Policy Brief

03. Febr. 2020

Der Tornado-Komplex

Zielkonflikte und Lösungsoptionen für den neuen deutschen Jagdbomber

Die Entscheidung über die Tornado-Nachfolge ist nicht nur für die Sicherheit Europas und für Deutschlands Rolle in der NATO wichtig. Sie hat auch Folgen für die Zukunft der Rüstungsindustrie in Deutschland und Europa. Ob es eine europäische oder eine amerikanische Lösung gibt, beeinflusst schließlich auch die transatlantischen und die deutsch-französischen Beziehungen.

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Kernpunkte

Als Trägerflugzeug für die US-Atomwaffen in Europa sollte Deutschland das Kampfflugzeug anschaffen, das die militärischen Anforderungen am besten erfüllt. Deshalb sollte die Bundesregierung die Beschaffung der F-35 wieder prüfen.

Deutschland sollte den Eurofighter weiterentwickeln, um seine Fähigkeiten zur Bekämpfung gegnerischer Luftverteidigung zu stärken und ihn als Innovationsmotor für die Rüstungsindustrie

zu nutzen.

Parallel dazu sollte die Bundesregierung sich verpflichten, gemeinsam mit Frankreich das „Future Combat Air System“ (FCAS) als System der 6. Generation zu entwickeln und zu produzieren. So werden europäische industrielle Konsolidierung und weniger Abhängigkeit von den USA möglich.

Seit 2017 prüft die Bundesregierung, wie sie das veraltete Kampfflugzeug Tornado angemessen ersetzen kann. Seit Beginn des Prüfauftrags hat sich aber die sicherheitspolitische Lage weiterentwickelt. Zwar hatte die NATO schon 2014, nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, damit begonnen, ihre Abschreckung- und Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Doch durch die Stationierung von neuen nuklearfähigen russischen Mittelstreckenraketen im Westen Russlands hat das Bedrohungsrisiko weiter zugenommen. Die nukleare

Fähigkeit der NATO in Europa gewinnt damit an Gewicht.

Dies sollte in die anstehende Entscheidung über die Tornado-Nachfolge einfließen. Die Bundesregierung sollte alle aus militärischer Sicht effektiven Lösungen bei der Entscheidungsfindung erwägen, auch die Anschaffung modernster US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35, die bisher aus politischen Gründen nicht berücksichtigt wurden. Denn um die immer bessere russische Flugabwehr zu überwinden, brauchen die Kampfflugzeuge der Bundeswehr für den konventionellen und nuklearen Einsatz wirksame Fähigkeiten zur elektronischen Kampfführung und Bekämpfung von Flugabwehr.

Es gehört zur politischen Realität, dass bei großen Beschaffungsvorhaben nicht nur militärische Notwendigkeiten, sondern auch technologisch-

industrielle Interessen einbezogen werden. Zudem bewegt sich Deutschland im Spannungsfeld verschiedener Kooperationen. Deshalb sollten die Auswirkungen der Entscheidung auf die transatlantischen und die deutsch-französischen Beziehungen sowie auf Deutschlands Rolle in der NATO und der EU in die Entscheidungsfindung einfließen. 

Anforderungen an den Tornado-Nachfolger 

Die anstehende Entscheidung über die Nachfolge des veralteten Kampfflugzeugs Tornado stellt eine Richtungsentscheidung dar. Sie strahlt aus in nahezu jeden Aspekt der deutschen Sicherheits-, Bündnis- und Rüstungspolitik. Die damit verbundenen, teils sich widersprechenden Ziele und Interessen sind bekannt und müssen in Einklang gebracht werden. 

  1. Deutschland will einen Beitrag zu den militärischen Fähigkeiten der Europäer und dem Abschreckungsdispositiv der NATO leisten, insbesondere zur nuklearen Teilhabe und Risikoteilung in der NATO.
  2. Es bleibt politisch und militärisch auf die transatlantische Kooperation angewiesen.
  3. Es will die rüstungstechnologische und -industrielle Handlungsfähigkeit Europas auch gegenüber den USA im Bereich der militärischen Luftfahrt steigern und den eigenen Anteil daran sicherstellen.
  4. Deutschland möchte die deutsch-französische Zusammenarbeit und damit die militärische Handlungsfähigkeit der EU stärken.

