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01. Jan. 2017

Echte Partner oder arrangierte Ehe?

Russland und der Iran kooperieren so eng wie nie zuvor

Seit der russischen Intervention in Syrien unterstützt Moskau iranische Bodentruppen; diese wiederum sorgen für Gebietsgewinn. Diese Kooperation dient einem klaren Ziel: dem Machterhalt Assads. Will Europa in Syrien etwas bewegen, wird es nicht umhinkommen, sowohl mit Russland als auch mit dem Iran zusammenzuarbeiten.

Russland und Iran haben eine neue Phase militärischer Kooperation begonnen, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht gab. Russische und iranische Streitkräfte planen gemeinsam Militäroperationen und unterstützen mit Kampfeinsätzen die Regierung Baschar al-Assads. Im August 2015 starteten russische Kampfflugzeuge Einsätze in Syrien von einer iranischen Luftwaffenbasis. Zum ersten Mal gestattete die Islamische Republik einer fremden Macht, von ihrem Territorium aus zu handeln. Damit signalisierten die beiden Länder deutlich, dass sie ihre Interessen in Syrien ungeachtet der Kosten schützen würden.

Diese Kooperation zeitigte schon ernsthafte Folgen. Sie hat das Assad-Regime gestärkt, Flüchtlingsströme in europäische Länder anwachsen lassen und Europa auf dem Feld der Diplomatie weiter an den Rand gedrängt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Kooperation zu einem dauerhaften strategischen Bündnis führen könnte, das die Geopolitik des weiteren Nahen Ostens verändert. Oder ob sie lediglich temporärer Zenit einer wechselhaften und von Misstrauen geprägten Beziehung ist.

In jedem Fall wird die russisch-iranische Kooperation Europas Politik und Handlungsfreiheit in vielen Bereichen beeinflussen. Sie scheint darauf abzuzielen, den Einfluss Europas im Nahen Osten zurückzudrängen und dem Westen zu beweisen, dass russische Interventionen und iranische Interessen ernst zu nehmen sind. Nun mag es in der russisch-iranischen Kooperation rein zweckdienliche, eher kurzfristige Interessen geben. Und doch stützt sich dieses Bündnis auf eine ähnliche Analyse der internationalen Beziehungen.

Iran und Russland wollen eine „multipolare“ Weltordnung schaffen und aufrechterhalten, in der beide Länder als Entscheider anerkannt werden. Russland sieht sich als entscheidenden, globalen Akteur in dieser Weltordnung. Der Iran konzentriert sich stärker auf eine Umsetzung dieses Zieles in seiner unmittelbaren Region. Teheran mag wohl auch aus historischen Gründen kein unerschütterliches Vertrauen in Moskau hegen. Aber einflussreiche Gruppierungen in den iranischen Sicherheitskräften halten Russland für kalkulierbarer als den Westen. Zudem sind sich die beiden Länder auch einig in der Ablehnung der vom Westen geförderten Regimewechsel, die entweder mit militärischen Mitteln oder angeblich mit Unterstützung so genannter Farbenrevolutionen vollzogen werden. Militärische Operationen der USA und der NATO im Nahen Osten mit dem möglichen Ziel eines Regimewechsels zu verhindern, besitzt für Russland und den Iran höchste Priorität. Das zeigt sich deutlich in Syrien.

Der Iran versucht, seine panregionalen Interessen zu schützen, die durch die Aktivitäten der USA im Nahen Osten und in jüngster Zeit in Syrien gefährdet würden. Das Engagement Russlands in Syrien entspringt dem Wunsch, den Zusammenbruch anderer Staaten zu verhindern und die russische Machtposition in der Region zu erhalten. Dem Westen will man zudem demonstrieren, „wie man solche Situationen wirklich in Ordnung bringt“: Indem man den starken Mann unterstützt, nicht die „Demokratie“.

Im Kontext mit Syrien sieht Russland den Iran als Verbündeten, der über etwas verfügt, das die meisten anderen Staaten der Region nicht aufweisen können. Die traditionellen arabischen Führungsmächte Ägypten, Irak und Syrien sind damit beschäftigt, interne Krisen und regionale Unruhen in den Griff zu bekommen. Der Iran hingegen ist nach der Niederschlagung der „grünen Revolution“ von 2009 im Inneren wie in der Region ein funktionierender Staat und eine stabile Macht, der nicht zuletzt deshalb die russischen Interessen auf syrischem Boden fördern kann. Nun ist wohl auch Saudi-Arabien ein stabiler Staat und eine Regionalmacht. Doch Riad unterstützt die syrische Opposition und will einen Regimewechsel, den Russland nicht akzeptieren kann. Zudem ist Saudi-Arabien ein traditioneller Verbündeter Washingtons. Moskau ist klar, dass es in Riad wesentlich weniger Einfluss hat als in Teheran.

