Russlands Agenda im Mittleren Osten

Dmitri Trenin in der DGAP über Moskaus Syrien-Politik und die regionalen und weltpolitischen Ambitionen des Kremls

Datum
14 Oktober 2013
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Russlands Syrien-Politik spiegelt die weltpolitischen Ambitionen des Kremls und dessen Bemühen, sein Verhältnis zum Westen zu klären. Zumindest in Teilbereichen der Sicherheitspolitik will man mit den USA gleichziehen. Dimitri Trenin verwies darauf, wie sehr die Auseinandersetzung mit dem Westen die russische Außenpolitik der vergangenen Jahre bestimmt hat; von der Zusammenarbeit beim Antiterrorkampf führte sie zu einer immer stärkeren Konfrontation. So hatte sich Russland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zunächst klar an die Seite des Washingtons gestellt. Einige Jahre später ging Putin dann dazu über, Russlands außenpolitische Unabhängigkeit zu unterstreichen. Der Kreml wetterte gegen Hegemonialansprüche der USA und statuierte 2008 im russisch-georgischen Krieg ein machtpolitisches Exempel in seiner Nachbarschaft. Während Putins dritter Präsidentschaft verschlechterte sich das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten weiter. Putin trat gegenüber Washington immer kompromissloser auf, besonders anschaulich wurde dies im Fall Edward Snowdens.

Trotz wechselseitiger Entfremdung blieb Russland immer auf Partnersuche, in Europa wie in Amerika – und werde dies bleiben, das gelte auch für seine Nahostpolitik. Die Tür für eine neue sicherheitspolitische Kooperation zwischen Russland und dem Westen sei keinesfalls zugeschlagen, betonte Trenin. „Es gibt zahlreiche Probleme, die man gemeinsam angehen kann. Der Nahe und Mittlere Osten ist eine Region, in der wir gemeinsame Interessen haben. Ich glaube, dass Syrien und Iran uns zusammenbringen werden“.

Russlands Rückkehr auf die Weltbühne

Am Rande des jüngsten G20-Gipfels in St. Petersburg hatten sich die Präsidenten Obama und Putin bereits über die Lage im Nahen und Mittleren Osten ausgetauscht. Es ist der Bereich der Sicherheitspolitik, in dem Russland als Ordnungs- und Gestaltungsmacht mit den USA gleichziehen will, wenn es Washington wirtschaftlich schon nicht das Wasser reichen kann. Dass man nun auf diesem Gebiet, freilich nur in der Syrien-Frage, mit den USA auf Augenhöhe verhandeln konnte, bedeute für Moskau ein wichtiges Etappenziel, sagte Trenin.

Jahrelang habe Russland sicherheitspolitisch im Abseits gestanden. Doch nun habe es Moskau geschafft, den Problemfall Syrien in eine Chance zu verwandeln. Mit seinem Vorschlag zur Vernichtung der Chemiewaffen konnte Russland die USA von einem Militärschlag abbringen; Großbritannien hatte Washington da bereits die Gefolgschaft verweigert. Putin kündigte zudem an, Russland werde sich an einer Friedenstruppe in Syrien beteiligen. Dies alles sei zwar zunächst ein taktischer Zug und noch keine Nahost-Strategie, betonte Trenin. Russland habe aber vor, nicht nur in Syrien, sondern auch im Iran und in Afghanistan eine stärkere Rolle zu spielen.

Die syrische Karte

Trenin machte klar, dass das Engagement in Syrien für Russland in erster Linie Weltpolitik ist. Dabei versuche Moskau, diejenigen Strukturen zu stärken, die ihm den größten Einfluss ermöglichen. So sei es Präsident Putin sehr wichtig gewesen, in der Syrien-Frage den UN-Sicherheitsrat wieder ins Spiel zu bringen. Das zweite wesentliche Motiv der russischen Syrien-Politik bestehe darin zu verhindern, dass infolge der jüngsten Umwälzungen im Nahen und Mittleren Osten radikalislamische Kräfte die Macht übernehmen. Moskau werde dabei nicht müde zu betonen, dass es damit ein gemeinsames Ziel mit dem Westen verfolgt.

Syriens Präsident Assad sei übrigens erst im Laufe des Bürgerkriegs zum Partner Russlands geworden. Er stehe aus Moskaus Sicht für die frühere und am ehesten für die künftige Stabilität des Landes. Russlands viel zitierte und häufig überschätzte wirtschaftliche Interessen in Syrien aber spielten nur eine untergeordnete Rolle. Das Land zähle nicht einmal zu den fünf größten Abnehmern russischer Waffen, so Trenin. Als ein viertes Motiv für sein Engagement in Syrien führt Russland oft an, dass es sich als Schutzmacht der Christen im Nahen und Mittleren Osten begreift.

„Syrien eröffnet Russland eine neue Perspektive im gesamten Nahen und Mittleren Osten, und auf globaler Ebene“, unterstrich Ewald Böhlke, Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums an der DGAP, in seinem Kommentar. Moskau sei gerade dabei, sich in der Region des Nahen und Mittleren Ostens ein eigenes Netzwerk aufzubauen. Daraus werde es sich so schnell nicht wieder zurückziehen. Allerdings verfüge Russland als Regionalmacht nicht über die außen- und sicherheitspolitischen Ressourcen, um seine Agenda in dem riesigen Raum südlich seiner Grenzen allein umzusetzen. „Moskau ist auf Partner angewiesen“, sagte Böhlke. Dafür kämen in erster Linie die Europäer infrage, während innerhalb der Region der Iran ein quasi natürlicher Verbündeter sei.

Der Nahe und Mittlere Osten stelle ein Handlungsfeld sowohl für Russland als auch für Europa dar. „Es liegt im beiderseitigen Interesse, gemeinsam nach Wegen zu suchen, damit sich die Sicherheitslage in der Nachbarregion nicht weiter verschlechtert“, sagte Böhlke und kritisierte die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, die sich einer Zusammenarbeit mit Russland noch weitegehend verschließe. Dies betreffe nicht nur die Region des Nahen und Mittleren Ostens, sondern auch die osteuropäische Nachbarschaft. Dabei könne Europa einen nicht zu unterschätzenden Beitrag in eine solche Kooperation einbringen: „Europas Erfahrung, Kompromisse zu schließen, wird in allen Regionen gebraucht“, so Böhlke. Wenn Russland auf dem Gebiet der Außenpolitik lerne, Kompromisse einzugehen, werde sich das im Übrigen positiv auf die Entwicklung der Demokratie in Russland auswirken.

Dmitri Trenin, Direktor des Carnegie Moscow Center, folgte einer Einladung des Berthold-Beitz-Zentrums, zu Vortrag und Diskussion am 14. Oktober 2013 in der DGAP. Dr. Ewald Böhlke ist Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums an der DGAP. Die Diskussion wurde moderiert von Paul Freiherr von Maltzahn, Generalsekretär der DGAP.