Memo

31. März 2023

Justiz versus Populismus

Die Anklage gegen Donald Trump ist riskant: Sie könnte ihn zurück ins Weiße Haus befördern
Proteste für Trump-Anklage
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Die Anklage gegen den ehemaligen US-Präsidenten ist voraussichtlich nicht der Anfang vom Ende seiner politischen Laufbahn, sondern der Beginn einer weiteren populistischen Eskalationsspirale. An dessen Ende könnte Donald Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus stehen. Seit Beginn lebt der Trumpismus von einer klaren rhetorischen Abgrenzung zum gemeinsamen Feindbild. Innerhalb des Konservatismus versteht er sich als Sinnbild einer anti-elitären Bewegung, die sich ihrer Wirkungsmacht in weiten Teilen der Bevölkerung bewusst ist und um das große Ganze kämpft, nämlich die Zukunft Amerikas.

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Nun ist es also passiert: Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika wird ein ehemaliger Präsident wegen eines möglichen Verbrechens angeklagt. Dass sich Trump erneut um die Präsidentschaft bewirbt, das Bewerberfeld der Republikaner mit deutlichem Vorsprung anführt und noch immer über eine äußerst loyale Anhängerschaft verfügt, macht die Vorgänge noch um einiges brisanter. Nicht zuletzt deshalb ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Manhattan mit erheblichen Risiken verbunden, denn Trump weiß seine mögliche Verhaftung schon seit Wochen populistisch zu inszenieren und daraus politisch Kapital zu schlagen.

Während das linke Amerika jubelt und Meinungsartikel in den liberalen Medien davon sprechen, dass nun endlich Gerechtigkeit einziehe, ist die Anklage für das andere Amerika nur ein nächster Schachzug des politischen Establishments, um Trump endlich loszuwerden. Das Narrativ der loyalen Trumpisten funktioniert gedankentechnisch dabei so: Erst wurde versucht, ihn durch Amtsenthebungsverfahren politisch zu stürzen, dann wurde ihm die Wiederwahl 2020 gestohlen und jetzt soll der Make-America-Great-Again (MAGA)-Liebling voll und ganz von der politischen Bühne verschwinden oder sogar im Gefängnis landen. Skandale oder Unrechtmäßigkeiten waren und sind für Trumps Unterstützer schon immer Beweis für seinen Außenseiterstatus und den märtyrerhaften Kampf der Bewegung gegen den Status quo.

Dass der ehemalige Präsident nun ausgerechnet für Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar zu Rechenschaft gezogen werden soll, ist dabei ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Jede Amerikanerin und jeder Amerikaner weiß um sein zwielichtiges Verhältnis zu Frauen. Ob peinliche Prahlerei, nachgewiesene Affären oder sexuelle Übergriffe: bemerkenswerterweise haben ihn 2016 eine Mehrheit weißer Frauen zum Präsidenten gewählt, ganz zu schweigen von den rund 11 Millionen zusätzlichen Wählerstimmen im Jahr 2020.

Trumps Zustimmungsraten innerhalb der republikanischen Partei waren während seiner Präsidentschaft stabil um die 90 Prozent und es ist alles andere als verwunderlich, dass sich die Würdenträger der Grand Old Party mit Unterstützungsparolen aktuell nur so überbieten. Von latent-rassistischen Anfeindungen gegenüber dem schwarzen New Yorker Staatsanwalt bis hin zu antisemitischen Äußerungen über die angebliche „Sorosifizierung“ des Rechtssystems – eine Anspielung auf George Soros indirekte finanzielle Unterstützung des Wahlkampfs von Alvin Braggs – es ist alles dabei. Selbst Trumps vielversprechendster innerparteilicher Konkurrent, Gouverneur Ron DeSantis, verkündete öffentlich, dass er Trump, der nach seiner Präsidentschaft medienwirksam in sein Feriendomizil nach Florida umgezogen ist, niemals ausliefern würde. Und das, obwohl ihn die Verfassung dazu verpflichtet, sollte sich der ehemalige Präsident weigern, für eine Anhörung freiwillig nach New York zu kommen.

Trump ist die Partei

Der Einfluss des Trumpismus innerhalb der republikanischen Partei ist ungebrochen und sein populistisches Narrativ inzwischen zentrales Element der konservativen Bewegung. Das liegt vor allem an drei Dingen. Erstens vermag es kein anderer amerikanischer Politiker der Gegenwart, die Klaviatur des Populismus so virtuos zu spielen wie Trump. Zweitens hat er es geschafft, die Reichweite einer zunehmenden Minderheitenpartei so zu expandieren, dass eine kritische Masse an loyalen Unterstützern, sogenannten MAGA-Republicans, konstant hinter ihm steht. Und drittens bedeutet ein Wahlkampf gegen den ehemaligen Präsidenten für viele Republikaner politischen Selbstmord, denn die Wirkungsmacht der radikalisierten Basis hat das parteipolitische Geschehen in Washington nachhaltig verändert – von der politischen Grenzziehung der Wahlbezirke, dem sogenannten Gerrymandering, das die Polarisierung noch verschärft, ganz zu schweigen.