Gemeinsam für Assad

Sowohl Russland als auch der Iran wollen das Assad-Regime schützen und stützen, weil es ihnen als Garant ihrer Interessen dient. Assads Position vor eventuellen politischen Verhandlungen zu stärken, ist eine wichtige Grundlage der Kooperation. Der Iran braucht ein Syrien unter Assad als Versorgungsroute für die libanesische Partei und Miliz Hisbollah. Sie ist Irans einzige strategische Verbündete gegen Israel und die USA. Für Russland ist Syrien der einzig echte Vorposten im Nahen Osten. Noch wichtiger ist es Moskau allerdings, einen Zusammenbruch des Regimes zu verhindern, der extremistische Kräfte stärken und das Chaos noch vergrößern würde.

Nicht an letzter Stelle geht es auch um die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Mit seiner militärischen Intervention hat Russland eine Wiederaufnahme der seit der Annexion der Krim ruhenden Gespräche mit den USA erzwungen.

Militärisch war Russlands Eingreifen ab September 2015 entscheidend für die Sicherung der Position Assads und der Operationen der Iranischen Revolutionsgarden. Im August 2016 vertieften Russland und der Iran ihre militärische Zusammenarbeit mit heftigen Bombardements auf Aleppo und mit Angriffen am Boden, nachdem Rebellentruppen die Vorstöße der Regierungstruppen zurückgedrängt hatten. Das war eine direkte Antwort auf die verstärkte Unterstützung des Westens für die in Aleppo kämpfenden Oppositionsgruppen.

Auch wenn das Hauptziel der Militäraktionen die Unterstützung Assads war, so ging es doch auch um den Kampf gegen vermeintlich extremistische Oppositionskräfte und den so genannten Islamischen Staat. Gerade Letzterer hat dem teuren Einsatz zu größerer Legitimität im Inland verholfen. Als „Terroristen“ und „Extremisten“ und damit als legitimes Ziel gilt sowohl dem Iran als auch Russland allerdings jegliche Opposition gegen Assad.

Feine Bruchstellen

Diesen Übereinstimmungen zum Trotz ist eine dauerhafte engere russisch-iranische Kooperation nicht ausgemacht. Entscheidend wird sein, wie lange man Assad an der Macht halten will. Teheran vertrat bislang die Auffassung, dass er bis zum Ende seiner Amtsperiode im Jahr 2021 Präsident bleiben soll. Moskau signalisiert, dass Assad seinen Posten von sich aus räumen könnte, sofern ein Regime erhalten bleibt, dass das Land regieren kann und bereit ist, die russischen Interessen zu respektieren.

Auch über die Frage der Zukunft der syrischen Kurden gibt es keineswegs nur Übereinstimmung. Der Iran beobachtet die militärischen Beziehungen Russlands und der USA mit der nationalistischen Partei der Demokratischen Union (PYD) der syrischen Kurden und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sehr genau. Nicht zuletzt wegen der wachsenden Probleme mit kurdischen Separatistengruppen hat Teheran ein föderalistisches Modell wie etwa Westkurdistan (Rojava) im Norden Syriens abgelehnt.

Russland nimmt dagegen eine nuanciertere Position zum Föderalismus als ultimativer Lösung für Syrien ein. Obwohl die Missstimmung im Verhältnis zur Türkei beigelegt scheint, nutzt Russland seine Beziehungen zu den Kurden, um Ankara zu beeinflussen. Diese Vorgehensweise könnte Moskau künftig auch in den Beziehungen zu Damaskus anwenden. Aus diesem Grund hat Moskau einen Entwurf für eine neue syrische Verfassung vorgelegt, der eine Dezentralisierung und weiterreichende Vollmachten für lokale Verwaltungen vorsieht. Gleichzeitig ist man sich in Moskau der Tatsache bewusst, dass ein föderalistisches Syrien die Beziehungen zu Teheran, Ankara und Bagdad verschlechtern und unberechenbare Entwicklungen in der Region zur Folge haben könnte.

Potenzial für Divergenzen liegt auch in den Beziehungen beider Länder zu nichtstaatlichen Akteuren. Der Iran unterstützt Milizen in Syrien wie die afghanische Fatemioun-Brigade oder die Nationalen Verteidigungskräfte. Russland dagegen hat stets starke zentralstaatliche Strukturen mit starker militärischer Kontrolle über die Sicherheitsbehörden bevorzugt. Moskau sähe es jedenfalls lieber, wenn die NDF im Zuge der Verhandlungen der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (ISSG) unter die Kontrolle der syrischen Armee gebracht würden.

Im Osten etwas Neues

Fragen der nationalen Sicherheit, die Lage im Kaukasus und Zentralasien, die Atomfrage, wirtschaftliche Interessen und jetzt die generelle Lage im Nahen Osten sind die wesentlichen Faktoren in Russlands Iran-Politik.

Die vermutlich größte Bedeutung hat der Faktor „Beziehungen zu den USA“. Russland nutzt sein Verhältnis zu Teheran als Hebel, um mehr Gestaltungsmöglichkeiten in sein Verhältnis zu den USA einbringen zu können. Ausnahme ist die Atomfrage, bei der Moskaus Verhältnis zu Wa­shington nicht die wesentliche Rolle spielt. Anders als die USA betrachtet Russland einen atomar bewaffneten Iran nicht als unmittelbare Bedrohung, obgleich Russland innerhalb der Reichweite iranischer Raketen läge. Russlands Sorge gilt vielmehr der möglichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse in einem Nahen Osten mit einem atomar aufgerüsteten Iran und einem potenziellen nuklearen Wettrüsten in der Region. Einen Militäreinsatz gegen Atomanlagen, wie er eine Weile diskutiert wurde, lehnte Russland stets vehement ab. Moskau ging es vielmehr darum, die USA zu einem diplomatischen Ansatz zu zwingen, bei dem Russland selbst eine Rolle spielt. Das E3+3-Modell hat Russland immer als gelungenes Beispiel für die Lösung globaler Sicherheitsprobleme gelobt.