Der Tornado erfüllt in der Bundeswehr und in der NATO drei Funktionen: erstens, Bodenziele konventionell aus der Luft anzugreifen; zweitens, feindliche Flugabwehr auszuschalten (SEAD – Suppression of Enemy Air Defence), und drittens ist er das Trägerflugzeug für US-Atombomben. Mit Letzterem leistet Deutschland seinen Beitrag zur nuklearen Teilhabe und Risikoteilung der NATO. 

Für die Tornado-Nachfolge untersucht die Bundesregierung bisher folgende Optionen: den Kauf amerikanischer Kampfflugzeuge vom Typ FA-18 für die konventionelle Jagdbomber- und die Nuklear-Rolle, kombiniert mit EA-18 Growler für die SEAD-Rolle; oder die Umrüstung des Eurofighters für die Nuklear-Rolle und die SEAD-Rolle. Zudem sind Mischlösungen zwischen den Typen und Rollen möglich. FA-18 und Eurofighter sind Kampfflugzeuge der sogenannten 4. Generation und stammen technologisch aus dem letzten Jahrhundert. Die eigentlich auf der Hand liegende Einbeziehung des derzeit modernsten westlichen Kampfflugzeugs, der F-35, (5. Generation) für die sich im direkten Wettbewerb bislang bereits sieben andere europäische NATO-Staaten entschieden haben, ist in Deutschland gestoppt worden. Offenbar auf Druck aus Paris hat Berlin Anfang 2019 die Untersuchung auf nur zwei Optionen beschränkt. 

Klar ist, dass die deutsche Kampfflugzeugflotte in Zukunft aus mehr als nur einem Flugzeugtyp bestehen sollte. Das hat neben dem angestrebten Erhalt der Fähigkeiten den Vorteil, dass der technische Ausfall eines Typs nicht gleich die Gesamtflotte betrifft. Der Nachteil einer heterogenen Flotte sind höhere Wartungskosten, weil Skaleneffekte entfallen. Dies würde sich insbesondere dann ungünstig auswirken, wenn Deutschland einziger Betreiber wäre. Umgekehrt bieten Plattformen, die auch andere Partner nutzen, die Möglichkeit zur Kooperation im Einsatz und bei der Wartung.

Eine neue politisch-militärische Lage

Die Teilhabe an der nuklearen Abschreckung ist in Deutschland seit jeher unbeliebt. Angesichts der Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage in

Europa hat die Tornado-Nachfolge jedoch noch an Bedeutung gewonnen, wie die Autoren in einer parallel veröffentlichten Analyse erläutern (Brauß/

Mölling 2020). Als Reaktion auf die russische Aggression gegen die Ukraine 2014 stärkt die NATO seither ihr Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv. 

In jüngster Zeit rüstet sich Russland zudem - unter Bruch des INF-Vertrags - mit nuklearfähigen, zielgenauen, landgestützten Marschflugkörpern aus, die weite Teile Europas bedrohen können. Als Reaktion darauf plant die NATO aber keine symmetrische „Gegenrüstung“, etwa mit eigenen bodengebundenen nuklearen Marschflugkörpern. Stattdessen will sie mit einem ausgewogenen Paket von vorwiegend konventionellen Maßnahmen ihre Abschreckungsfähigkeit sicherstellen. Damit die Abschreckung insgesamt glaubwürdig bleibt, muss neben der Verbesserung der konventionellen Fähigkeiten auch die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung erhalten bleiben. Dies schließt die nuklearen Mittel in Europa ein. Nur die hohe Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Einsatzes macht die damit verbundene politische Botschaft von Abschreckung glaubwürdig und trägt dazu bei, den Frieden zu erhalten.

Als Kern dieses Ansatzes ist ein Flugzeug erforderlich, das mit höchster Wahrscheinlichkeit die gegnerische Flugabwehr überwinden, seine Atombomben ins Ziel befördern und die Piloten sicher zurückbringen kann. Weil ein Nukleareinsatz für den Gegner höchste Priorität in der Abwehr hat, sind solche Einsätze für die Piloten und Kampfflugzeuge die schwierigste und gefährlichste Missionsart.

Es liegt daher in der besonderen Verantwortung der Bundesregierung, ihren Piloten dafür die am besten geeigneten Flugzeuge zur Verfügung zu stellen. Zudem müssen die am Einsatz beteiligten Nationen effektiv und problemlos im Verbund zusammenwirken können. Zur Glaubwürdigkeit gehört dann auch eine gewisse Mindestanzahl von Flugzeugen und deren gesicherte Verfügbarkeit bereits in Friedenszeiten.

