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01. Jan. 2017

Der Glanz der Ignoranz

Die Methode Trump und wie man ihre weitere Ausbreitung verhindern kann

Amateure statt Polit-Profis, Gebrüll statt Diskurs, Postfaktizismus statt Wahrheitssuche: Im Gefolge Donald Trumps zielen auch Europas Rechtspopulisten auf drei wesentliche Fundamente einer liberalen Demokratie. Mit Lautstärke wird man ihnen nicht beikommen – mit Leidenschaft für Professionalität und das zivil geführte Gespräch schon eher.

Es gibt einiges, das Donald J. Trump und Wladimir Wladimirowitsch Putin gemein haben. Den Hang zu Pomp und Diktatorenkitsch, zum Beispiel. Oder die Überzeugung, dass Politik ein Business (möglichst zu eigenen Gunsten) ist, abzuwickeln zwischen wichtigen Männern ohne großes Konsens-Gedöns.

Beide beherrschen auch eine Kunst, die Freund wie Feind dazu verleitet, sie entweder gar nicht ernst zu nehmen oder viel zu spät, um dann zu rätseln, was sie denn vorhaben könnten: die Kunst der strategischen Ambivalenz. Sowohl Trump als auch Putin nutzen die gezielte Verschleierung, senden Botschaften aus, die einander völlig widersprechen und allein der Verwirrung und Verunsicherung dienen (das ist ja das Wesen der russischen Propaganda im 21. Jahrhundert). In ihren Kernbotschaften bleiben sie sich jedoch stets treu.

Putin, das wissen wir seit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, hat eigentlich immer klar benannt, was er für sein Russland will. Endlich wieder eine Großmacht zu sein, mit Anspruch auf Einflusszonen in der unmittelbaren Nachbarschaft und dem Recht, sich äußere Einflussnahmen oder Lehrstunden in Demokratie zu verbitten. Man hat es nur nicht ernst genommen. Trump mag sich selbst als „unfertigen Kandidaten“ bezeichnet haben. Er mag den Eindruck erwecken, als höre er auf denjenigen, der zuletzt Zugang zu ihm und vielleicht ein paar gute Argumente für ihn hatte. Und doch ist er von wesentlichen Kernpunkten einer zukünftigen US-Politik nie abgerückt: weniger Engagement in der Welt, das Iran-Abkommen neu verhandeln, illegale Einwanderer abschieben und Einwanderung generell begrenzen, radikalislamischen Terrorismus bekämpfen, gleich mit wem und mit welchen Mitteln.

Während das System Putin eine kleptokratische Elite installiert und die russischen Medien zur Konstruktion einer eigenen Wirklichkeit weithin gleichgeschaltet hat, wird Trump nicht müde, gegen „die Elite“ und das Establishment, gegen „Political Correctness“ und die so genannten „Mainstream-Medien“ ins Feld zu ziehen. „Den Backlash seiner Kampagne gegen die politische Korrektheit, das ‚Wir-gegen-die-Elite‘ kann man gar nicht unterschätzen“, so Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway.

Das verbindet Trump mit allen rechts- und in Teilen auch linkspopulistischen Bewegungen. Und in fast allen westlichen Ländern ähneln die Reaktionen auf seinen Wahlsieg einander: Die Populisten feiern einen Sieg „des Volkes“ – ungeachtet der Tatsache, dass „das“ von den Populisten vereinnahmte zuweilen nicht einmal die Mehrheit und schon gar nicht die gesamte Gesellschaft repräsentiert. Liberale aller Couleur können es derweil nicht fassen, dass ein US-Wahlkampf mit russischer Nachhilfe, aber vor allem mit der gezielten Verletzung aller Regeln des zivilen Miteinanders gewonnen werden kann – mit offenem Fremdenhass, Verspottung von Kriegshelden, Frauenfeindlichkeit und der Erklärung des politischen Gegners zum Feind, der vernichtet werden muss („Lock her up!“).