Trumps Einfluss illustriert dabei einen totalen Kontrollverlust innerhalb der Grand Old Party, deren politische Akteure sich seit Jahren, ja eigentlich Jahrzehnten, so hemmungslos einer populistischen Rhetorik bedient haben, dass sie die Geister, die sie riefen, nun nicht mehr loswerden. Für viele Wählerinnen und Wähler hat Trump sein zentrales Wahlkampfversprechen erfüllt, nämlich Chaos in Washington zu stiften. Je mehr das politische Establishment innerhalb und außerhalb seiner eigenen Partei schäumte, desto enthusiastischer feierten ihn seine Anhängerinnen und Anhänger.

Viele politische Beobachter verstehen dabei noch immer nicht, dass Trump und auch der 6. Januar 2021 vielmehr Symptome als Ursachen eines gesellschaftlichen Eskalationsprozesses sind, der seit langem innerhalb weiter Teile der Bevölkerung brodelt und den Fortbestand der amerikanischen Demokratie ganz grundsätzlich infrage stellt.

Populismus als Fieberthermometer der Demokratie

Die USA sind dabei keinesfalls allein unter westlichen Demokratien. Überall da, wo Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz demokratischer Institutionen verloren haben, können Populisten punkten – unabhängig ihrer Skandale, der oftmals grotesk wirkenden Inkompetenz oder offensichtlich illegaler Machenschaften. Dieses verloren gegangene Vertrauen durch gute Politik wieder zurückzugewinnen, ist zwar weitaus schwieriger als die politischen Akteure vor Gericht zu stellen, es ist aber wohl die einzig nachhaltige Strategie, um die existierenden Wunden der Demokratie zu heilen. Denn der Aufstieg des destruktiven, nationalistischen Populismus ist in weiten Teilen ein Fieberthermometer für den Gesundheitszustand von Gesellschaften.

Populisten wie Trump sind mit ihrer Mobilisierungsstrategie besonders dann erfolgreich, wenn sie es schaffen, gesellschaftliche Frustration durch eine klare rhetorische Abgrenzung zu einem gemeinsamen Feindbild in politische Energie umzuwandeln. Der nun anstehende Kampf gegen die vermeintliche Instrumentalisierung der Justiz belebt dieses Sinnbild einer anti-elitären Bewegung, die um das Große ganze kämpft, nämlich die Zukunft Amerikas. Ähnlich wie schon die von den Demokraten angestoßenen, und letztendlich erfolglosen, Amtsenthebungsverfahren, könnte sich die vorgetragene Anklage vielmehr als Geschenk, denn als Gefahr für den Populisten Trump entpuppen, und ihm den Weg zurück ins Weiße Haus ebnen. Schon jetzt ist klar, dass jedes weitere juristische Verfahren von den Republikanern als politisch-motivierter Schachzug gebrandmarkt wird, egal ob es dabei um die noch schwerwiegenderen Vorwürfe der Wahlmanipulation, dem Geheimnisverrat oder der Anstiftung zum gewaltsamen Umsturz geht.

Trump wird unabhängig von seiner juristischen Zukunft weiterhin für das Präsidentenamt kandidieren und eine populistische Eskalationsspirale in Gang setzen, die das Potenzial hat, die Geschehnisse der vergangenen Jahre in den Schatten zu stellen. Deutschland, das sich in den letzten zwei Jahren ein bisschen zu schnell an die Normalität der Biden-Regierung gewöhnt hat, sollte sich auf unruhige Zeiten in den transatlantischen Beziehungen einstellen. Amerikas Führungsanspruch in der westlichen Welt ist untrennbar mit dem Gesundheitszustand der US-Demokratie verbunden und der anstehende Wahlkampf wird diesen erneut auf die Probe stellen.  In Peking und Moskau beobachtet man diese Entwicklungen mit Spannung und Europa wäre gut beraten, sich schnellstmöglich auf Eventualitäten vorzubereiten sowie Initiativen zur Stärkung der eigenen Souveränität zu ergreifen. Denn als politischer Partner lediglich darauf zu hoffen, dass Trump juristisch kaltgestellt oder im Zweifelsfall nicht wiedergewählt wird, ist eine denkbar schlechte Strategie. Zuviel steht auf dem Spiel, nicht nur für die USA.

Bibliografische Angaben

Müller-Kaler, Julian. “Justiz versus Populismus.” March 2023.

Dieses DGAP-Memo wurde am 31. März 2023 veröffentlicht.

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