Das politisch-industriell-technologische Umfeld

Die politische Entscheidung über die Nachfolge des Tornados muss neben den geschilderten sicherheitspolitischen Faktoren auch die Auswirkungen auf die rüstungstechnologischen und -industriellen Interessen Deutschlands sowie die bündnispolitischen Belange im europäischen Zusammenhang berücksichtigen.

Kritische Zeitlinien 

Zeitlinien spielen sowohl bei der Beschaffung von militärischen Fähigkeiten als auch beim Erhalt industrieller Kapazitäten eine wesentliche Rolle. Der Tornado soll ab 2025 schrittweise aus dem Betrieb genommen werden. Ein Weiterbetrieb auch nur bis 2030 würde erhebliche Kosten verursachen. 

Ab 2040 will Deutschland das gemeinsam mit Frankreich zu produzierende „Future Combat Air System“ (FCAS) in Dienst stellen – ein System der 6. Generation. Das FCAS beschreibt kein einzelnes Flugzeug, sondern einen Systemverbund (system of systems) aus bemannten Kampfflugzeugen, dem „New Generation Fighter (NGF)“, und unbemannten Systemen. FCAS/NGF wird vor allem den Eurofighter und die französische Rafale ersetzen. Um den Zeitplan zu halten, müssen Frankreich und Deutschland jetzt mit der Entwicklung neuer Technologien und Plattformen beginnen. Ein Teil dieser Technologien soll im Zuge der Erneuerung der Eurofighter-Flotte schrittweise entstehen. Eine Übernahme der Nuklearrolle durch das FCAS/NGF ist bislang nicht thematisiert worden.  

Verbunden mit all diesen Plänen ist die Entwicklung von neuen Technologien und die Auslastung der Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten in Deutschland. Der letzte Eurofighter ist gerade ausgeliefert worden. Will Deutschland auch weiterhin eine bedeutende Rolle in der militärischen Luftfahrtindustrie spielen, müssen Ingenieure und Techniker in der entsprechenden Forschung und Entwicklung gehalten werden. Sonst stehen sie auch für das FCAS nicht mehr zur Verfügung.

Die transatlantische Partnerschaft 

Europa bleibt für seine Sicherheit und Stabilität auf die militärische Präsenz der USA und deren erweiterte nukleare Abschreckung angewiesen. Zwar ist die transatlantische Rückversicherung mit den widersprüchlichen Aussagen des gegenwärtigen US-Präsidenten unsicherer geworden. Sowohl die europäische Sicherheit als auch die transatlantische Kooperation sind jedoch zu wichtig, als dass Entscheidungen von langfristiger Tragweite im Wesentlichen an der Person des derzeitigen US-Präsidenten festgemacht werden sollten. 

Europäische Handlungsfähigkeit 

Die Lösungsoptionen für die Tornado-Nachfolge zeigen, wie stark Europas industrielle und technologische Autonomie seit den 1980er Jahren abgenommen hat. Den Tornado hatte die europäische Industrie im Wesentlichen mit europäischer Technologie entwickelt. Trotzdem konnte er technologisch und militärisch mit anderen Flugzeugen, auch amerikanischen, mithalten; zum Teil war er ihnen sogar überlegen.

Weil Europa aber die gemeinsame Entwicklung der Nachfolgegeneration unterließ, während die USA die Entwicklung ihrer Flugzeuge vorantrieb, fehlen den Europäern – und Deutschland – eigene, europäische Optionen für den Ersatz des Tornado s.

Europas technologische und industrielle Handlungsfähigkeit wiederherzustellen, ist für die anstehenden Entscheidungen und Investitionen daher ein wichtiges Ziel. Allerdings lässt sich dieses Ziel nur längerfristig erreichen. Deshalb sollten Europa und Deutschland einer kombinierten industriellen und technologischen Strategie folgen: Wo möglich, sollten europäische Ressourcen in Innovationen in Europa fließen. US-Lösungen müssen vor allem dann in Betracht gezogen werden, wenn die europäischen Alternativen schlechter sind oder wenn Ankäufe in den USA helfen, Europas technologische und industrielle Handlungsfähigkeit zu erhöhen, etwa durch Technologie-Import. 

