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08. Juli 2019

Modi 2.0

Die außenpolitischen Herausforderungen der zweiten Amtszeit

Die Koalition von Ministerpräsident Narendra Modi hat die Macht ein zweites Mal errungen. Mit fast einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der ersten Kammer des indischen Parlaments ist ihr Mandat sogar noch größer als 2014. Innenpolitisch bedeutet dies, dass Modi imstande sein wird, seine Politik der ersten Amtszeit in allen Bereichen fortzuführen: vom Aufbau der Wirtschaft bis hin zu seinem Versuch, eine Balance zu finden zwischen seiner dominierenden Votebank (der ethnisch bestimmten Gruppe treuer BJP-Wähler) und der Verpflichtung zur „Einbeziehung und Entwicklung aller, aufgrund des Vertrauens aller“ (Sabka saath, sabka vikas, sabka vishwas), die er eingegangen ist. Gegenüber der Außenwelt sind die Herausforderungen heute allerdings ganz andere als vor fünf Jahren. Hier sind es die neuen geopolitischen Auseinandersetzungen, die Modis zweite Amtszeit bestimmen werden.

Ein Blick genügt, um sehen, wie sehr sich die Welt im Vergleich zu 2014 verändert hat: An die Stelle des umgänglichen Amerika von Präsident Barack Obama ist der Fokus von Präsident Donald Trump getreten, der Amerika durch Konfrontation mit der übrigen Welt wieder „groß“ machen will. Nur wenige Stunden nach seiner erneuten Vereidigung als Ministerpräsident erhielt Modi eine unfreundliche Nachricht von Trump: Die USA entzogen Indien den seit 45 Jahren geltenden Status als bevorzugter Handelspartner (GSP). Dies sollte die Strafe für indische Maßnahmen sein, die die USA als protektionistisch betrachtet.

Zwar sind Indien und den USA in den vergangenen Jahren eine immer engere strategische Partnerschaft eingegangen, vor durch die Wiederbelebung des „Quad“ mit Japan und Australien. Doch die Handelsbeziehungen verschlechterten sich. Trotz steigender Importe und Exporte haben die USA Indien mit einer Vielzahl von WTO-Beschwerden und Zollerhöhungen überzogen. Handelsfragen werden auch Modis Verhältnis zum Westen und Osten bestimmen. Zwei wichtige Verhandlungen wurden ausgesetzt: das Bilaterale Handels- und Investitionsabkommen (BTIA) mit der EU, und die Gespräche zum Indiens Beitritt zu der Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft, der alle ASEAN-Staaten, China, Japan, Australien und Neuseeland angehören.

Neue, unerwartete Herausforderungen sind aufgetreten. Washington hat dafür gesorgt, dass Indien sich den Sanktionen gegen iranische Ölexporte anschließen musste, die mehr als zehn Prozent der indischen Einfuhren ausmachten. Selbst die Investitionen Indiens in den iranischen Hafen Chabahar könnten vergebens gewesen sein, wenn wegen der US-Sanktionen kein Handel über den Iran finanziert werden darf. Auch wenn es um Rüstungsgeschäfte geht, hat die Trump-Administration einen harten Kurs eingeschlagen. Jahrelang versuchten die USA vergeblich Indien zu überreden, sich von seinem traditionellen Partner Russland abzuwenden und stattdessen amerikanische Waffensysteme zu kaufen. Jetzt kündigte die Trump-Administration an, sie werde indische Waffengeschäfte mit Russland, auch den Kauf des Raketenabwehrsystems vom Typ S-400 Triumf, auf der Grundlage des neuen CAATSA-Gesetzes (Countering America's

Adversaries Through Sanctions Act” von 2017) sanktionieren. Wie Indien angesichts der amerikanischen Drohung mit dem S-400-Geschäft umgeht, wird Modis künftige Beziehungen zu Trump und der US-Administration prägen. Ein weiterer wichtiger Meilenstein wird die Haltung Indiens gegenüber dem chinesischen Telekom-Riesen Huawei sein. Die USA haben Neu-Delhi gedrängt, Huawei von seinen 5G-Plänen auszuschließen, ähnlich wie US-Vertreter Deutschland gewarnt haben, dass ein Vertrag mit Huawei zu Einschränkungen beim Austausch von Geheimdienst-Informationen mit Washington führen könnte.

Der zweite große Wandel, der sich für Modi abzeichnet, betrifft Chinas Road and Belt Initiative und die erstarkende chinesisch-russische Achse. Vor fünf Jahren befanden sich beide erst im Anfangsstadium. Seither hat China mit allen Nachbarstaaten Indiens (außer Bhutan) umfangreiche Infrastrukturverträge abgeschlossen; Indien selbst lehnte es ab, sich dem BRI anzuschließen.