Nach der Wiederwahl Putins 2012, also noch vor der Ukraine-Krise, begann Moskau, die Beziehungen zu Teheran auszubauen. Das war Ausdruck eines Umschwungs, der sich schon vor Putins Rückkehr in das Präsidentenamt abgezeichnet hatte: Moskau fühlte sich in einer vom Westen dominierten Weltordnung immer stärker fehl am Platz. Enttäuscht von der Libyen-Intervention (die faktisch zu einem Regimewechsel geführt hatte) und wütend über die Unterstützung der Proteste gegen Putin 2011 und 2012 begann Russland, sich immer stärker als nichtwestliche Macht zu definieren. Putin suchte intensivere Beziehungen zu China, investierte in die Eurasische Wirtschaftsunion und entdeckte den Iran als „alten traditionellen Partner“ – eine Bezeichnung, die nie zuvor zu hören war.

Schwierige Balance

Teheran mag gegenwärtig Russlands wichtigster Partner im Nahen Osten sein – Moskau bleibt aber daran interessiert, auch zu den regionalen Rivalen Irans, darunter Israel, Saudi-Arabien und Ägypten gute Beziehungen zu unterhalten. Diese Staaten haben zum Teil erheblichen Einfluss auf Moskau: Saudi-Arabien ist ein wichtiger Spieler, der auch großen Einfluss auf den Ölpreis ausüben kann. Israel könnte seine Waffenverkäufe nach Georgien wieder aufnehmen, die es auf Bitten Russlands nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien 2008 einstellte.

Wegen der tiefen Feindschaft des Iran zu Israel ist Russland zu einem schwierigen Balanceakt gezwungen. Israel möchte sichergehen, dass russische Waffen nicht über den Iran auch in die Hände der Hisbollah gelangen. Ebenso sehr will Israel verhindern, dass eine russische Luftunterstützung zum Aufbau einer iranischen Basis in Syrien führt, von der aus Angriffe gegen Israel möglich wären. Diese Bedenken nimmt Moskau ernst – was Teheran akzeptieren muss.

Russland hat auch seine Beziehungen zu Saudi-Arabien gestärkt, das zusammen mit den reichen Golf-Staaten Irans Hegemonialstreben eindämmen möchte. Aus diesem Grund versucht Moskau, die Intervention in Syrien in Kooperation mit dem Iran als Versuch darzustellen, iranischen Einfluss einzudämmen. Zudem hat Präsident Putin während des vergangenen Jahres mehrfach saudische Würdenträger getroffen. Auch unterstützt Russland die saudische Politik in Bahrain und im Jemen. Will Russland eine bedeutendere Rolle im Nahen Osten spielen, dann muss es eine Balance halten zwischen der militärischen Intervention auf der Seite einer schiitischen Macht und dem Interesse, sich nicht etwa einen „Sektenkrieg gegen die sunnitische Welt“ anhängen zu lassen. Aus diesem Grund braucht Russland auch enge Kontakte zu den Rivalen Irans – was zu Spannungen mit Teheran führen könnte.

Russland-Versteher, Neuausrichter

Für die iranische Führung ist klar: Die Beziehungen zu Moskau sind für die geopolitische Lage Irans, seine Verteidigungsarchitektur und seinen Spielraum bei Verhandlungen mit dem Westen von höchstem Wert. Aber eine eindeutige Festlegung auf Russland als bevorzugten Partner gibt es in der politischen Landschaft des Iran nicht.

Seit der Verabschiedung eines Planes für die Entwicklung der kommenden 20 Jahre durch den Obersten Religionsführer im Jahr 2005 gibt es eine Debatte, wie der Iran als Wirtschaftsmacht stärker werden könnte, wie sein Sicherheitskonzept für den Nahen Osten aussähe, welche Rolle es zwischen „Ost und West“ einnehmen sollte und welche Rolle die Beziehungen zu Russland darin spielten. In Teheran teilt sich die Debatte über Russland, die sowohl durch den Syrien-Konflikt als auch durch das Atomabkommen befördert wurde, generell in drei Lager.

Die Russland-Befürworter halten intensivere und strukturiertere Beziehungen zu Moskau für den besten Weg, die iranischen Interessen im In- und Ausland zu schützen, denn mit Russland gäbe es größere Übereinstimmungen als mit dem Westen. Diese „Denkschule“ findet sich vor allem unter den Verteidigungs- und Sicherheitskräften, die den stärksten Einfluss auf die Politik Irans in Syrien ausübten. Nicht zuletzt wegen des westlichen Embargos gegen den Iran spielt der Waffenhandel mit Russland für sie eine wesentliche Rolle. Die Aufhebung der Sanktionen nach Unterzeichnung des Atomabkommens und die Intensivierung des militärischen Engagements in Syrien haben den Bedarf Irans erhöht. Teheran hat jetzt eine Einkaufsliste für russische Lieferungen im Wert von angeblich acht Milliarden US-Dollar.

