Memo

23. Sep 2021

Die Zeit wird knapp

Deutschland braucht eine starke Klima-Außenpolitik
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Die Situation ist ernst. Naturkatastrophen wie die Überflutungen in der Eifel, die Dürre in Madagaskar und Hitzerekorde im Nordwesten der USA prägen schon heute die Nachrichtenlage. Auch wenn sich Deutschland in der vergangenen Dekade als zentraler Akteur der internationalen Klimadiplomatie etabliert hat, muss die nächste Bundesregierung ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet steigern. Ausschlaggebend sind dafür drei Bereiche: Emissionsminderungen, Krisenprävention durch Klimaanpassung und die Verzahnung anderer Politikbereiche mit der Klimapolitik.

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Rahmenbedingungen

Die exzessive Ressourcenübernutzung der vergangenen Jahrzehnte offen­bart ihre Folgeschäden an Mensch und Natur. Die Zerstörung wichtiger Kohlen­stoffsenken wie des Amazonas­regenwalds oder europäischer Moore schreitet voran. Kohle, Öl und Gas werden trotz der bekannten Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit und langfristigen Schäden an der Erdatmosphäre weiter gefördert und verbrannt. Unternehmen erschließen neue Quellen selbst in Natur­schutzgebieten und in der Arktis.

All dies steht der Erkenntnis entgegen, dass uns nur noch ein begrenztes CO2-Budget verbleibt, bevor die Temperaturgrenze des Pariser Klima­abkommens überschritten wird. Das noch verfügbare Budget liegt für die Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad bei etwa 330 Gt CO2 und wäre beim heutigen Emissionsniveau in weniger als acht Jahren verbraucht. Seit Beginn der Industriellen Revolution hat sich die Oberflächentemperatur der Erde bereits um 1,1 Grad im Mittel erwärmt. Angetrieben ist diese erschreckende Entwicklung vor allem durch den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die laut Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) inzwischen so hoch ist, wie seit mindestens zwei Millionen Jahren nicht mehr. Zum letzten Zeitpunkt, als eine solch hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre vorhanden war, gab es also den Homo sapiens noch nicht. Wir sind bereits inmitten eines extremen Wandlungsprozesses, dessen Ausgang ungewiss ist und von unseren heutigen politischen Entscheidungen abhängt.

Als Reaktion auf die Schäden an den Lebensgrundlagen durch den Klimawandel haben vor Beginn der Pandemie Jugendliche und Studierende mit weltweiten Massenprotesten die Poli­tik angemahnt, mehr Klimaschutz zu betreiben. Ihr Erfolg in Deutschland ist beachtlich: Alle großen demokratischen Parteien haben Klimaschutz zum wesentlichen Bestandteil ihres Wahlprogramms gemacht. Klimaschutz ist zum Politiktrend geworden. Der parteiübergreifende Einsatz für mehr Klimaschutz und Anpassung ist zwingend notwendig. Aber worauf wird es in den nächsten vier Jahren wirklich ankommen, um die Klimakatastrophe abzuwenden und inwiefern tangiert die Klimaproblematik die deutsche Außenpolitik?

Herausforderungen

Conditio sine qua non: Emissionsminderungen

Ohne rapide Emissionsreduktionen in allen Wirtschaftszweigen wird es der Menschheit nicht gelingen, ihre zivilisatorischen Errungenschaften vor Klimaschäden zu schützen. Diese Tatsache belegen in erschreckender Deutlichkeit drei Dekaden von Berichten des IPCC, welche die Erkenntnisse der internationalen Klimaforschung synthetisieren. Trotz der überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz haben Wissenschaftsleugnung und Falschmeldungen dazu beigetragen, dass es immer wieder Verzögerungen und Widerstand gegen die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen gab. Ambitionierteren Zielsetzungen wie dem „European Green Deal“ müssen neben konkreten Investitionen auch neue Grenzwerte und Verbote folgen. Ein schnellerer Kohleausstieg, ein Produktionsende von Verbrennungsmotoren in Pkws und die Abkehr von Erdgas als Übergangslösung sind nur drei der vielen unangenehmen Wahrheiten, denen sich ernsthafte Klimapolitik stellen muss.

Die harten physikalischen Grenzen, die uns nur noch ein geringes Emissionsbudget erlauben, bevor sich zivilisationsbedrohende Hochrisiken materialisieren, erzeugen auch einen enormen Innovationsdruck, der zugleich die Möglichkeit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bietet. Diesen Druck sollte Deutschland annehmen und sich forschungs- und wirtschaftspolitischen Klimastresstests unterziehen, denen dann anachronistische Politiken – wie zum Beispiel Diesel­subventionen – zum Opfer fallen würden. Viel Spielraum für Fehlentscheidungen bleibt nicht mehr. Das zeigt nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima­schutzgesetz. Die Karlsruher Richterinnen und Richter befanden befanden, dass den jüngeren Generationen zu hohe Emissionsminderungen aufgebürdet würden – zugunsten geringerer Lasten der gegenwärtig älteren Generation. Dies würde die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen erheblich einschränken. Das Klimaschutzgesetz stand somit nicht vollends im Einklang mit dem Grundgesetz und musste nachgebessert werden.

