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31. Aug. 2018

Eine gesunde Welt ist sicherer

Wie Gesundheitspolitik mit Außen- und Sicherheitspolitik zusammenhängt

Die Ebola-Krise hat gezeigt, welch destabilisierende ­Folgen eine Epidemie haben kann. Deshalb muss die multilaterale Zusammenarbeit dringend verbessert werden, um globale Gesundheit zu fördern. Und es gibt auch schon erfolgreiche Beispiele: die Impfallianz Gavi sowie den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.

Der Ausbruch und die rasche Verbreitung von Ebola im Jahr 2014 haben die Welt erschüttert. Laut den offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten knapp 29 000 Menschen, mehr als jeder Dritte starb an dem Virus. Auf dem Höhepunkt der Epidemie infizierten sich wöchentlich rund 1000 Menschen.

Die internationale Staatengemeinschaft war mit dieser drastischen Situation überfordert. Die WHO reagierte zu spät: Erst im August 2014, fast fünf Monate nach den ersten Berichten über den Ausbruch des Ebola-Fiebers in Guinea, rief sie den internationalen Krisenfall aus. Auch die Mitgliedstaaten reagierten zaghaft. Nur die Nichtregierungsorganisationen erkannten früh das Ausmaß und schlugen Alarm. „Ärzte ohne Grenzen“ war schon im März 2014 bei der Bekämpfung der Ebola-Epidemie im Einsatz. Zeitweilig behandelte die Organisation mehr als 85 Prozent aller stationär betreuten Ebola-Kranken.

Das verzögerte und unkoordinierte Handeln der internationalen Gemeinschaft führte nicht nur zu einer mangelnden Versorgung der Kranken, sondern auch zu strategischen Fehlentscheidungen im außenpolitischen Umgang mit der Epidemie. So wurden die betroffenen Länder wirtschaftlich und gesellschaftlich isoliert; einige WHO-Staaten verstießen sogar gegen internationale Gesundheitsvorschriften, indem sie eigenmächtig Reisebeschränkungen verhängten. Das erschwerte den Helfern den Zugang zu den betroffenen Gebieten in Westafrika.

Krankheiten kennen keine Grenzen

Es muss überraschen, dass die Staatengemeinschaft 2014 nicht besonnener reagieren konnte. Experten hatten schon lange vor der Gefahr von Epidemien gewarnt. Die rasche Ausbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten gehört zu den größten Herausforderungen im globalen Gesundheitswesen. Ein durch die Luft übertragbarer Erreger kann laut Schätzungen des Institute for Disease Modeling mehr als 30 Millionen Menschen in einem Jahr töten. Denn Epidemien kennen keine Grenzen. In der eng vernetzten globalisierten Welt breiten sich Erreger schneller aus als jemals zuvor, vor allem, wenn urbane Regionen betroffen sind. Der Ebola-Ausbruch in Westafrika hätte noch sehr viel mehr Schaden angerichtet, wenn sich die Krankheit im benachbarten Nigeria ausgebreitet hätte, einem Land mit mehr als 190 Millionen Einwohnern und ein internationaler Knotenpunkt für Personen- und Güterverkehr.

Epidemien destabilisieren Gesellschaften und haben nicht selten Gewalt und Chaos zur Folge. Ein Beispiel dafür sind die Gewaltausbrüche in Liberia im Jahr 2014: Auf dem Höhepunkt der Ebola-Epidemie weitete die Regierung die Quarantänemaßnahmen in der liberianischen Hauptstadt Monrovia um nächtliche Ausgangssperren aus. In der Bevölkerung kursierten schnell Gerüchte, wonach die Regierung Ebola-Kranke aus dem ganzen Land in dem Viertel West Point isolieren wolle und die Quarantäne deswegen angeordnet habe. Daraufhin kam es zu gewaltsamen Protesten in der Stadt.

Die destabilisierende Wirkung von Gesundheitskrisen zeigt sich aber auch in den schwerwiegenden sozioökonomischen Konsequenzen. Die Ebola-Krise führte laut Zahlen der Weltbank in Liberia zu einem Beschäftigungsrückgang von 40 Prozent. In Guinea wurde fast jedes zehnte Kind aus der Schule genommen. Die zusätzlichen Ausgaben zur Versorgungssicherung, die reduzierte Wirtschaftskraft, geringere Auslands­investitionen und niedrigere Steuereinnahmen ließen die Haushaltsdefizite in den betroffenen Ländern in die Höhe schnellen.

