Eine Wachstumsstrategie für Europa

Experten diskutieren Ideen zur wirtschaftlichen Erholung Europas

Datum
19 November 2014
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
Europäisches Haus, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

Share

Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wies auf vier gleichzeitige Krisen hin: Wirtschafts-, Banken-, Schulden- und Vertrauenskrise. Diese könnten nur durch Wachstum überwunden werden. In Deutschland gebe es einen zu starken Fokus auf die Angebotsseite. Dabei greife die Vorstellung zu kurz, die Reformen der Agenda 2010 könnten als Vorbild für andere Euro-Mitgliedstaaten dienen, weil die globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen heutzutage anders seien. Die Frage, wie man die Entwicklung zu rückläufigen Investitionen umkehren kann, sei nicht allein durch Strukturreformen zu beantworten. In Deutschland mache sich die Investitionslücke laut DIW insbesondere durch die hohe Nettoersparnis und durch eingebrochene Direktinvestitionen in der Eurozone bemerkbar. Deflation sei ein ernsthaftes Risiko und die finanzielle Fragmentierung eine weitere Herausforderung. Wachstum könne gespeist aus Beiträgen des öffentlichen, vor allem aber des privaten Sektors entstehen, sowie durch mehr Wettbewerb im Dienstleistungsbereich.

Dr. Natacha Valla vom Französischen Forschungsinstitut für internationale Wirtschaft CEPII betonte, die Europäische Zentralbank sei mittlerweile als akzeptierter Bestandteil des policy mix zu einem „Risikoträger letzter Instanz“ geworden, wobei ein direkter Aufkauf von Staatsanleihen wegen zu geringer Akzeptanz nicht zu erwarten sei. Bei Reformen sollten die Struktur der öffentlichen Ausgaben und ein klarer Kalender zur Umsetzung im Fokus stehen. Gleichzeitig müsste es Reformanreize geben, wie etwa Flexibilität bei der Neuverschuldung. Beim Investitionspaket könnten nationale Förderbanken zusammen mit der Europäischen Investitionsbank eine wichtige Rolle spielen. Natacha Valla befürwortete strategische Strukturreformen, wie etwa Bürokratieabbau, denn dies seien Anpassungen ohne Kosten.

Thomas Westphal vom Bundesministerium für Finanzen diskutierte die Rolle des Staates bezüglich Investitionen. Es sei noch kein Abschwung in Deutschland zu beobachten. Das Land habe einen weiterhin stabilen Arbeitsmarkt. Die wachsende Wirtschaft einiger Länder, die unter dem Rettungsschirm standen, hätte die Richtigkeit der Strukturreformen bewiesen. Das Vertrauen, das die Finanzmärkte einigen Euro-Ländern zu Beginn der Krise entzogen, könne erneut verloren gehen, wenn behauptet werde, dass Staatsschulden weniger wichtig seien als öffentliche Investitionen. Stattdessen werde derzeit eine Mischung aus Strukturreformen und reifen, ausgewählten Investitionsprojekten angepeilt, teilweise von Förderbanken und durch öffentlich-private Partnerschaftsprojekte finanziert.

Dr. Anne Bucher von der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der EU-Kommission sagte, dass die Kommission zwar einen allmählichen Aufschwung prognostiziere, dieser sei aber fragil. Konsolidierung, kombiniert mit Investitionen, würde Vertrauen schaffen. Marktversagen gebe es einerseits bei Investitionen in grenzüberschreitende Projekte, zum Beispiel in der Energieinfrastruktur (was auch Projekte zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten betrifft), und andererseits beim fragmentierten Finanzmarkt. Diesbezüglich werde man in der EU weitere Diskussionen zu einer Kapitalmarktunion führen müssen.

Laut Lorenzo Codogno vom italienischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen tätige Italien Reformanstrengungen, die aber begleitende Investitionen erforderten, da kurzfristig die Wirtschaft bei einer notwendigen Verringerung der Staatsausgaben leide. Das europäische Investitionspaket sei für einige Euro-Länder die beste Versicherung gegen eine sonst möglicherweise drohende Deflation.

 

Format

Diskussion
Zielgruppe
Think Tank Veranstaltung
Core Expertise topic