Neuausrichtung der deutschen Russlandpolitik

Ansätze aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund der Ukrainekrise

Datum
19 März 2015
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Das Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und  Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAP hat es sich zur Aufgabe gemacht, Impulse für eine neue deutsche Russland- und Osteuropapolitik zu setzen. In dieser zweiten Podiumsdiskussion im Rahmen einer Veranstaltungsreihe diskutierten führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über Vorschläge für diese notwendige Neuausrichtung.

Zum Auftakt stellte Dr. Stefan Meister, Programmleiter Osteuropa, Russland und Zentralasien am Robert Bosch-Zentrum, Thesen für eine neue deutsche Russlandpolitik zur Diskussion. Dr. h.c. Gernot Erler, MdB, Koordinator der zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, stellte die politische Komponente der Neuausrichtung in den Vordergrund. Als Vertreter der Wirtschaft konnte Prof. Dr. Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, gewonnen werden. Prof. Dr. Joachim Rogall, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung, erweiterte die Diskussion aus der Perspektive der Zivilgesellschaft und privaten Stiftungswelt. Anschließend kommentierte Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Chefredakteur des Journals Russia in Global Affairs, die Thesen der Debatte aus einer russischen Perspektive.

Der Konflikt mit dem Westen als Legitimationsinstrument des Systems Putin

Stefan Meister argumentierte, dass die deutsche Russlandpolitik sich über die letzten Jahre weniger an der Realität orientiert habe, als vielmehr dem Wunschdenken unterlag, Russland würde sich so entwickeln wie man selbst. In Deutschland sei das Ende des Ost-West-Konflikts mit der Hoffnung verbunden gewesen, durch wirtschaftliche Kooperation Russland auch politisch zu modernisieren. Jedoch seien innenpolitische Entwicklungen in Russland ausgeblendet und Signale einer Entfremdung ignoriert worden. Der Konflikt mit dem Westen sei mit der dritten Amtsperiode Wladimir Putins als russischem Präsidenten zu einem zentralen Legitimationselement für das Machtsystem geworden. Die Annexion der Krim und der Krieg in der Ostukraine seien nun Ausdruck einer Machtpolitik, die klar Interessensphären absteckt. Diese Entwicklung begrenze das Interesse der russischen Führung an einem Ausgleich mit der EU und damit die Handlungsspielräume deutscher Diplomatie.

„Im Augenblick ist es der russischen Politik ziemlich egal, wie der Westen reagiert“

Aus Sicht Gernot Erlers wurde die Partnerschaft mit Russland konsequent gefördert, um das Vertrauen zwischen den beiden Ländern zu stärken. Aufgrund der Unterschätzung der russischen Wahrnehmung westlicher Politik habe dies jedoch nicht funktioniert. So seien Prozesse wie NATO- und EU-Erweiterung und die „farbigen Revolutionen“ in Moskau als „antirussische Aktivitäten“ empfunden worden, als „Produkt amerikanischer Geopolitik, gegen russische Interessen“. Diese andere Wahrnehmung sei dem deutschen Partner zum Teil bewusst gewesen, jedoch habe man nicht versucht, sich systematisch damit auseinanderzusetzen. Das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine sei aus russischer Sicht der „Schlussstein dieser Entwicklung gewesen, ein geopolitischer Zugriff auf das Brudervolk der Ukraine, um dieses endgültig aus dem russischen Einflussbereich herauszutrennen.“ Diese Provokationen mussten, aus russischer Sicht, ohne Rücksicht auf die Reaktion des Westens beantwortet werden. Dies sei durch die Annexion der Krim geschehen und werde mit der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine fortgeführt: „Im Augenblick ist es der russischen Politik ziemlich egal, wie der Westen reagiert.“ Um die von Stefan Meister genannten Vorschläge umsetzen zu können, müsse die Blickweise der führenden Schicht in Russland wieder verändert werden.