Eine wirtschaftliche und politische Öffnung zum Westen nach Aufhebung der Sanktionen sieht diese Gruppe skeptisch – immerhin sei das Engagement Europas auch nach dem Abkommen noch an Bedingungen ­gebunden und am Ende, so die Vermutung, stünde ja doch nur der Wunsch nach einem Regimewechsel. Also sollte Teheran engere Beziehungen zu den östlichen Mächten pflegen, selbst wenn es sich damit eher isoliere oder Waren in geringerer Qualität erhielte.

Die „Neuausrichter“ wiederum sind der Meinung, dass das Nuklear­abkommen Iran die Möglichkeit gibt, ausgewogenere Beziehungen zu den Weltmächten herzustellen. Sie wollen keine zu große Abhängigkeit von Russland riskieren. Diese Ansicht wird von Teilen der Exekutive, Technokraten und politischen Eliten des Iran geteilt, die glauben, dass die iranische Wirtschaft am meisten von einem dem Wettbewerb unterliegenden Handel und von internationalen Partnerschaften (auch mit dem Westen) profitiere. Das stärke auch Irans Stellung in der Region. Gerade weil der Iran international wieder eine Rolle spielen soll, müsse man Wirtschaftsbeziehungen mit einer nur kleinen Gruppe von Ländern vermeiden, die überdies auch weniger hochwertige Waren zu bieten hätten.

Gegen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber Vorsicht wäre nach Ansicht der Neuausrichter angebracht. Russland sei im Bereich technische Innovation oder Investitionskraft kein allzu attraktiver Partner. Waffenlieferungen, wie die Lieferung der S-300-Raketen, seien in der Vergangenheit schon verzögert worden, weil Moskau sich damit Zugeständnisse vom Westen erhoffte. Außerdem befände man sich auf dem Energiesektor in Konkurrenz und wolle auch nicht, dass der russische Erdgasriese Gazprom eine allzu große Rolle im Iran spiele. Und sein Engagement in Syrien könnte Russland am Ende doch nur dafür nutzen, sich auf Kosten des Iran wieder dem Westen anzunähern. Russland sei eben nie ein wahrer Verbündeter Teherans gewesen. Zugunsten einer Lösung in Syrien würde es den Iran als untergeordnete Macht behandeln.

In der iranischen Führung gibt es aber auch die „Fraktion des Mittelwegs“, die argumentiert, dass Russland allen Bedenken zum Trotz die Interessen des Iran in den sensibelsten Bereichen unterstütze und dass man den Beziehungen zu Moskau Vorrang geben sollte bei der Gestaltung seiner Wirtschafts- und Außenpolitik. Das aber dürfe nicht auf die Vernachlässigung einer potenziellen Zusammenarbeit mit dem Westen hinauslaufen.

Wie im Iran üblich ist auch diese Debatte ganz auf den Obersten Religionsführer ausgerichtet. Ali Khamenei hegt schon seit geraumer Zeit große Bewunderung für Wladimir Putin, der sich selbstbewusst dem Westen entgegenstellt und keinerlei Vorbehalte gegenüber den ideologischen Grundlagen der Islamischen Republik pflegt. Seit der Unterzeichnung des Atomabkommens setzt sich Khamenei enthusiastisch für weitere Initiativen zur Vertiefung der Beziehungen zu Moskau ein. Dem Westen gegenüber bleibt er zurückhaltend.

Der erfolgreiche Abschluss des Atomabkommens aber – der ohne die Zustimmung des Obersten Religionsführers ebenfalls undenkbar gewesen wäre – ist ein deutliches Zeichen für die gegenwärtigen Prioritäten Tehe­rans. In erster Linie geht es um die wirtschaftliche Entwicklung.

Was vorerst zusammenschweißt

Die multiplen Krisen im Nahen und Mittleren Osten und der Wunsch sowohl Russlands als auch des Iran, eine amerikanische Präsenz in dieser Region zurückzudrängen, werden wahrscheinlich weiterhin die Grundlage für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Teheran bilden. In naher Zukunft bleibt Syrien dabei der entscheidende Faktor. Beide Länder mögen wohl unterschiedliche langfristige Ziele und Interessen hegen. Aber zunächst gilt es, die unmittelbaren gemeinsamen Ziele – das heißt territoriale Gewinne in Syrien – zu erreichen und dafür auch so lange an der militärischen Kooperation festzuhalten, bis ein für Russland und den Iran günstiges Kräfteverhältnis in Syrien hergestellt ist. Sollte es in der nächsten Zeit nicht zu einer diplomatischen Lösung kommen, oder sollten Russland und der Iran sich wie im Sommer vergangenen Jahres mit größeren Schwierigkeiten in Syrien konfrontiert sehen, dann wird sich diese Kooperation weiter vertiefen – auf jeden Fall aber länger anhalten, als der Westen dies derzeit annimmt.

Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, dass es in den nächsten Jahren zu einer weiteren Konsolidierung einer von Moskau und Teheran angeführten Koalition gegen den IS kommt, die ihren Einfluss von Syrien bis in den Irak hinein ausweitet. Teheran könnte den russischen Verbänden durchaus auch in Zukunft wieder die Nutzung iranischer Luftwaffenstützpunkte für Einsätze in Syrien erlauben. So haben sich Russland und der Iran in Bagdad mit Syrien, dem Irak und der Hisbollah zu einer 4+1-Plattform zusammengeschlossen, die dem Austausch von Informationen dient. Konkrete Schritte gab es aber seither nicht. Der Irak hat jedenfalls bislang noch nicht Russland um Luftunterstützung gegen den IS gebeten, sondern verlässt sich weiterhin auf die Verbände der von den USA geführten Koalition (und iranische Bodentruppen).

Problematisch bleibt auch Russlands kompliziertes Verhältnis zu nichtstaatlichen Akteuren wie der Hisbollah und anderen vom Iran unterstützten Milizen. Moskau mag zwar in Syrien über einiges hinwegsehen und mit diesen Gruppen kooperieren. Aber es wird nicht aktiv Koalitionen mit diesen Gruppierungen suchen. Diskussionen über eine regionale Koalition seien jedenfalls spekulativ, heißt es in Moskau, und von einem „Paradigmenwechsel“ könne man schon gar nicht sprechen.

Strategische Einsamkeit

Angesichts dieser Einschränkungen ist zu bezweifeln, ob ein tieferreichendes regionales strategisches Bündnis zwischen dem Iran und Russland entstehen kann. Wahrscheinlicher ist, dass sie auf einigen Gebieten, in denen sie ähnliche Ziele verfolgen, zum gegenseitigen Nutzen handeln, ohne dass dies einer strategischen Partnerschaft entspräche. Ohne strategisches Bündnis aber werden Russland und der Iran nicht unbedingt so handeln, dass es den Interessen des jeweils anderen im Allgemeinen oder ihren militärischen Operationen im Nahen Osten dient.

Teheran wird wahrscheinlich seine regionalen Interessen weiterverfolgen und dafür einen Ansatz wählen, den viele iranische Analysten als „strategische Einsamkeit“ bezeichnen: nämlich eine Politik, die auf der Grundannahme beruht, dass der Iran keine Bündnisbeziehung zu irgend­einem regionalen oder globalen staatlichen Akteur pflegt. Seine Bindungen an Russland aber wird der Iran weiterhin nutzen, um seine militärische Verteidigungsstruktur auszubauen, seine regionale Politik besser umzusetzen und seine Interessen auf der internationalen Bühne zu schützen.

Auch wird das Vetorecht Russlands im UN-Sicherheitsrat weiterhin eine bedeutende Rolle spielen. Damit schützt sich der Iran vor internationalen, vom Westen initiierten oder angeführten Sanktionen. Teheran wird auch versuchen, die Position Moskaus als Mitglied der Gemeinsamen Kommission zu beeinflussen, die nach dem Gemeinsamen Aktionsplan gebildet wurde, um Differenzen mit dem Westen hinsichtlich des Atomprogramms anzusprechen.

Wachsame Partnerschaft

Was Russland betrifft, so werden die Beziehungen zum Iran von vielen, einander teils widersprechenden Faktoren abhängig bleiben. Ein Faktor wird sich allerdings nicht ändern: Die Abkehr Russlands vom Westen hat sich schon vor der Kooperation vollzogen. Sie ist nicht der Grund für die neue Partnerschaft.

Unter diesen Voraussetzungen werden die Beziehungen Russlands zum Iran trotz der immer intensiver werdenden militärischen Zusammenarbeit in Syrien eine „wachsame Partnerschaft“ bleiben. Russland erkennt an, dass es den Iran als Partner im Nahen Osten braucht, um dort eine wichtige Rolle zu spielen. Es erkennt aber gleichfalls an, dass es auch Beziehungen zu anderen Staaten pflegen muss – nicht zuletzt, weil es wegen seiner eigenen sunnitischen Bevölkerung nicht den Eindruck erwecken will, dem schiitischen Iran zu nahe zu stehen. Das könnte sunnitische Dschihadisten dazu bringen, ihren Kampf auch nach Russland zu tragen, was Moskau unter allen Umständen vermeiden will.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran wird wohl von beiden Seiten kaum als wesentlich eingeschätzt. Dabei wird es vor allem um Waffenhandel gehen. Der Iran ist ein lukrativer Markt für die russische Rüstungsindustrie, aber nur mit Einschränkungen. Eine betrifft die internen Spannungen im Nahen Osten. So fürchtet Israel, dass Waffen über den Iran an die Hisbollah gelangen könnten.

