Kommentar

22. Juli 2016

Die Parteien entscheiden längst nicht mehr

Am 8. November wird in den USA nicht nur ein neuer Präsident, sondern auch ein neuer Kongress gewählt. Eine erneute Blockadehaltung könnte das Land zum Stillstand bringen und den sozialen Frieden gefährden.

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Was viele Beobachter, die nur alle vier Jahre das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Präsidentschaftskandidaten verfolgen, nicht auf dem (Fernseh-) Schirm haben: Mindestens genauso wichtig wie der Wettkampf um das Weiße Haus sind die Kongresswahlen. 435 Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel des 100-köpfigen Senats stehen alle zwei Jahre, also auch am 8. November 2016, zur Wiederwahl. Während die Nation bei Präsidentschaftswahlen mittlerweile in zwei etwa gleich große Lager, die Demokraten und die Republikaner, gespalten ist, herrscht bei den Kongresswahlen in den Wahlkreisen und Einzelstaaten wenig Wettbewerb zwischen den Parteien.

Die Amtsinhaber haben hohe Wiederwahlchancen. Denn oft sind nur die aus Altersgründen freiwerdenden Sitze wirklich umstritten. In der Regel werden die Amtsinhaber, die sozusagen als Amtsbonus die meisten Wahlkampfspenden erhalten, wiedergewählt. Aufgrund des politisch motivierten Zuschneidens der Wahlkreise für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der sozialen Abgrenzung der Lebensräume gibt es mittlerweile weniger Wettbewerb zwischen den Parteien, umso mehr jedoch im eigenen Lager. Wegen der homogenen Wählerschaft setzen sich auf beiden Seiten immer ideologischere Kandidaten durch. Gemäßigte, an politischen Kompromissen Interessierte bleiben in den Vorwahlen auf der Strecke. Das fördert die Polarisierung, das Auseinanderdriften der beiden Lager, welches das politische System lähmt.

Der Umstand, dass die Regierung nunmehr seit 2010 in den meisten Politikfeldern blockiert ist und die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht mehr lösen kann, erodiert das ohnehin schwach ausgeprägte Grundvertrauen der amerikanischen Bevölkerung in den Staat. Die Bürger zeigen ihre Hoffnungslosigkeit, drücken ihr Gefühl der politischen Ohnmacht aus, indem sie nicht mehr wählen gehen. Besser Situierte hingegen machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Dank der Verfassungsinterpretation des Obersten Gerichts können sie ihrer Stimme noch mehr Gehör verschaffen, indem sie auch durch unbegrenzte Wahlkampfspenden ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben dürfen.

In diesem Chor gehen auch die Stimmen der Parteien unter. Damit verlieren Parteien, die in den USA ohnehin nur Wahlvereine sind, auch noch diese Minimalfunktion an die Interessengruppen. Im Regierungsgeschäft sind die Volksvertreter dann auch keiner Parteidisziplin unterworfen, sie repräsentieren als politische Einzelunternehmer in erster Linie die Interessen ihrer Wahlkampffinanciers. Es gibt im politischen System der USA keine Parteien nach unserem Verständnis, die auch die Stimmen sozial Benachteiligter aktivieren, bündeln und in den politischen Prozess einspeisen könnten. Politik wird in den USA von Gleichgesinnten gemacht, deren themenspezifische Netzwerke Politiker, Lobbyisten, Medienvertreter und Experten umspannen.

Ein Beispiel ist die Tea-Party-Bewegung, eine sogenannte Graswurzelbewegung. Wenngleich dieser politikromantische Begriff das Urwüchsige einer Basisdemokratie nahelegt, handelt es sich in Wirklichkeit um Kunstrasen – der unter anderem von den Ölmilliardären Charles und David Koch kultiviert wurde. Die Brüder Koch wollen verhindern, dass die Regierung ihre Geschäfte besteuert oder reguliert. Wenn der Staat nicht abgeschafft werden kann, dann soll er zumindest blockiert werden. Abgeordnete, die der Tea-Party-Bewegung nahestehen, betreiben auch Fundamentalopposition.