Enger zusammenarbeiten

In Krisen- und Konfliktgebieten ist die Gesundheitsversorgung ein wunder Punkt – und ein strategisches Angriffsziel. Attacken auf Zivilisten, Krankenhäuser und medizinisches Personal dienen oft dem Ziel, einen militärischen Vorteil zu erlangen. So werden Krisengebiete zu den wahrscheinlichsten Orten, an denen Epidemien beginnen können – wie bei Ebola in Sierra Leone und Liberia sowie bei der Cholera im Kongobecken und am Horn von Afrika. Gleichzeitig sind Krisengebiete und andere fragile Regionen die schwierigsten Orte, um gegen Epidemien vorzugehen.

Das zeigt der lange Kampf gegen Polio. Die Krankheit ist fast ausgerottet, sie existiert heute nur noch in der Grenzregion zwischen Afgha­nistan und Pakistan. Einzelne Polio-Fälle andernorts gehen auf Erreger aus dieser Region zurück. Doch bis die Erreger vollständig beseitigt sind, ist es jederzeit denkbar, dass die Krankheit weltweit wieder ausbricht. Es könnte dann zu Hunderttausenden neuen Fällen kommen, so Schätzungen der WHO. Die Helfer vor Ort sind mit Hindernissen konfrontiert, mit denen wohl kein anderes globales Gesundheitsprogramm zu kämpfen hat. Dazu gehören schwierige Verhandlungen mit Milizen, die Polio-Schutzimpfungen häufig nicht unterstützen, und es reicht hin bis zur Ermordung von medizinischen Fachkräften. Ein regelmäßiger Austausch zwischen den Beteiligten in der Gesundheits- und der Sicherheitspolitik ist daher wichtig. Dieser findet bereits in verschiedenen Formaten statt, sollte allerdings erweitert und ausgebaut werden.

Der Fall Polio zeigt, dass die Gesundheitsprogramme auch nachhaltigen Nutzen für andere sicherheitsrelevante Sektoren schaffen, etwa durch den Aufbau von Infrastruktur. Da Menschen überall geimpft werden müssen, hat sich über die Jahre eine komplexe Versorgungsinfrastruktur gebildet. So kann man selbst Menschen in entlegensten Regionen Pakistans im Krisenfall schnell erreichen.

Eine Art Militäreinsatz

Im Vorwort des Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und zu der Zukunft der Bundeswehr von 2016 heißt es, die Bundeswehr brauche das beste Material und eine nachhaltige Finanzierung, um Herausforderungen wie der hybriden Kriegführung, dem transnationalen Terrorismus, Cyberattacken oder Pandemien wirkungsvoll begegnen zu können. Dies schließt die globale Gesundheit explizit mit ein. Ohne Investitionen in Forschung und Entwicklung können wir Gesundheitsbedrohungen nicht wirkungsvoll begegnen.

Die Bekämpfung von Epidemien hat mit klassischen Militäreinsätzen einiges gemeinsam: Es geht darum, möglichst schnell und präzise zu identifizieren, woher der „Angriff“ stammt, wer betroffen ist und wie der „Feind“ operiert. Dafür braucht man eine exakte Datenlage. In globalen Gesundheitskrisen können Labordiagnostik und ­Datenerhebung vor Ort daher erfolgsentscheidende Faktoren sein.

Die frühzeitige Erforschung bedrohlicher Krankheiten und die Entwicklung geeigneter Bekämpfungsmaßnahmen haben entscheidenden Einfluss auf die globale Gesundheit – und damit auf die Sicherheitslage. Auch das hat Ebola gezeigt: Die Weltgemeinschaft hat vor der Pandemie nicht genügend in die Erforschung des Virus investiert. So stand bei Ausbruch nur ein nicht zugelassener Impfstoff zur Verfügung.

Forschung und technologische Innovationen sind also nicht nur im Cyberkrieg wichtig, sondern werden auch dringend in der globalen Gesundheitsvorsorge gebraucht. Erst kürzlich hat die WHO eine Liste mit gefährlichen Erregern und Krankheiten veröffentlicht. Neben Ebola und SARS findet sich dort auch „X“ als Platzhalter für heute noch unbekannte Erreger. Denn gefährliche Erreger können sich jederzeit entwickeln und eine globale Gesundheitskrise auslösen. Die Forschung muss deshalb in der Lage sein, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten und jederzeit adäquat auf „X“ zu reagieren.

Ein wichtiger Schritt, um besser auf Epidemien vorbereitet zu sein, wurde im Jahr 2016 mit der Gründung des Forschungsbündnisses CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) gemacht. Das Bündnis besteht aus der WHO, Regierungen, der EU-Kommission, Forschungseinrichtungen, Pharmaunternehmen und Stiftungen. Ziel der neuen Organisation ist es, Epidemien rechtzeitig einzudämmen. Dazu investiert CEPI in die Entwicklung von Impfstoffen gegen Erreger, die zu einer weltweiten Bedrohung werden können. Das ist ­besonders wichtig, da sich die Entwicklung dieser Wirkstoffe für Pharmaunternehmen betriebswirtschaftlich oft nicht lohnt. CEPI hilft, diese Lücke zu schließen.