2017 ließ es die immer selbstbewusster auftretenden Volksbefreiungsarmee Chinas im Doklam-Dreiländereck zwischen Indien, China und Bhutan beinahe auf ein Gefecht mit indischen Soldaten ankommen. Immerhin hat ein Treffen von Ministerpräsident Modi mit Präsident Xi im vergangenen Jahr in Wuhan zu einer deutlichen Verminderung der Spannungen geführt. Für die Zukunft wird Modi darauf achten müssen, im Handel mit China zu einem Gleichgewicht zu kommen und Fortschritte bei den indisch-chinesischen Grenzstreitigkeiten zu erreichen, die die gesamte 3000 Kilometer lange gemeinsame Grenze betreffen. Gleichzeitig wird er eine Charme-Offensive starten, um Indiens Nachbarländer – mit Ausnahme Pakistans – dem beherrschenden Einfluss Chinas zu entziehen.

US-Präsident Trump will die US-Soldaten aus Afghanistan abziehen, selbst wenn dazu eine Vereinbarung mit den Taliban eingehen muss. Dieses Vorgehen droht die gesamte Region in Unruhe zu stürzen. Tatsächlich wird Modis zweite Amtszeit dadurch bestimmt werden, wie es ihm gelingt, im Umgang mit den Großmächten die indischen Interessen zu wahren.

Um dazu in der Lage zu sein, hat Modi sich in einem ersten Schritt von seiner as sanft geltenden Außenministerin Sushma Swaraj getrennt und sie durch den früheren Außenminister Dr. S. Jaishankar ersetzt. Jaishankar ist dafür bekannt, dass er hart auftreten kann und mehr an Realpolitik als an Indiens vergangene Ideale glaubt.

„In jeder Auseinandersetzung stecken Chance und Risiken. Mein Job ist es, die Risiken einzuhegen und die Chancen zu maximieren,“ sagte Jaishankar kurz nach seinem Amtsantritt – das Jahr davor hatte er damit verbracht, Konzernstrategien für die Tata-Gruppe zu entwickeln. „Diplomatie findet heute auf einer Vielzahl von Ebenen statt. Man kann auf seine eigenen Interessen achten und trotzdem etwas Gutes für die Welt bewirken und die globale Ordnung stärken. Wir alle achten auf unsere eigenen Interessen,“ fügte er hinzu.

Schon der Terminkalender des ersten Monats von Modis neuer Amtszeit zeigt, dass er sich den vor ihm stehenden Herausforderungen sofort stellen will und

damit in der eigenen Nachbarschaft anfängt. Zu seiner Vereidigung am 30. Mai lud der Ministerpräsident die Staats- und Regierungschefs der BIMSTEC-Gruppe (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation) ein. Zu ihr gehören sieben Staaten, darunter Bangladesch, Bhutan, Myanmar, Sri Lanka und Thailand gehören. Modis erste Auslandsreise (8.-9. Juni) führte ihn auf die Malediven und nach Sri Lanka. In beiden Ländern ging es um Entwicklungspartnerschaften, gemeinsames Meeresmanagement und Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus.

Mitte Juni reiste Modi dann zu einem Treffen der Shanghai Cooperation Organisation in die kirgisische Hauptstadt Bishkek, an dem auch die Staats- und Regierungschefs von Pakistan, Afghanistan und der zentralasiatischen Staaten teilnahmen. In Bishkek hielt Modi bilaterale Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem chinesischen Präsident Xi Jinping ab; zu einer Zusammenkunft mit dem pakistanischen Ministerpräsidenten Imran Khan kam es angesichts der Spannungen zwischen beiden Ländern allerdings nicht.

Ende Juni flog Modi zum G-20-Gipfel im japanischen Osaka, wo er neben einer Vielzahl anderer Zusammenkünfte mit den Vertretern der wichtigsten Wirtschaftsmächten auch US-Präsident Donald Trump traf. Bei der Ausgestaltung all dieser Beziehungen werden sich die engen Partnerschaften als nützlich erweisen, die Modi in seiner ersten Amtszeit begründete oder ausbaute, vor allem mit Japan, Israel, Deutschland und Frankreich. In einer Welt, in der die Freundschaften und Bündnisse der Vergangenheit durch vielfältige Ausrichtungen und durch Geschäfte auf Gegenseitigkeit in Einzelbereichen ersetzt wurden, geht Modi in seiner zweiten Amtszeit die Außenpolitik auf der Grundlage neuer Regeln an.

Suhasini Haidar leitet das Ressort Diplomatie der indischen Zeitung The Hindu

Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online Exklusiv, Juli 2019

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