Diesem tiefen Schock über das Unerwartete, wenngleich nicht Undenkbare, mag auch eine Gewissensprüfung bei den Objekten der Attacke ausgelöst haben, die flagellantische Züge trägt. Hat „das Establishment“ denn nicht tatsächlich die Sorgen vieler Leute übersehen oder nicht ernst genug genommen? Muss man nicht wirklich den Eindruck haben, eine, wiederum von der „Elite“ und der – im Sprech der Alternative für Deutschland und ihres Umfelds – „linksgrün versifften Medienlandschaft“ ersonnene politische Korrektheit verbiete es, Themen wie die Rolle von Religion, mangelnde Integration, kulturelle Unterschiede zwischen Migranten und „Alteingesessenen“, von Ausländern begangene Straftaten usw. offen anzusprechen? Sind die Medien vielleicht tatsächlich zu nahe an der Politik, die sie doch kritisieren sollen? Sind sie zu langsam, zu träge, Dinosaurier einer sich radikal verändernden Medienlandschaft, zum Aussterben verdammt?

Lob der schottischen Aufklärung

Die selbstkritische, möglichst ungeschönte Auseinandersetzung mit Mängeln und Fehlern ist in demokratischen Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit – ja, sie ist sogar Grundlage der westlich geprägten politischen Ordnung. Das System der „Checks and Balances“ in den USA, auf dem jetzt die (womöglich etwas naive) Hoffnung auf eine Einhegung Trumps ruhen, ist nicht allein der Furcht vor Alleinherrschaft und Tyrannei geschuldet. Es entsprang einer tiefen, vor allem der schottischen Aufklärung zu verdankenden anthropologischen Einsicht: Der Mensch ist im Allgemeinen weder gänzlich gut noch gänzlich böse. Er sollte auch nicht, wie es die französischen Aufklärer und in deren Fahrwassern noch jeder Totalitarismus forderten, im Zweifel mit gewaltsamen Mitteln zum Gutsein erzogen werden. Nein, in erster Linie ist der Mensch ein fehlerhaftes Wesen. Er irrt, und zwar beständig. Und weil das so ist, wurde die repräsentative Demokratie nicht auf das Vorgaukeln einer irgendwann zu erreichenden Perfektion angelegt wie die Totalitarismen rechts wie links – sondern auf der Erkenntnis, dass der Mensch, aus krummem Holz geschnitzt, höchstens das Bestmögliche anstreben, die Perfektion aber nie erreichen kann. Für dieses fehlbare Wesen ist ein System angebracht, das Kontrolle vorsieht und Korrektur erlaubt.

Nicht perfekt zu sein, ist die Stärke der Demokratie – aber auch ihre Schwäche, wann immer Müdigkeit einsetzt angesichts der Mühen der Konsensbildung und der Annäherung an das immer „nur“ ganz Passable, nie aber vollständig Gelungene. Oder wenn eine frivole Lust an der (Selbst-)Zerstörung um sich zu greifen scheint.

Ob in Trumps Wahlkampagne, beim Brexit-Referendum oder den ersten Amtshandlungen populistischer Regierungen in Polen und Ungarn: Der Angriff auf pluralistische Medienlandschaften und die Unabhängigkeit der Judikative gehört fest zum Repertoire. Populisten fordern „Wandel“ – dessen Natur nie wirklich ausbuchstabiert wird. Aber es geht ihnen nicht um Korrektur, sondern um Karambolage; nicht um (durchaus fällige) Reparatur, sondern um Totalabriss. Sie zielen dabei auf drei wesentliche Fundamente einer demokratischen, freien, offenen und immer vielfältigeren Gesellschaft: auf den Professionalismus in der Politik; auf die zivile Diskussionskultur demokratischer Gesellschaften; und auf die Verwischung von Tatsache und Lüge (oder, im wohlfeilen Neusprech, zwischen dem Faktischen und dem Postfaktischen).