Generationengerechtigkeit

Auch in anderen Ländern weisen Gerichte Regierungen in ihre klimapolitischen Schranken. So urteilten Richter in Belgien, dass die Regierung mit ihrer unzureichenden Klimapolitik gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Weitere Klagen werden folgen und das Rechtsverständnis um das Vorsorgeprinzip sowie die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger werden sich ändern. Eine zentrale Rolle spielt hierbei das Prinzip der Generationengerechtigkeit, denn unterschiedliche Altersgruppen sind im Laufe ihres Lebens unterschiedlich stark von Klima­folgen betroffen. Ältere Generationen aus den globalen Mittel- und Oberschichten und insbesondere in den Industriestaaten haben ihren Wohlstand wissentlich und unwissentlich auf einer CO2-Schuld aufgebaut. Jüngere Generationen werden aufgrund dessen, dass sie im Laufe ihrer noch verbleibenden Lebenszeit mehr Klimafolgen erleben werden, die Rechnung dafür unweigerlich tragen müssen. Diese Erkenntnis gilt auch im Hinblick auf ihre internationale Verantwortung. So „erben“ die jetzt lebenden jungen Erwachsenen die CO2-Schuld ihrer Eltern- und Großelterngeneration und werden sich für dieses Erbe, das auch den jüngeren Generationen einen Wohlstand ermöglicht hat, in ihren jeweiligen Funktionen möglicherweise verantworten müssen. Junge Unterhändlerinnen und Unterhändler, Diplomatinnen und Diplomaten sowie Politikerinnen und Politiker aus Industriestaaten, deren Wirtschaft auf fossilen Energien aufbaut, werden auf internationaler Ebene das bisherige Verhalten ihrer Regierungen erläutern müssen, das zu immer extremer werdenden Wetterereignissen beigetragen hat. Während sich diese Auseinandersetzungen bisher meist auf die internationalen Klimaschutzverhandlungen beschränken, ist zu erwarten, dass Klima­folgen sowie ihre Verhinderung und Bewältigung langfristig zu zentralen Aspekten der Außen- und Sicherheitspolitik werden.

Schäden und Verluste: Anpassung ermöglichen, Krisen verhindern

Der Umsetzungsbericht der Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2021) stellt fest, dass der Nexus von Klima und Sicherheit bereits eine zentrale Rolle für das deutsche Engagement in der Krisenprävention spielt. Im Rahmen seines nichtständigen Sitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2019/2020 hat Deutschland das Thema vermehrt auf die Tagesordnung gesetzt, nachdem es im August 2018 gemeinsam mit dem pazifischen Kleininselstaat Nauru die Freundesgruppe „Klima und Sicherheit“ im Kontext der UN gegründet hatte.

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Trotz der Einsicht hinsichtlich der wachsenden Risiken durch den Klima­wandel ist auf operativer Ebene bisher zu wenig passiert, um den Veränderungen entgegenzuwirken. Zivile Friedensförderung und militärische Bündnisse sind insgesamt unzureichend aufgestellt, um Klimarisiken zu begegnen und entsprechende Inter­ventionsmechanismen zu entwickeln. Auch die Wissenschaft sollte das Thema stärker als bisher in den Fokus rücken. Zwar gibt es Einigkeit darüber, dass der Klimawandel das Sicherheitsgefüge verändert. Aber Unsicherheiten über die genauen Wirkungsketten zwischen Klimafolgen und Stabilität bestehen weiterhin und erfordern vertiefende kontextspezifische Forschung und Politikberatung. Für Deutschland besonders relevant sind hierbei unter anderem die Sahel­zone, in der Dürren und extreme Hitze die traditionelle Landwirtschaft erschweren und die fragile Lage in Afghanistan, wo durch Gletscherschmelze zusätzliche Sicherheits­risiken für die Bevölkerung entstehen.

Auflösung fossiler Machtmonopole

Zwischen klimapolitischen und geoökonomischen Interessen gibt es immer mehr Berührungspunkte. So können außenwirtschaftspolitische Maßnahmen zum Klimaschutz beitragen oder ihm zuwiderlaufen. Die Nord-Stream-2-Pipeline droht etwa mittelfristig zu einem sogenannten Stranded Asset zu werden, weil sie nicht mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens im Einklang steht. Doch sie wird nicht nur anhand von wirtschaftlichen oder nachhaltigkeitsbezogenen Faktoren bewertet. Im Zentrum stehen innen- und energiepolitische Interessen, ebenso wie die Aufrechterhaltung stabiler Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Um diese Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen, braucht es tiefgehende Analysen.

