Handlungsspielräume deutscher Russlandpolitik vor dem Hintergrund der Ukrainekrise

Podiumsdiskussion zum Auftakt einer Veranstaltungsreihe zur Zukunft der deutschen Russland- und Osteuropapolitik

Datum
09 Oktober 2014
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Findet die auf Verständigung mit Russland ausgelegte deutsche Außenpolitik überhaupt noch Ansprechpartner in Moskau? Ist diese Strategie nicht zum Scheitern verurteilt und daher zu überdenken? Mit diesen Fragen begann die Veranstaltung, die der Forschungsdirektor der DGAP, Eberhard Sandschneider, moderierte. Thomas Bagger wies darauf hin, dass die Herangehensweise des Auswärtigen Amtes und des Außenministers Frank-Walter Steinmeier alternativlos sei, denn der kurzfristige Versuch der Entschärfung einer solch fundamentalen Krise sei unumgänglich. Allerdings habe man die Signale Russlands in der Vergangenheit nicht immer richtig gedeutet, so dass es nun Aufgabe deutscher Außenpolitik sein muss, diese Defizite aufzuarbeiten. Grundsätzlich sei aber festzuhalten, dass sich Moskau schon seit geraumer Zeit vom Westen weg bewege und wohl auch seine Zukunft in Abgrenzung zu diesem definiere.

Manuel Sarrazin von Bündnis 90/Die Grünen bemerkte, dass aus der Entwicklung des letzten Jahres die Lehre zu ziehen sei, dass die russische Innenpolitik die außenpolitischen Kalkulationen Moskaus bestimme. Es gelte, hier in der deutschen aber auch europäischen Außenpolitik die Expertise zu stärken und die russische Zivilgesellschaft stärker zu fördern. Niemand hätte mit dieser harschen Reaktion auf der Krim gerechnet, und Russland habe sich damit auf Dauer als Partner für Stabilität unmöglich gemacht. Diese Situation enge die außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten stark ein, denn solange Russland kein Interesse an Stabilität und der Rückkehr wenigstens zum Status Quo Ante zeige, bleibe eine Diskussion schon bei grundlegenden Fragen stecken.

Ebenso sieht Stefan Meister die innenpolitische Situation Russlands als das grundlegende Problem. Der Ausgangspunkt für die Entwicklungen in der Ukraine sei im Grunde die Schwäche des Systems Putin, welches weder eine ökonomische noch eine politische Modernisierungsstrategie habe – oder wolle –  und die Gesellschaft massiv durch Propaganda und die Schaffung eines äußeren Feindes beeinflusse. Die Machtelite brauche dieses Feindbild, um sich dauerhaft zu legitimieren und gesellschaftliche Zustimmung zu erzeugen. Die Zustimmungsrate zu Putins Politik ist mit der Annexion der Krim auf über 80 Prozent angestiegen. Deutschland und Europa müssen die Entwicklungen in Russland umfassender analysieren, da das System Putin mit seiner Politik der Selbstisolation und Aggression nach außen nicht so schnell verschwinden werde, wie es sich vielleicht mancher Akteur wünscht.

Uneins war sich die Gesprächsrunde vor allem darüber, wie die deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft zu bewerten sei. Während Thomas Bagger die Frage aufwarf, ob sie im politischen Bereich womöglich besser funktioniert habe als erwartet, hält Stefan Meister die Ziele dieser Partnerschaft grundsätzlich für zu naiv: Man habe auf die falschen Partner gesetzt und fast ausschließlich einen Elitendialog geführt; doch die Eliten hätten überhaupt kein Interesse an einem wirklichen Wandel, da sie letztendlich die Profiteure des Systems sind.

Manuel Sarrazin regte an, eine Strategiedebatte zu führen, in deren Rahmen die europäische Politik Ziele gegenüber Russland formulieren sollte. Die EU und Deutschland bräuchten eine klare Agenda gegenüber Moskau, um einerseits die eigene Einheit zu demonstrieren, und andererseits Russland Grenzen aufzuzeigen. So sei eine Förderung anderer postsowjetischer Staaten – insbesondere der Republik Moldau, Georgiens und der Ukraine – von großer Wichtigkeit für die Nachbarschaftspolitik, da deren nationale Entwicklung nicht ignoriert werden kann.

Vor circa 130 Zuhörern aus Politik und Wirtschaft beschloss Thomas Bagger die Diskussion mit einem Hinweis auf die zukünftige Strategie der Bundesregierung gegenüber Russland. So sei die Identifizierung gemeinsamer Schnittmengen das langfristige Ziel einer auf Verständigung angelegten Außenpolitik, aber dies funktioniere erst, wenn man eine gemeinsame Sprache spreche.