Das Establishment als Anti-Establishment

Wenn ein Mann, der in einer sich über drei Stockwerke erstreckenden, durch und durch vergoldeten Wohnung eines nach ihm benannten Wolkenkratzers auf der New Yorker 5th Avenue lebt, „die Elite“ attackiert, dann kann er damit nicht die üblichen „Schönen und Reichen“ meinen – zumal in seinem Kabinett mehr Milliardäre sitzen dürften als je zuvor in einer US-Regierung. Er meint – und das versteht seine Wählerschaft, die übrigens längst nicht nur aus abgehängten Stahlarbeitern des Mittleren Westens besteht, nur zu gut – das „politische Establishment“: Washington, „die Politiker“, Bürokraten, Berater, Think-Tanker, White-House-Korrespondenten – der politisch-mediale „Klüngel“, der angeblich in einer großen Blase sitzt und „von denen da draußen“, also, „dem Volk“, nichts mehr mitbekommt. So kommt es auch bei anderen Populisten an: Trumps Erfolg sei ein „Sieg gegen das System“, gegen die „Mainstream-Medien“ und eine „letzte Warnung“ für all die „arroganten und abgehobenen Politiker“, so die Pressemitteilung von AfD-Chef Jörg Meuthen am 9. November.

Nun sind Lebenswelten eigentümliche Konstrukte. Sie verleiten dazu, es sich im eigenen Denkwohnzimmer allzu bequem zu machen. Es gibt in der Tat zu wenig Austausch, zu wenige „Kräfte von außen“, die in entscheidungsmächtigen Positionen eingefahrene Institutionen ordentlich durchrütteln könnten. Die Rekrutierungsprozesse durch die politischen Parteien sind alles andere als zufriedenstellend. Wer etwas bewirken will, engagiert sich nur selten in irgendeinem Ortsverband, sondern arbeitet lieber für eine NGO. Und ja, Politiker klingen oft, als hätten sie ihre Statements aus einem Automaten für garantiert reibungsfreie Sprache gezogen. Was aber zuweilen nicht verwundert, wenn jeder auch nur annähernd originelle oder nicht vorher genau austarierte Gedanke gleich zum neuen Konflikt oder gar Skandal stilisiert wird.

Richtig ist aber auch, dass zu „dem Establishment“ Parlamentsabgeordnete gehören, die häufig in 16-Stunden-Tagen Sitzungen absolvieren, Bürgersprechstunden abhalten, in ihren Wahlkreisen tingeln, sich durch Berge von Unterlagen graben, um mithalten zu können bei Entscheidungen über Themen von der nächsten Gesundheitsreform bis zur Handelspolitik mit China. Das „System“ wird weitgehend getragen von Bürokraten, die gerade in den oberen Rängen wenig abgehoben sind, sondern eher niedergedrückt werden von den Tonnen an Aktenmaterial, das sie zu bewältigen haben, und die häufig über ein hohes Maß an Professionalität verfügen. Und „Experten“, so inflationär der Begriff auch gebraucht werden mag, sind nicht etwa nervig pessimistische Menschen, die einem mit Berechnungen über die Kosten eines Brexit die Laune am Austritt verderben wollen und deshalb „verzichtbar“ sind. Sondern Menschen, die sich beruflich und somit tagein, tagaus mit bestimmten politischen Gebieten beschäftigen und deshalb vielleicht sogar Orientierungshilfen bieten könnten.

„Authentischer“ Dilettantismus statt angeblich „abgehobener“ Professionalismus, so heißt die Devise der Populisten. Um Politik zu machen, brauche man kein „langweiliges“ Expertenwissen. Keine Intelligence Briefings, weil doch „der eigene Kopf gut genug ist“. Keine Hintergrundinfos vor einem Gespräch mit ausländischen Staatsführern. Wir leben in Zeiten höchster Komplexität, in denen Problemlagen geduldig auseinandergedröselt gehören? Ach was – einfach beherzt zuschlagen und sich bei Freund wie Feind Respekt verschaffen, so funktioniert die Methode Trump und seiner Brüder und Schwestern im Geiste. Tröstlich ist dabei, dass noch alle Populisten, denen der Einzug in die Parlamente, sprich in die „fade“ Welt der „Aktenfresser“, gelungen ist, nach kürzester Zeit von den Ansprüchen des Professionalismus zerrieben wurden. Wenig tröstlich ist, dass unerschrockene und von sich und ihren eher simplen Lösungsvorschlägen zutiefst überzeugte Dilettanten in der Zwischenzeit irreversible Schäden anrichten können.