Unabhängig von der aktuellen Debatte um das Pipeline-Projekt werden langfristig fossile Brennstoffe der Vergangenheit angehören und sich damit bestehende Handelsbeziehungen grundlegend ändern. Dies ist nur ein Beispiel, an dem deutlich wird, wie wechselnde Rohstoffbedarfe und Wirtschaftsweisen unsere Außen- und Handelsbeziehungen prägen können. Gleichzeitig entstehen durch Klimafolgen und technologischen Fortschritt neue Herausforderungen, beispielsweise die Umsetzung eines strikt regulierten Ressourcenmanagements in der Arktis und der Tiefsee sowie der Schutz fragiler Ökosysteme.

Empfehlungen

Kohärente Politikmaßnahmen zur Reduktion von Emissionen etablieren

Deutschland ist mit Abstand der größte CO2-Emittent in Europa und sollte daher besonders weitgehende Maßnahmen ergreifen, um seine Emissionen zu senken und seiner Verantwortung im Klimaschutz gerecht zu werden. Um diese für den Klimaschutz notwendigen Ziele durchsetzen zu können, braucht es ein Port­folio von politischen Maßnahmen. Darunter einen Subventionsabbau in den Bereichen, die den Nachhaltigkeitszielen entgegenstehen, eine erhöhte Förderung alternativer Technologien und die höhere Bepreisung externalisierter Kosten schädlicher Substanzen (z.B. CO2-Preis). Die Lösung des Klimaproblems bedarf einerseits einer Verknüpfung der Nutzung traditionellen Wissens mit naturbasierten Ansätzen und andererseits technologischer Innovationen. So zum Beispiel im Bausektor. Holzbau und die Nutzung neuer Materialien könnten die herkömmlichen CO2-intensiven Konstruktionsweisen schrittweise ablösen. Darüber hinaus sollten Deutschland und Europa über Technologietransfers und höhere Ambitionen in der internationalen Klima­finanzierung Entwicklungs­ländern mehr Möglichkeiten eröffnen, eine Industrialisierung über die fossilen Energien zu überspringen und gleich in nachhaltige Wirtschaftsformen einzusteigen.

Globale Verantwortung in Krisenprävention und -management wahrnehmen

Industriestaaten sind für den Großteil der globalen Emissionen verantwortlich. Zugleich haben vor allem Entwicklungsländer mit extremen Klimafolgen zu kämpfen. Daher leiten sich deutsche Verpflichtungen im Bereich der Emissionsminderungen, aber auch in der Ermöglichung von Anpassung an den Klima­wandel im Ausland nicht nur vom humanitären Imperativ, sondern auch dem Verursacherprinzip ab. So ist Klima-Innenpolitik außen­politisch relevant, denn durch hohe Pro-Kopf-Emissionen steht Deutschland in der moralischen Pflicht zu handeln. Die Verhinderung humanitärer Not­lagen und klimabedingter Vertreibung und die Abwendung von gewaltsamen Konflikten, die sich aus verschärfter Ressourcenknappheit entwickeln können, stehen im Zentrum der notwendigen Anstrengungen.

Multilaterale Erneuerung und zivilgesellschaftliche Impulse nutzen

Um globalen Herausforderungen wie dem Schutz fragiler Ökosysteme und einem besseren Ressourcenmanagement gerecht zu werden, bedarf es in der deutschen Außenpolitik innovativer Investitions- und Kooperationsprojekte, die außer ökonomischem Wohlstand weitere Ziele der menschlichen Entwicklung umfassen, darunter Nachhaltigkeit und Stabilität. Nicht unterschätzt werden sollten außerdem die Chancen für eine multilaterale Erneuerung: Durch den Machtwechsel in den USA können transatlantische Klima-Kooperationen wiederbelebt und erweitert werden.

Die grenzüberschreitenden Proteste von Fridays for Future und Extinction Rebellion in Europa stellen nicht nur den Status quo infrage, sondern bieten auch ein neues Motiv für europäische Werte und Identität. Diesen nachhaltigen Motor für gesellschaftlichen Wandel und technologischen Fortschritt sollten sich deutsche Regierungsverantwortliche zunutze machen und auf der Basis fundierter Analysen im internationalen Verbund Lösungen anstreben.

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige ­Politik schafft mit dem neuen Zentrum für Klima und Außenpolitik einen Ankerpunkt für transdisziplinäre Forschung und evidenzbasierte Politikberatung zu den klimapolitischen Themen, die die Außen­politik tangieren. Schwerpunkte des Zentrums sind die Auswirkungen von Klimafolgen auf Migration und menschliche Sicherheit sowie die Schnittstellen von Klimapolitik und Geoökonomie.

 

Bibliografische Angaben

Vinke, Kira. “Die Zeit wird knapp.” September 2021.

DGAP Memo Nr. 12, September 2021, 4 Seiten



In dieser Memo-Reihe bietet die DGAP fundierte Analysen zu Bereichen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die die nächste Legislaturperiode prägen werden.

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