben.

Währende des Workshops herrschte weitgehende Einigkeit, dass die Probleme im Sinai bis in die 1980er-Jahre zurückzuführen sind und dass die Halbinsel ein historisches Exempel für die gänzliche Vernachlässigung und Diskriminierung ihrer ursprünglichen Bewohner, der Beduinen, vonseiten der Regierung statuiert. Hierdurch wurde deren Treue zum Staat bereits vor Jahrzehnten eliminiert. Indes entstand ein fruchtbarer Boden für die Zusammenarbeit mit militanten Gruppen und/oder die Einreihung in deren Riege. So wurde betont, dass eine Gruppe wie „Sinai Provinz“ größere Schwierigkeiten hat, neue junge Mitglieder zu integrieren als eigentliche Rekruten zu finden. Trotz der kraftvollen Botschaften, die über das Internet und Satellitenkanäle übermittelt werden, spielt der persönliche Kontakt vor Ort für die Entscheidung junger Menschen zum Beitritt militanter Gruppen letztendlich die wichtigste Rolle.

Es wurde klar unterschieden zwischen Mitgliedern von Al-Qaeda auf der einen und Anhängern des IS und dessen angehörigen Gruppen auf der anderen Seite: Während die ersteren viel mehr von Ideologie geleitet und intellektuell beeinflusst sind und hierzu langer Ausbildung und Indoktrinierung unterzogen werden, instrumentalisieren IS-affiliierte Gruppen heute zwar Ideologie, doch schlagen sie aus der Emotionalisierung und dem Konzept der Ermächtigung ihr Hauptkapital. Auf diese Weise erlauben sie einen sehr schnellen Einstieg für neue Mitglieder. Dies wurde auch als ein Grund für Schwankungen in ihrer Basis und als Erklärung dafür herangezogen, dass diese Gruppen sich womöglich nicht als ebenso solide und dauerhaft wie Al-Qaeda herausstellen werden.

Jedoch wurde auch mehrmals betont, dass SP sich in vielerlei Hinsicht vom IS in Syrien und Irak unterscheidet, da sie sich für Informationen, Unterstützung und Logistik stark auf Einheimische verlassen. Während sie von ihrer Verbundenheit zum IS in Form von Mitkämpfern (Rückkehrer aus Irak und Syrien), Propaganda und Waffenlieferungen profitieren, können sie sich nicht die gleiche Härte erlauben, welche zum Beispiel bezeichnend für den IS im Umgang mit Einheimischen in Irak und Syrien ist.

In Bezug auf Deradikalisierungsmaßnahmen drängten einige Teilnehmer dazu, das Beispiel der ehemaligen Terrorgruppe Dschamaa Islamija zu berücksichtigen, welche sich vom Attentäter auf den früheren ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat zu einer gewaltlosen Gruppe entwickelte und ihre Ideologie neu definierte, um soziales und politisches Engagement zu fördern. Die Lektionen, die man aus diesem Fall ziehen konnte, wurden als hilfreich im Umgang mit heutigen Dschihadisten gewertet. Uneinigkeit herrschte aber sowohl bezüglich der Strategien und Methoden der ägyptischen Regierung im Kampf gegen den Terrorismus als auch hinsichtlich der Frage nach der – vor allem kurzfristigen – Schaffung eines Gleichgewichts zwischen Sicherheit und politischer Offenheit. Jedoch waren sich die Teilnehmer mehrheitlich einig darüber, dass die aktuelle erhebliche Einengung des politischen Handlungsraums Radikalisierung fördert, und deshalb friedliche Ausdrucksmittel eine entscheidende Rolle in der konstruktiven Kanalisierung von Frustrationen spielen.

Ideen zu kurzfristigen Strategien beinhalteten zum Beispiel den Vorschlag einer klar signalisierten Veränderung der Regierung in ihren Vorgehensweisen und Maßnahmen, welche bislang Zivilisten ins Visier nahmen und von Kollektivstrafen Gebrauch machte. So darf die Explosion eines Sprengsatzes nicht mit der fast gänzlichen Zerstörung der Gegend, ohne Rücksicht auf zivile Opfer, entgegnet werden. Hingegen sollte das Militär versuchen, sich die Unterstützung der Einheimischen zu sichern, indem es seine eigene Verletzbarkeit und sein Bedürfnis nach Hilfe und Informationen der Einwohner Sinais zeigt. Die Teilnehmer betrachteten die Veränderung der Geschichtsschreibung und Berichterstattung über den Sinai als Kernstück dieser Entwicklung und erreichten so einen Konsens in mittel- und langfristigen Strategien, nämlich in der Notwendigkeit, sozialwirtschaftliche Entwicklung und integratives Wirtschaftswachstum in den Vordergrund zu rücken.

23 Teilnehmer aus Ägypten, Marokko, der Türkei, Deutschland, Großbritannien, der Schweiz, Frankreich und Tschechien nahmen an dem Workshop teil, welcher mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung und des Auswärtigen Amtes verwirklicht werden konnte.

Format

Diskussion
Zielgruppe
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