Wenig begeistert zeigt man sich in Moskau auch über Irans Geschäfts­gebaren. Der Iran sei nicht daran interessiert, ein Produkt zu kaufen, so ein russischer Militärexperte. Viel dringender wollten die Iraner die Technologie eines Produkts oder den Produktionsprozess selbst erwerben. Zuweilen bestünde Teheran sogar darauf, dass ein Produkt im Iran selbst montiert werde. Für den Iran geht es also um eine gewisse Autonomie – was wiederum Russland Sorgen bereitet. Aber auch im Iran gibt es Vorbehalte gegen das Gebaren Russlands. Das sieht sich als führende Macht, die erwartet, dass kleinere Mächte dessen Interessen zu respektieren und ihnen womöglich nachzugeben haben. Es sei dahingestellt, ob der Iran ein solches Verhalten auf Dauer akzeptiert.

Was sollte Europa tun?

Mit dem Atomabkommen wurde ein neues Kapitel der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EU, deren Mitgliedstaaten und dem Iran aufgeschlagen. Die Beziehungen dieser Länder zu Russland hingegen werden aufgrund der Ukraine-Krise und tiefverwurzelter weltanschaulicher Differenzen für einige Zeit überschattet bleiben. Gleichzeitig haben Russland und der Iran ihre militärische Zusammenarbeit im Nahen Osten in einer Weise ausgebaut, die sich zweifellos auf die Sicherheit Europas auswirken wird. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen Wege finden, um diese politischen Probleme und daraus resultierende weitere Herausforderungen zu bewältigen.

Doch kein „Assad muss weg“

Die für Europa wichtigsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Russland und Iran finden in Syrien statt. Wenn Europa in der Internationalen Unterstützergruppe (ISSG) eine größere Rolle spielen will, muss es sehr viel nüchterner und realistischer ausloten, welche Möglichkeiten ihm überhaupt zur Verfügung stehen. Russland und Iran haben Fakten geschaffen. Jetzt muss es darum gehen, eine Ausweitung des Konflikts zu vermeiden. Also sollten die europäischen ISSG-Mitglieder versuchen, Teheran und Moskau mit diplomatischen Mitteln dazu zu bringen, die Gewalt unter Kontrolle zu bekommen und sich auf die Suche nach einem politischen Mittelweg machen, anstatt sich ausschließlich auf die Beseitigung Assads zu konzentrieren.

Falls überhaupt jemals die Möglichkeit bestanden haben sollte, einen vollständigen Übergang der Macht von Assad an eine „gemäßigte Opposition“ zu ermöglichen, dann ist diese Chance jetzt verpasst. Russland und Iran ist es gelungen, die Position Assads zu festigen. Ein plötzliches und schnelles Ende seines Regimes würde in der Tat zu einem Zusammenbruch des Staates führen und extremistischen Kräften zu größerer Kontrolle über das Land verhelfen.

Europa sollte versuchen, den diplomatischen Prozess in Richtung schrittweiser Änderungen zu bewegen und zumindest eine anfängliche Vereinbarung über eine Teilung der Macht anvisieren. Dabei muss Europa nicht grundsätzlich auf das Ziel einer Regimeänderung verzichten. Aber die europäischen Staaten müssten Iran und Russland zu überzeugen versuchen, dass eine politische Lösung nur dann langfristig Bestand haben kann, wenn sie Assad genug Macht entzieht, um auch oppositionelle Gruppen einbeziehen zu können. Eine solche Lösung muss auch ein Ende der willkürlichen Gewaltanwendung durch das Regime und seine externen Unterstützer umfassen. Hier kann Europa den Wunsch Russlands nach einer endgültigen, dauerhaften und nicht vom Westen infrage gestellten Lösung für sich nutzen.

Bestünde man aber auf einer sofortigen vollständigen Machtübergabe oder käme es zu einer Intensivierung der Bodenkämpfe, dann würden Russland und der Iran ihre Kooperation wohl noch intensivieren. Das Resultat wäre noch mehr Gewalt und damit noch höhere Kosten für die Syrer, aber auch für Europa, das vermutlich noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen hätte. Der in den vergangenen Monaten geführte Kampf um Aleppo hat gezeigt: Wenn das Regime und seine Unterstützer im Nachteil sind, werden Iran und Russland enger aneinandergebunden und reagieren mit einer Eskalation der Situation.

Wenn Europa über ein diplomatisches Vorgehen nachdenkt, täte es auch gut daran, keinen Keil zwischen Iran und Russland treiben zu wollen, indem man versucht, Moskaus Unterstützung auf Kosten des Iran zu gewinnen. Das kann in Anbetracht der gemeinsamen Interessen der beiden nicht gelingen. Außerdem scheinen weder Russland noch Iran willens oder in der Lage zu sein, Assad allein auszuliefern. Für Russland wäre es nach der kontinuierlichen Unterstützung Assads schwierig, ihn jetzt schlicht fallen zu lassen – selbst wenn man Moskau dazu brächte, sich in dieser Frage nicht eng an Teheran zu koppeln. Soll es eine dauerhafte Lösung geben, dann muss sie beide Staaten einbeziehen. Russland ist eventuell in der Lage, Iran von einer Machtteilung auf allgemeinerer Ebene zu überzeugen. Aber nicht davon, Assad fallen zulassen, der eine solch zentrale Rolle für Irans Interessen spielt.