Die Rolle von Stiftungen und der Wirtschaft

Joachim Rogall verdeutlichte in der Diskussion, dass sich die Robert Bosch Stiftung zurzeit insbesondere für die Unterstützung eines unabhängigen russischen Journalismus einsetze. Die Stiftung sei bereits sehr früh nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in Osteuropa tätig gewesen und werde dieses Engagement unter den aktuellen Bedingungen weiter ausbauen. Dabei bänden Programme auch zunehmend Partner aus anderen EU-Mitgliedstaaten ein und seien gesamteuropäisch konzipiert. Rainer Lindner betonte, dass eine einseitige Fixierung bei der Neuausrichtung der deutschen und europäischen Osteuropapolitik auf Russland keine Lösung sei. Die Debatte müsse sich auf alle Länder der Region konzentrieren und insbesondere auf die Ukraine. Dabei könne die deutsche Wirtschaft eine Schlüsselrolle im Dialog spielen. Sonst könnte die wirtschaftliche und politische Entkopplung Russlands von den deutschen und westlichen Partnern hin zu den BRIC-Staaten erfolgen. Die Hauptsorge der Wirtschaftsvertreter liege weniger in ökonomischen Größen als in einer langfristigen Entwicklung, in der sich Russland und Ukraine dauerhaft voneinander entfernten und  „aus Brüdern Feinde würden“. Minsk 2 dürfe in der Tagespolitik nicht vernachlässigt werden, denn sonst drohe das Entstehen eines dauerhaften Unsicherheitsfaktors in der Ostukraine. Nicht nur eine neue Russland-Strategie, auch eine Ukraine-Strategie sollte erarbeitet werden.

Die aufgeworfene Frage über die Qualität des Dialogs mit Russland zeigt, wie schwierig dieser zu gestalten ist. Joachim Rogall erklärte, wieso die Kontaktaufnahme zu russischen NGOs sich als äußerst schwierig und kompliziert herausstelle. Einer der Hauptgründe seien die staatlichen Einschränkungen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen in Russland. Der Petersburger Dialog funktioniere, so Gernot Erler, im breiten Sinne, jedoch sei dieses Format kein Beispiel für eine konstruktive Diskussion. Doch Rainer Lindner – Außenminister Steinmeier zitierend – bemerkte, dass der Petersburger Dialog nicht zu einem Berliner Monolog reformiert werden sollte; bei der Weiterentwicklung solcher Formate sollte man die Interessen des Partners beachten und nicht Reformen an der Realität vorbei durchführen, da diese ansonsten ergebnislos blieben.

Russland in einer „strategischen Sackgasse“

Fjodor Lukjanow merkte an, dass sich Russland derzeit in einer „Phase des gescheiterten Übergangs“ befände. Dies sei das logische Resultat der von Putin fortgesetzten Politik seines Vorgängers Boris Jelzin, wie etwa die intransparente Privatisierung. Obwohl der Westen Russland politisch unterstützt habe, sei die Diskrepanz zwischen den deklarierten Zielen und der Realität immer drastischer geworden. Nach Rückkehr in das Präsidialamt 2012 sei Putin bewusst geworden, dass das aktuelle Entwicklungsmodell Russlands in einer „strategischen Sackgasse stecke“. So habe der Präsident eine Diskussion über Identität, Nationalismus und traditionelle Werte in der Gesellschaft eröffnet, die im Kontext der Ukrainekrise aufgegriffen worden sei, um das „ideologische Vakuum“ zu füllen. Jedoch hätten diese Entwicklungen die strategische Partnerschaft mit dem Westen zerstört und die Beziehung in die Zeit der „friedlichen Koexistenz“ zurückversetzt. Laut Lukjanow ist die zivilgesellschaftliche Situation in Russland schwierig, da russische Propaganda akzeptiert werde und die Bevölkerung zum größten Teil diese neue „Realität“ annehme. Andererseits wachse aber auch die Bürgergesellschaft, mit der ein Dialog stärker entwickelt werden müsse.

Frieden in Europa ist nur mit Russland möglich

Die Situation der friedlichen Koexistenz war laut Gernot Erler „in der Zeit des Kalten Krieges ein hoffnungstragendes Element“, „aber heute sind es zwei Schritte zurück.“ Integration und Interdependenz stellten für ihn langfristig das einzige Mittel dar, um dauerhaft Frieden in Europa zu garantieren. Für die deutsche Politik gelte weiterhin: Frieden in Europa ist nur mit und nicht gegen Russland möglich. Minsk 2 sei der Anfang eines konstruktiven Dialogs und ein Schritt auf dem langen Weg, der die Beziehung Russlands zur Weltgemeinschaft wieder normalisieren könne. Ohne Russland seien die globalen Probleme wie der Klimawandel oder die Terrorgefahr nicht lösbar, jedoch bedürfe es einer Veränderung der russischen Politik, die im Moment nicht abzusehen sei. Eine Lehre dieser Krise sei, die Notwendigkeit anzuerkennen, die Außen- und Sicherheitspolitik und die Krisenpräventions- und Managementfähigkeiten der Europäischen Union zu stärken.

Dr. Gereon Schuch, Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien, moderierte die Diskussion.