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06. Okt. 2016

Was passiert gerade in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU?

Im Juli veröffentlichte die Hohe Vertreterin, Federica Mogherini, die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Seither wird über notwendige Folgedokumente zur Implementierung der Strategie diskutiert. Pünktlich zum Treffen der Verteidigungsministerinnen und -minister in Bratislava verstärkte eine deutsch-französische Initiative zur Vertiefung der GSVP die Diskussion.

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Wie lassen sich die derzeitigen Dynamiken in der GSVP einordnen?

Laura Krug: Die GSVP scheint momentan der einzige Bereich zu sein, in dem sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten auf eine europäische Politik verständigen kann. Die Globale Strategie für Außen- und Sicherheitspolitik, die alle Mitgliedstaaten unterstützen, und der verteidigungspolitische Aktionsplan der Europäischen Kommission sollen für eine stärkere GSVP sorgen, aber auch Geschlossenheit demonstrieren – nach innen wie nach außen –, in einer Zeit, in der der innereuropäische Zusammenhalt einen Tiefpunkt erreicht hat, nicht zuletzt wegen der britischen Entscheidung, aus der Union auszutreten.

Die Gelegenheit haben allen voran Deutschland und Frankreich erkannt. Während die Globale Strategie und der Aktionsplan die Produkte der Arbeit der vergangenen Jahre sind, hat die deutsch-französische Initiative eine neue Dynamik entfacht: Sie kam von Deutschland und Frankreich, zwei zentralen Akteuren der GSVP, und sie kam zu einem günstigen Zeitpunkt. Durch die anstehende Implementierung der Globalen Strategie hat sich ein Spielraum für eine vertiefte Kooperation ergeben.

Welche Ziele beinhaltet die deutsch-französische Initiative?

Laura Krug: Anders als von den Briten befürchtet und von einem Großteil der Medien propagiert, fordert die Initiative keine europäische Armee – im Gegenteil: Deutschland und Frankreich sind sich einig, dass es in absehbarer Zeit keine europäische Armee geben wird.

Vielmehr geht es darum, die bereits bestehenden Möglichkeiten und Instrumente anzuwenden. Die Ziele der Initiative sind nicht neu: militärische und zivile Missionen ausweiten, militärische Fähigkeiten verbessern und die Verteidigungskooperation vorantreiben, unter anderem durch eine starke europäische Verteidigungsindustrie. Konkret fordern Deutschland und Frankreich, künftig die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit zu nutzen, etwa beim Aufbau eines EU-Hauptquartiers für militärische und zivile GSVP-Missionen. Der geografische Fokus soll weiterhin auf der europäischen Nachbarschaft und den (nord-)afrikanischen Ländern liegen. Ob es sich jedoch vermehrt um Missionen zur Grenzsicherung handelt oder die EU stärker als Exporteur von Sicherheit in Erscheinung treten möchte, wird nicht deutlich.

Zudem soll der Athena-Mechanismus zur Finanzierung von GSVP-Aktivitäten überarbeitet werden. Nach dem bisherigen Prinzip müssen jene Mitgliedstaaten, die sich an GSVP-Missionen beteiligen, auch die anfallenden Kosten übernehmen. So haben sich die Mitgliedstaaten bislang nur sehr zurückhaltend engagiert. Sollten Deutschland und Frankreich wie angekündigt bis Ende des Jahres einen Vorschlag zur Überarbeitung von Athena vorlegen, würde dies eine Ursache der bislang schwachen GSVP-Performance beheben.

Wie realistisch ist die Umsetzung der Initiative?

Laura Krug: Die Initiative kommt zu einem günstigen Zeitpunkt: Die Implementierung der Globalen Strategie ist derzeit oberste Priorität der Hohen Vertreterin, und die deutsch-französische Initiative unterstützt diese Strategie mit Nachdruck. Die Verteidigungsministerinnen und -minister haben bereits einstimmig entschieden, dass drei Maßnahmen die GSVP stärken sollen: Erstens soll die Globale Strategie mit existierenden Instrumenten wie der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit umgesetzt werden. Zweitens soll die europäische Kooperation im Bereich der Verteidigungsindustrie mit Unterstützung der Kommission und deren verteidigungspolitischem Aktionsplan ausgeweitet werden. Drittens gilt es die EU-NATO-Erklärung von Warschau umzusetzen. Die drei Maßnahmen greifen die Ziele der deutsch-französischen Initiative auf und sind somit der erste Schritt zur Umsetzung.

Der Fahrplan sieht weiterhin vor, dass auch die Außenministerinnen und -minister den Zielen bei ihrem nächsten Treffen am 14. und 15. November 2016 zustimmen. Entscheidend wird allerdings das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungsoberhäupter im Dezember. Nur wenn die Ziele dort formal in einer Ratsentscheidung festgehalten werden, sind sie bindend. Es ist so wie immer: Am Ende zählt der politische Wille der Mitgliedstaaten. Hier bezieht sich das auf die Frage, ob sich Europa zukünftig eigenständiger für seine Sicherheit und die Sicherheit seiner Nachbarschaft einsetzen will.  

Wie stehen die übrigen Mitgliedstaaten zur deutsch-französischen Initiative?

Laura Krug: Die einstimmige Entscheidung für eine Stärkung der GSVP ist ein positives Signal. Dennoch kann man daraus nicht ableiten, dass sich im Dezember alle Regierungsoberhäupter für die vereinbarten Ziele aussprechen.

Im Vorfeld von Bratislava wurde deutlich, dass Deutschland, Frankreich, Italien und auch Tschechien, Ungarn und die Slowakei für eine Weiterentwicklung der GSVP eintreten. Dass sich mittel- und osteuropäische Länder für eine Stärkung der GSVP aussprechen, ist bemerkenswert. Ein Grund dafür ist, dass sich die Mittel- und Osteuropäer nach wie vor durch Russland bedroht fühlen, bedrängt durch Flüchtlinge und verunsichert durch einen potenziellen US-Präsidenten Donald Trump. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Deutschland und Frankreich die Sicherung der europäischen Grenzen und den Schutz der europäischen Bevölkerung als primäres Ziel der Initiative benennen.  

Welche Rolle wird das Vereinigte Königreich zukünftig in der GSVP spielen?

Laura Krug: Einerseits steigt mit dem Vereinigten Königreich der Stärkste im Bunde aus und wird somit spätestens 2019 finanzielle und personelle Lücken hinterlassen. Andererseits waren es die Briten, die eine verstärkte Kooperation in der GSVP gezielt blockiert haben, insbesondere dann, wenn sie die Duplizierung von NATO-Strukturen befürchteten. So war ein permanentes EU-Hauptquartier bislang undenkbar. Vor dem Gipfel von Bratislava machte der britische Verteidigungsminister Michael Fallon erneut deutlich, dass sein Land einer europäischen Armee niemals zustimmen würde. Am Ende des Treffens stimmte er dann doch für eine Stärkung der GSVP und somit für die drei genannten Ziele. Bis die Briten die EU tatsächlich verlassen, werden sie die GSVP-Politik mitgestalten wollen. Die 27 Mitgliedstaaten haben in diesen maximal zwei Jahren allerdings die Möglichkeit, potenzielle britische Blockadeversuche mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit zu umgehen.

Bibliografische Angaben

Krug, Laura. “Was passiert gerade in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU?.” October 2016.

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