„Wir brauchen eine höhere Brandschutzmauer“

IWF-Chefin Lagarde fordert ein kräftigeres Wachstum, mehr Integration und eine Aufstockung des Euro-Rettungsschirms

Datum
23 Januar 2012
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Rauchstr. 17, 10787 Berlin Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Europa, die USA und der Rest der Welt müssen gemeinsame und aufeinander abgestimmte Anstrengungen unternehmen, um die Schuldenkrise zu lösen. „Wir sollten schnell handeln, sonst droht uns eine Weltwirtschaftskrise wie 1930,“ sagte die Chefin des Internationale Währungsfonds (IWF) in ihrer Rede am 23. Januar in der DGAP.

2011 sei kein erfolgreiches Jahr gewesen, weil viele Maßnahmen nicht durchdacht, halbherzig durchgeführt oder nicht mit anderen Ländern abgestimmt worden seien. Für 2012 erwartet die IWF-Chefin jedoch einen positiven Umschwung. „Wir wissen, was zu tun ist. Es kommt nur auf den politischen Willen der Regierungen an.“ Zwar hätten die Länder der Eurozone bereits wichtige Schritte unternommen, unter anderem die Einrichtung des ESFS und des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Doch seien dies nur „Teile einer umfassenderen Lösung“.

Die Krise umfassend lösen

Wie sähe eine solche umfassende Lösung aus? Europa brauche ein kräftigeres Wachstum, höhere finanzielle Schutzwälle und mehr fiskalpolitische Integration, so Lagarde. Die Staaten der Eurozone seien jetzt in der Pflicht, den finanziellen Schutzwall gegen die Schuldenkrise über das Bestehende hinaus zu verstärken: durch Erhöhung der Mittel für den Europäischen Stabilitätsfonds ESM, eine weitere geldpolitische Lockerung durch die Europäische Zentralbank oder durch Eurobonds. Damit widersprach die IWF-Chefin dem bisherigen Kurs der Bundesregierung.

Um zu verhindern, dass sich das Wachstum in der Eurozone massiv abkühle, und um einer sogenannten „Kreditklemme“ entgegenzuwirken, müsse mehr Geld bereitgestellt werden. Mit Blick auf fiskalpolitische Maßnahmen sagte Lagarde, dass einige Länder zwar keine andere Wahl hätten, als zu sparen und ihre Haushalte schnell und effektiv zu konsolidieren. „Doch das gilt nicht überall“, warnte sie. „Es gibt einen breiten Kern, in dem fiskalische Anpassung langsamer vonstatten gehen kann.“ Dies kann sicherlich auch als Hinweis an Deutschland verstanden werden. Lagarde verwies auf die Bedeutung von mittel- und langfristigen Strukturreformen, die für  Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sorgen würden.

Mit mehr Geld gegen die Kreditklemme

Zusätzlich müsse man den Eurorettungsschirm mit deutlich mehr als den geplanten 500 Milliarden Euro ausstatten: „Wir brauchen eine höhere Brandschutzmauer“, forderte Lagarde. Der dauerhafte Rettungsschirm ESM sollte vergrößert werden um jene Mittel, die bereits für den EFSF festgelegt seien. Andernfalls würden Länder wie beispielsweise Spanien oder Italien wegen ungewöhnlich hoher Zinsen in die Solvenzkrise rutschen – mit desaströsen Folgen für die Stabilität des europäischen Finanzsystems.

Dritte zentrale Maßnahme ist Lagarde zufolge eine stärkere fiskalpolitische Integration der Eurozone. „Es kann nicht sein, dass wir siebzehn völlig voneinander unabhängige fiskalpolitische Systeme haben, aber eine gemeinsame Währungspolitik.“ Risiken müssten stärker über nationale Grenzen hinweg verteilt werden. Lagarde nannte außerdem Eurobonds als ein mögliches Mittel gegen die Krise: Sie könnten die Risiken verteilen und damit abmildern. Auch gegen solche gemeinsamen europäischen Anleihen sperrt sich vor allem Deutschland.

Die Eurozone sei derzeit das „Epizentrum der Krise“, doch auch andere Wirtschaftmächte stünden in der Pflicht. Vor allem die USA als größte Volkswirtschaft und globales Finanzzentrum trügen besondere Verantwortung. Lagarde appellierte an die US-Regierung, Schulden abzubauen und die politische Pattsituation in Washington rasch aufzulösen. Länder mit starkem exportgestütztem Wachstum und großen Überschüssen wie beispielsweise China sollten ihre einheimische Nachfrage ankurbeln, um das weltweite Wachstum zu stützen.

Aufstockung des IWF

Für den IWF sieht Lagarde eine massive Aufstockung der Krisenkasse vor. Nicht nur den Europäern solle damit geholfen werden, sondern Staaten weltweit, die – auch ohne eigenes Verschulden – von der Krise erfasst würden. „Es geht nicht darum, ein einzelnes Land oder eine Region zu retten“, sagte Lagarde. „Sondern darum, die Welt vor einer Abwärtsspirale zu bewahren.“ Globale Krisen erforderten globale Lösungen. Den Bedarf für die kommenden Jahre schätzt Lagarde auf rund eine Billion US-Dollar. Nötig sei daher eine Aufstockung des IWF um 500 Milliarden US-Dollar – ein Schritt, dem die USA und Schwellenländer wie Brasilien oder China bisher skeptisch gegenüberstehen.

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