Multilaterale Ansätze

Der Ebola-Schock von 2014 hat die Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren weiter vertieft. Heute ist die globale Gesundheit einer der innovativsten Bereiche, wenn es um multilaterale Ansätze und Instrumente geht. Die Investitionen, die die Welt in große multilaterale Fonds getätigt hat, haben phänomenale Erträge gebracht.

Eine dieser Erfolgsgeschichten ist die Impfallianz Gavi, die sich für die Finanzierung von Impfstoffen in ärmeren Ländern einsetzt. Gavi wurde 2000 gegründet und besteht aus Regierungen, der WHO, UNICEF, Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie aus Stiftungen. Jedes Jahr rettet die Allianz etwa drei Millionen Menschen das Leben durch Impfungen gegen vermeidbare Krankheiten. Darüber hinaus leistet die Impf­allianz technische Unterstützung bei dem Ausbau nationaler Impfprogramme, der Entwicklung neuer Impfstoffe und bei der Finanzierung von Aufklärungs- und Informationskampagnen.

Auch der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat seit der Gründung im Jahr 2002 Erstaunliches geleistet. Er sammelt und investiert jährlich fast vier Milliarden Dollar für Programme in den betroffenen Ländern. Seit seiner Errichtung haben sich die Todesfälle durch Malaria mehr als halbiert, die Todesfälle durch Aids und Tuberkulose sind um ein Drittel zurückgegangen. Die Partnerschaft zwischen Regierungen, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft hat damit Millionen Menschen das Leben gerettet und Hunderte Millionen mit Präventions-, Behandlungs- und Betreuungsleistungen unterstützt.

Beide Instrumente werden von Ländern des globalen Nordens wie Südens finanziert und gesteuert. Sie sind gute Beispiele dafür, wie globale Probleme durch multilaterale Zusammenarbeit gelöst werden können.

Deutsche Führungsrolle

Indem Deutschland das Thema globale Gesundheit auf die internationale Agenda setzt und die engere Verzahnung mit anderen außenpolitischen Dimensionen wie Sicherheit und Stabilität fördert, kann es eine noch größere Rolle spielen. Gelegenheit dazu bietet sich ab 2019, wenn Deutschland für zwei Jahre einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat sowie im Rahmen der deutschen EU-Rats­präsidentschaft 2020.

In den vergangenen Jahren hat sich Deutschland gerade in der globalen Gesundheit sehr engagiert. 2015 war man Gastgeber der erfolgreichen Geberkonferenz für die Impf­allianz Gavi, bei der Zusagen für 7,5 Milliarden Dollar zusammenkamen; Berlin versprach dabei, 600 Millionen Euro im Zeitraum 2016 bis 2020 zur Verfügung zu stellen.

Deutschland nutzte auch sein politisches Gewicht, um Gesundheitsthemen international zu platzieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte das Thema Gesundheit im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft 2015 und während der G20-Präsidentschaft 2017 auf die internationale Agenda. So fand im Vorfeld des G20-Gipfels erstmals ein Treffen der Gesundheitsminister der G20-Staaten statt. Dabei sprachen die Minister über die Verbesserung des globalen Gesundheitskrisenmanagements und über die zunehmenden Resistenzen gegenüber lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika. Mit einer Investition von 90 Millionen Euro wurde Deutschland außerdem Gründungsmitglied der Forschungs­allianz CEPI, deren Ziel es ist, die Impfstoff­entwicklung für zukünftige Pandemien frühzeitig anzukurbeln.

Dieses von Deutschland initiierte G20-Engagement in globaler Gesundheit ist nur eines von vielen Beispielen, das die Verzahnung von Gesundheits- und Außenpolitik aufzeigt. Das steigende internationale Bewusstsein für das Thema ist erfreulich – doch umso mehr gilt es, dieses Momentum entschieden zu nutzen. Es gelingt nur, wenn globale Gesundheit nicht eigenständig betrachtet, sondern ­stärker mit anderen außen- und sicherheitspolitischen Dimensionen verschränkt wird und ein regelmäßiger Wissensaustausch stattfindet. Das Fundament dazu bilden mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, ein klares Bekenntnis zu Multilateralismus und das Voranschreiten einiger Partner, wie Deutschland oder Großbritannien, deren Vorbildwirkung auf andere Staaten ausstrahlt. Mit diesem Rüstzeug wäre die Weltgemeinschaft gut gewappnet für die nächste Gesundheitskrise – ganz gleich, wofür das „X“ im Register der Weltgesundheitsorganisation stehen mag.

Caroline Schmutte leitet die Bill & Melinda ­Gates-Stiftung in Deutschland.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober, 2018, S. 40 - 45

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