Die Koch-Brüder gaben bereits  im Vorfeld der Wahlen 2016 eine knappe Milliarde Dollar aus, um ein von ihnen organisiertes Netzwerk von weiteren vermögenden Geldgebern zu festigen, das ein „Heer“ freiwilliger Wahlkampfhelfer finanziert und ausbildet. Americans for Prosperity (AFP) wurde 2004 gegründet und hat derzeit 500 bezahlte Mitarbeiter in 35 Einzelstaaten, die bis Jahresende 2015 auf etwa 750 aufgestockt wurden. Ihre „Soldaten“ gehen im „Bodenkrieg“ von Haus zu Haus, sie betreiben sogenanntes Canvassing. Die Freiwilligenarmee soll nicht nur potenzielle Wähler für die zu lösenden Probleme sensibilisieren, sondern durch gezielte Fragen zu deren Lebensverhältnissen und politischen Einstellungen auch Informationen sammeln.

Die Aktivitäten des von den Koch-Brüdern unterstützten Netzwerkes sind der Partei der Republikaner ein Dorn im Auge. Bereits im Juni 2015 platzte Katie Walsh der Kragen: „Es ist gefährlich und falsch, einer Gruppe sehr starker, gut finanzierter Einzelpersonen, die niemandem Rechenschaft schulden, so viel Kontrolle darüber zu geben, wer, wann, warum und wie Zugang zu den Daten hat“, beklagte die Vorsitzende des Republican National Committee (RNC), des nationalen Organisationsgremiums der Republikanischen Partei der USA, das eigentlich für die Koordinierung des Wahlkampfes verantwortlich sein sollte.

Die „Partei“ der Republikaner hatte am Ende denn auch nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera – zwischen dem von den Öl-Milliardären Charles und David Koch finanzierten Ted Cruz oder dem vermeintlichen Self-Made-Man Donald Trump, der im Wahlkampf vor allem auch damit punktet, dass er von keinem gekauft werden könne. Er wird deswegen nicht als jemand wahrgenommen, der von den Netzwerken vermögender Strippenzieher wie den Kochs abhängig ist.

Die Koch-Brüder wähnen ihre Schlacht ums Weiße Haus verloren und entsenden zur Absicherung ihre Bodentruppen in die Kongresswahlkämpfe.  Damit soll sichergestellt werden, dass die Blockade zwischen Kongress und Präsident auch nach den Kongress- und Präsidentschaftswahlen am 8. November 2016 bestehen bleibt – um zu verhindern, dass Präsident Trump oder  Präsidentin Clinton künftig ihre Geschäfte reguliert oder stärker besteuert.

Dabei wäre politisches Handeln dringend nötig, um die US-Wirtschaft wieder anzukurbeln. Denn die durch das Gelddrucken der US-Notenbank erkaufte Zeit läuft ab. Indem die US-Notenbank Geld druckte, konnte der wirtschaftliche Einbruch bislang abgewendet und ein mäßiges Wachstum erwirkt werden. Es ist bemerkenswert, ja, alarmierend, dass trotz des durch die US-Notenbank herbeigeführten niedrigen Zinsniveaus und der indirekten Wirtschaftsförderung durch niedrige Energiepreise die US-Wirtschaft nicht wirklich Fahrt aufnehmen kann.

Um die schwache Realwirtschaft anzukurbeln, müsste die Politik sehr schnell handeln – in den Bereichen Infrastruktur und Bildung investieren sowie durch eine Reform des Steuersystems dafür sorgen, dass die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nicht weiter zunimmt und die Wirtschaft noch stärker belastet. Schließlich hängt auch der soziale Frieden in den USA davon ab, ob der zu verteilende Kuchen künftig größer oder kleiner werden wird.

Bibliografische Angaben

Braml, Josef. “Die Parteien entscheiden längst nicht mehr .” July 2016.

DGAPstandpunkt 9, 21. Juli 2016

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