Das „Unsagbare“ und die Wahrheit

Wenn der Profi zum Nichtskönner erklärt wird und der Dilettant zum Problemlöser, dann sollte es auch nicht weiter verwundern, wenn das angeblich „nicht Sagbare“ als Wahrheit gilt, wird es nur laut genau herausgebrüllt – und dass Medien, die sich zuweilen eher redlich als erfolgreich um Aufklärung bemühen, als „Lügenpresse“ gelten. In den hermetischen Lebenswelten der Populisten ist alles auf den Kopf gestellt. „Political Correctness“ mag ein selten dämlicher Begriff sein, denn wer dürfte in einer offenen Gesellschaft schon den Standard setzen, was „korrekt“ ist und was nicht? Und angefangen mit dem Blödsinn haben auch nicht unbedingt die Populisten. Schon das postmoderne Gerede von den „Narrativen“ hat einen Gedanken eingeführt, der für den politischen Diskurs nicht gesund ist – dass nämlich Tatsachen weniger zählen könnten als die „Erzählung beziehungsweise die Interpretation der Tatsachen“. Seitdem fordert man „neue Narrative“ für alles und jedes: für die Friedenspolitik, für Europa, für unsere Gesellschaften.

Bei der Attacke der Populisten gegen die „politische Korrektheit“ geht es nicht darum, Probleme offen anzusprechen, sondern zivilisatorischen Firnis abzuräumen, damit Probleme mit Rücksicht angesprochen werden können. Es geht darum, Meinungen, und seien sie noch so abseitig, mit Tatsachen gleichzusetzen und noch dem krudesten Vorurteil genauso große Geltung zu verschaffen wie der berechtigten Kritik. Dazu gehört, die „vierte Macht“ im Staate, die „etablierten Medien“ anzugreifen, sie lächerlich zu machen und sie als unglaubwürdig zu erklären. Wie erfolgreich dies ist, zeigt sich schon daran, dass der von Pegida und AfD aus dem linguistischen Zombiereich des Nationalsozialismus wiederbelebte Begriff der „Lügenpresse“ als deutsches Lehnwort Eingang in den amerikanischen Sprachgebrauch gefunden hat.

Dass es angesichts dieser Entwicklungen allerhöchste Zeit ist, wieder genau zwischen Information und Meinung zu unterscheiden, weniger den sozialen Medien mit ihrer angeblichen Schnelligkeit hinterherzuhecheln, sondern zuweilen etwas langsamer, dafür aber auch verlässlicher zu sein, zeigen ein paar Zahlen: Im Rahmen einer Studie der Stanford University hatten 90 Prozent der befragten rund 8000 Schüler und Studenten Schwierigkeiten, die Glaubwürdigkeit einer Nachrichtenquelle zu bewerten. 80 Prozent konnten „bezahlten Inhalt“ (sprich: Werbung) nicht von Nachrichten unterscheiden. Über 30 Prozent hielten auch haarsträubende Fake News für echt. Eine Schlagzeile wie „FBI-Agent Suspected in Apparent Hillary Email Leaks Found Dead in Apparent Murder-Suicide“ erwies sich als vollkommen erlogen, wurde aber auf Facebook eine halbe Million Mal geteilt. Vom Hang, dem Reißerischen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Wahrscheinlichen, profitieren die Populisten. Im US-Wahlkampf haben die geradezu industriell hergestellten „gefälschten Nachrichten“ eine enorme Rolle gespielt. Und einer der Spezialisten für Fake News, Breitbart.com-Mitgründer Stephen Bannon, ist nun Chefstratege im Weißen Haus.

Man wird dem Vulgären und Lauten nicht mit größerer Lautstärke beikommen können. Aber mit größerer Leidenschaft in der Verteidigung politischer Professionalität und eines kritischen, aber zivil geführten Gesprächs. Es wird in Zukunft darum gehen, Selbstkritik zu üben, ohne damit Selbstzerstörung zu betreiben. Es wäre hilfreich, wenn in den Medien wieder von Tatsachen statt von „Wahrheit“ die Rede wäre – einem Begriff, den man getrost Philosophen oder Propheten überlassen sollte. Und schön wäre es, statt vom „Volk“ wieder von den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, deren aktive Teilnahme die Politik sich nur wünschen kann. Denen sie aber auch zumuten darf, sich das dafür notwendige, zuverlässige Wissen zu beschaffen.

Dr. Sylke Tempel ist Chefredakteurin der Internationalen Politik und des Berlin Policy Journal.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 43-47

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