Falls es Unterschiede zwischen Russland und Iran gibt, die man nutzen könnte, werden diese wohl erst zum Tragen kommen, wenn die Gewalt abgeflaut ist und das Regime nicht mehr in seiner Existenz bedroht ist. Dann könnte sich Europa mit strategischen Differenzen zu den längerfristigen Fragen in Bezug auf Assad, die Kurden und die künftige Rolle der vom Iran unterstützten Milizen befassen, und zwar so, dass dies zu einer Lockerung des gegenwärtig zwischen den beiden Ländern bestehenden Bündnisses führen könnte.

Der Wunsch Russlands, eine vom Westen legitimierte politische Lösung zu finden, gibt Europa die Möglichkeit, Einfluss auszuüben. Andererseits dürfte auch der Iran an einer aktiven Einbeziehung Europas in den diplomatischen Prozess interessiert sein. Das hatte sich bereits während der Atomverhandlungen als nützlich erwiesen. Gleichzeitig ist es nicht daran interessiert, die USA in die Lage zu versetzen, die Bedingungen zu diktieren.

Die neue Offenheit nutzen

Um ihre Sicherheitsziele im Nahen Osten zu erreichen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten den Iran aktiv einbeziehen. Europa könnte Nutzen aus der Öffnung ziehen, die im Verlauf und mit dem Abschluss des Atomvertrags entstanden ist. So wie Russland aktiv auch Beziehungen zu Irans Rivalen unterhält, sollte Europa auch versuchen, effektive, wenn auch nicht immer enge Beziehungen zu allen Akteuren in der Region – einschließlich des Iran und Russlands – sowie zu ihren traditionellen Verbündeten zu unterhalten.

Da noch nicht abzusehen ist, welche Politik die USA unter der neuen Regierung gegenüber Russland, dem Iran oder bei der Bekämpfung des IS verfolgen wird, wäre eine aktive Rolle Europas jetzt umso wichtiger. Problematisch – um das Mindeste zu sagen – sind ja auch Europas künftige Beziehungen zu Russland, den Staaten des Golf-Kooperationsrats und der Türkei. Letztendlich wird Europa Partnerschaften mit all diesen regionalen Akteuren einschließlich des Iran eingehen müssen, um die vielen Bedrohungen, denen es sich jetzt gegenübersieht, mindern zu können und um auf die raschen Änderungen in den Bündnisstrukturen der Region reagieren zu können.

Das Atomabkommen hat ein günstigeres Gesprächsklima mit dem Iran ermöglicht. Europa täte gut daran, diese positiveren oder zumindest engeren Beziehungen zum Iran zu nutzen, um seine eigenen, durch das Verhalten Irans in der Region hervorgerufenen Sorgen anzusprechen. Wie die Beziehungen Russlands zum Iran zeigen, gibt es Bereiche, in denen Europa ein wertvoller Partner des Iran sein kann. Aus der Sicht Irans bestehen die Vorteile Europas im Gegensatz zu Russland und den USA in seiner Wirtschaftskraft, möglichen Investitionen und modernster Technologie. Ein konstruktiveres Verhältnis zum Iran könnte Europa eventuell dabei helfen, künftige Spannungen zwischen den USA und der Islamischen Republik zu verringern oder unter Einbeziehung weiterer regionaler Akteure eine gewisse Vermittlerrolle zu spielen. In anderen Bereichen könnte es die Stellung Europas gegenüber Russland und sogar regionalen Verbündeten stärken.

Um mit Russland im Syrien-Konflikt und in der MENA-Region zusammenarbeiten zu können, muss man die Motivlage der russischen Politik in dieser Region besser verstehen und auf dieser Grundlage eine nuanciertere europäische Politik entwickeln.

Dass Russland dazu gebracht werden konnte, in der Frage des iranischen Atomprogramms umzuschwen­ken, bedeutet noch nicht, dass Moskau überzeugt werden kann, sich der europäischen Meinung zur ­Syrien-Frage anzuschließen. Die Haltung Russlands zum iranischen Atomprogramm und seine Haltung zu Syrien unter­liegen einer jeweils völlig anderen Logik. Im Fall Irans insistierte Russland auf einer rein diplomatischen Lösung der Atomfrage. Was Syrien angeht, hatte Russland stets andere Vorstellungen von einer dauerhaften Lösung und wie man diese finden könnte als der Westen. Deshalb war es nie möglich, Russland zu einem Regimewechsel zu überreden und eine aus „gemäßigten Oppositionellen“ gebildete ­Regierung zu akzeptieren.

Durch sein früheres Umschwenken in der Iran-Frage hat Russland möglicherweise selbst den Eindruck erweckt, der Westen könne die Richtung seiner Politik bestimmen. Falls dies tatsächlich je der Fall gewesen sein sollte, trifft es jetzt auf keinen Fall mehr zu.

Allerdings gibt es dennoch Möglichkeiten, Russland wenigstens geringfügig zu beeinflussen. Was die europäischen Länder betrifft, ist Russland paradoxerweise immer noch blind für die Macht und den Willen auch zu demokratischen Veränderungen, die den Gesellschaften selbst innewohnen. Der Kreml ist immer noch der Auffassung, der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch wäre durch den Einfluss äußerer Mächte gestürzt worden und nicht durch die ukrainische Gesellschaft und die ­andauernden Demonstrationen auf dem Maidan.

