Die Visegrad-Staaten und ihre Beziehungen zu Deutschland 10 Jahre nach der EU-Osterweiterung

Erfolge und Herausforderungen

Datum
29 September 2014
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin , Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Seit zehn Jahren sind die Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Tschechische Republik und Ungarn Mitglieder der Europäischen Union. Sowohl diese 2004 beigetretenen Staaten als auch die EU als Staatengemeinschaft haben seither einen deutlichen Wandel erfahren.

Auf der Abschlusskonferenz des Projekts „Central European Perspectives – Integration Achievements and Challenges of the V4 States after Ten Years in the EU“ diskutierten Experten der Partnerinstitute des Forschungsprojekts aus Warschau (Dominik P. Jankowski, Casimir Pulaski Foundation), Bratislava (Milan Nič, Central European Policy Institute), Prag (Vít Dostál, Association for International Affairs) und Budapest (Daniel Hegedűs, Eötvös Loránd University) sowie Andrea Gawrich (Universität Gießen) die nunmehr über 20-jährige Kooperation der vier Visegrad-Staaten, eine Bilanz ihrer Mitgliedschaft in der EU und gegenwärtige sicherheitspolitische Herausforderungen mit über 40 Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Trotz eines grundsätzlich klar positiven Fazits der EU-Mitgliedschaft bewerteten die Experten die Entwicklung in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich. Polen sieht die vergangenen zehn Jahre als Erfolgsgeschichte, sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Ungarn entwickelte sich dagegen vom einstigen Vorreiter der Visegrad-Staaten zum Sorgenkind: Zum einen brach der wirtschaftliche Aufschwung nach einer defizitären Staatshaushaltsentwicklung ab 2002 mit der Eurokrise 2008 massiv ein und hat sich bis heute kaum erholt; zum anderen werden die politischen Reformen der Regierung Orbán europaweit kritisch beobachtet. Die Slowakei betrachtet die EU-Integration heute als Erfolgsmodell, hatte man dort doch nach der politischen Isolation der Meciar-Regierungen 1991-98 und damit verbundener wirtschaftlicher Probleme das Gefühl, „abgehängt“ worden zu sein. Allerdings besteht trotz der proeuropäischen Einstellung der Bevölkerung wenig Interesse an europäischen Themen. In der Tschechischen Republik ist dagegen ein Anstieg des Euroskeptizismus zu beobachten – große Teile der Bevölkerung sehen die EU nicht mehr als problemlösend sondern als problemgenerierend.

Insbesondere angesichts der aktuellen Entwicklung in der Ukraine wurde die Sicherheits- und Verteidigungspolitik als wesentlicher Bestandteil der Visegrad-Kooperation gesehen. Der Konflikt wird in allen Ländern als massiver Angriff Russlands auf die europäische Sicherheitsarchitektur bewertet. Zwar tragen alle Visegrad-Staaten die europäischen Sanktionen mit, wenn auch einzelne Staaten, insbesondere die Slowakei und Ungarn, deren Effektivität und Sinnhaftigkeit anzweifeln. Polen votiert deutlich für ein hartes Vorgehen gegenüber Russland. Die bisherigen Instrumente der Kooperation und des Dialogs seien nach Warschauer Ansicht bislang offensichtlich wirkungslos geblieben. Ungarn, die Slowakei und auch die Tschechische Republik befürworten zwar ebenfalls ein entschlossenes Auftreten, setzen jedoch ähnlich wie Deutschland auch auf eine diplomatische Lösung, die Russland einbindet. In Deutschland ist dieser Ansatz im Vergleich zu den Visegrad-Staaten jedoch deutlicher ausgeprägt; hier spielt in der öffentlichen und politischen Debatte eine mögliche Vernachlässigung russischer Interessen und Befürchtungen eine wichtige Rolle. In den Visegrad-Ländern ist die Zeit sowjetischer Okkupation dagegen noch nachhaltig in Erinnerung.

Die Visegrad-Staaten sehen zudem die Bedeutung, die Deutschland in europäischen Sicherheitsfragen spielt, als gering an. Während Deutschland wirtschaftlich die europäische Führungsmacht sei, spiele es in den Sicherheitsdebatten der Visegrad-Länder kaum eine Rolle. Trotz allem sehen die Länder der Visegrad-Gruppe große Vorteile in künftiger sicherheitspolitischer Kooperation. Zum einen seien die finanziellen Herausforderungen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfacher gemeinsam zu meistern, zum anderen stelle die Zusammenarbeit für die mittleren und kleineren EU-Mitglieder eine Möglichkeit dar, ihren Interessen deutlicher Geltung zu verschaffen.

Die Konferenz bildete den Abschluss eines einjährigen Forschungsprojekts und einer Konferenzreihe in den Hauptstädten der Visegrad-Staaten im Rahmen eines Visegrad Fund Strategic Grant Projects. Die Forschungsergebnisse wurden in Form von insgesamt fünf Policy Papers (DGAPanalyse) veröffentlicht.

Das gesamte Projekt wurde vom Robert Bosch-Zentrum für Mitteleuropa, Osteuropa und Zentralasien der DGAP durchgeführt und von der Robert Bosch Stiftung kofinanziert.