Aber Russland versteht wesentlich besser, was Macht im Nahen Osten bedeutet – wo Machtausübung und Druck nämlich von nationalen oder religiösen Minderheiten ausgehen. Russland mag also erkennen, dass ein künftiges syrisches Regime ohne die Unterstützung breiter Schichten der Gesellschaft – einschließlich oppositioneller Gruppen – einfach keinen dauerhaften Bestand haben wird. Dies könnte Europa nutzen, die Position Russlands so zu beeinflussen, dass es mit einer Übereinkunft über eine Teilung der Macht einverstanden ist, die den Weg hin zu einem künftigen demokratischen Übergang freimachen könnte. Europa könnte in der Lage sein, den Boden zu bereiten für einen Prozess, der es ermöglicht, in Zukunft eine breiter akzeptierte Regierung zu errichten.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten auch ihre Beziehungen zu Russland deutlicher strukturieren. Man sollte zum Beispiel aufhören, Syrien und die Ukraine miteinander zu verknüpfen, indem man davon ausgeht, dass die Zusammenarbeit Russlands zu Syrien sich auf die Haltung zur Ukraine auswirkt, oder dass durch Gespräche mit Russland womöglich auch die Annexion der Krim anerkannt würde.

Die europäische Haltung zu Syrien mag unrealistisch und wirklichkeitsverweigernd gewesen sein. Die russische Haltung zur Ukraine aber ist es. Die Art von Einfluss, die Russland auf die Ukraine ausüben will, ist prinzipiell unmöglich. Es gibt also keinen Grund für Europa, seine Haltung im Ukraine-Konflikt zu ändern. Europa hat allen Grund, in der Syrien-Frage mit Russland zusammenzuarbeiten und sollte dies auch tun. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten aber an ihren Prinzipien und roten Linien hinsichtlich der Ukraine festhalten.

Sanktionen klug einsetzen

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sorgfältig darüber nachdenken, welch große Rolle Sanktionen als Instrument der EU-Außenpolitik spielen und wie sich dies auf die Achse Moskau-Tehe­ran auswirken könnte. Dabei sollte die EU allerdings vermeiden, auf die Verallgemeinerungen einzugehen, dass Sanktionen Russland automatisch in die Arme Irans treiben werden. Psychologisch sieht sich Russland nicht auf einer Stufe mit dem Iran. Es betrachtet sich als eine große Macht und das E3+3-Format als angemessene Form, die Atomfrage zu behandeln. Aber Russlands Reaktion auf vom Westen gegen Iran verhängte Sanktionen wird letztendlich von den damit verfolgten Zielen abhängen.

Falls die EU in Zukunft Sanktionen gegen den Iran in Betracht zieht – entweder wegen eines so genannten „Rückschlags“ in der Atomfrage oder aufgrund von nicht mit dem Atomprogramm verbundenen, von den USA aufgebrachten Fragen –, wird Russland schwer davon zu überzeugen sein, sich ihnen anzuschließen. Moskau wird vom Westen vorgelegte Beweise nicht leicht als echt akzeptieren oder für ausreichend halten. Falls es das Ansinnen jedoch für legitim hält, wird es sich aufgrund seiner Mitgliedschaft im Gemeinsamen Ausschuss wahrscheinlich zur Kooperation bereiterklären, insbesondere in der Atomfrage. Russland hat allerdings zu den Verteidigungsfähigkeiten Irans stets eine nachsichtigere Haltung eingenommen. Es wird sich also den USA oder der EU kaum anschließen, wenn diese in Fragen wie den iranischen Raketen oder der Beziehung zur Hisbollah eine harte Linie fahren wollen und versuchen sollten, deswegen Sanktionen im UN-Sicherheitsrat zu verabschieden.

Beide Staaten einbeziehen

Die neue Dynamik zwischen Moskau und Teheran wird den Nahen Osten wohl auf absehbare Zeit beeinflussen. Es ist zwar zu früh, von einem Bündnis oder einer über die gesamte Region reichenden Koalition zwischen Russland und Iran zu sprechen, aber ihre militärischen Beziehungen könnten durchaus Folgen auch außerhalb Syriens haben und sich auch auf europäische Sicherheitsinteressen auswirken. Gegenwärtig kann Europa wenig tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken oder auf ein Auseinanderdriften der beiden Länder hinzuwirken.

Stattdessen sollte Europa die Möglichkeiten nutzen, die es unter den gegenwärtigen Bedingungen hat, um als außenpolitischer Akteur größere Bedeutung zu erlangen. Es sollte auch versuchen, seine eigenen Interessen in der Region voranzutreiben, indem es sowohl Moskau als auch Teheran auf konstruktivere und nützlichere Art und Weise in die Bestrebungen zur Beendigung des Syrien-Konflikts einbezieht.

Ellie Geranmayeh ist als Politikwissenschaftlerin beim European Council on Foreign Relations (ECFR) zuständig für das ­Nahost- und Nord­afrika-Programm.

Kadri Liik ist leitende Politik­wissenschaftlerin beim ECFR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 84-97

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