Vor diesem Hintergrund ist das FCAS-Projekt zentral: Es ist das größte europäische Rüstungsprojekt in der europäischen Geschichte. Von ihm wird ein erheblicher Impuls zur Europäisierung und Konsolidierung des Rüstungssektors in Europa ausgehen – weit über den Luftfahrtbereich hinaus. Eine solche Stärkung durch mehr europäische Gemeinsamkeit ist erforderlich, um in den folgenden Jahrzehnten mit den USA auf Augenhöhe kooperieren und die Abhängigkeit wieder reduzieren zu können. Damit stiege auch die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Europäer. Derzeit sind europäische Unternehmen zu klein, um sich mittelfristig gegen die US-Konkurrenz aber auch den wachsenden Druck asiatischer Konkurrenten erfolgreich zu wehren. 

Der Paris-Berliner Knoten

Eigentlich sind FCAS und Tornado-Nachfolge zwei voneinander zeitlich und inhaltlich getrennte Projekte. Frankreich hat sich jedoch gegen den Kauf der F-35 durch Deutschland als Tornado-Nachfolger ausgesprochen. Die Sorge Frankreichs ist, dass der Kauf des US-Systems die gemeinsame Entwicklung des FCAS untergraben könnte: Ressourcen, die für das FCAS bestimmt waren, würden in die US-Lösung umgelenkt, was die Pläne für das FCAS gefährden würde.

Außerdem könnte die Weiterentwicklung des Eurofighters gebremst und damit die Entwicklung von Technologien gehemmt werden, die für das FCAS benötigt werden. 

Diese Sorgen sind insbesondere durch Frankreichs Erfahrungen mit dem Vereinigten Königreich geprägt: Zunächst wollte Paris das FCAS gemeinsam mit London entwickeln. Doch dann zog sich Großbritannien aus dem gemeinsamen Projekt zugunsten der F-35 zurück. Bei Deutschland will Frankreich ein Déjà-vu vermeiden und den verbleibenden europäischen Partner mit industriellem und technologischem Potential für die Entwicklung des FCAS fest an sich binden. Ähnlich begründet sich der französische Widerstand gegen die Beschaffung anderer US-Flugzeuge durch Deutschland. 

Die Budgets für die Tornado-Nachfolge und das FCAS hängen aber nicht zusammen. Die Tornado-Nachfolge muss unabhängig von FCAS in Kürze geregelt werden. Über das Budget zur Beschaffung des FCAS wird erst viel später entschieden. Das FCAS ist auch kein Nachfolgesystem für den Tornado. Ein direkter Verdrängungseffekt, wie ihn Paris befürchtet, ist wenig plausibel.

Prinzipiell richtig ist, dass die Entscheidungen über die Nachfolge des Tornados und die Entwicklung des FCAS Ressourcen in unterschiedliche Kanäle leiten. Je nach Option fließt deutsches Geld entweder in die Innovation der eigenen (europäischen) Industrie und den Aufwuchs einer deutschen Flotte der 6. Generation oder in US-produzierte Kampfflugzeuge der 4. und 5. Generation.

Jedoch unterscheiden sich die Volumina erheblich: Für das FCAS werden allein für die Entwicklungsphase etwa 100 Milliarden Euro veranschlagt. Bisher geht man davon aus, dass Deutschland und Paris sich die Kosten teilen. Für die Beschaffung eines Tornado-Nachfolgers würde Berlin bis 2030 nur etwa zehn Milliarden Euro aufwenden. Militärisch, politisch, industriell und technologisch bessere und schlechtere Lösungen liegen finanziell nahe beieinander.

 

Mit einer (Teil-)Beschaffung von US-Systemen würde Deutschland die transatlantische Partnerschaft festigen, die nukleare Risikoteilung und die nukleare Teilhabe erhalten und damit die Bündnissolidarität in der NATO stärken. Zugleich könnte Berlin aber 50 Milliarden Euro in ein zukunftsfähiges europäisches Großprojekt und die Innovationsfähigkeit der europäischen Industrie investieren und so die Abhängigkeit von den USA für die Zukunft verringern. 

Nachfolge-Optionen

Die Entscheidung über die Tornado-Nachfolge ist nicht nur für die

Sicherheit Europas und für Deutschlands Rolle in der NATO wichtig. Sie hat auch Folgen für die Zukunft der Rüstungsindustrie in Deutschland und Europa. Ob es eine europäische oder eine amerikanische Lösung gibt,

beeinflusst schließlich auch die transatlantischen und die deutsch-französischen Beziehungen.

Europäische Lösung: Eurofighter

Der Eurofighter bleibt noch mindestens drei Jahrzehnte lang das Rückgrat der Kampfflugzeugflotte der deutschen Luftwaffe, insbesondere der fliegenden Luftverteidigung. Die Weiterentwicklung seiner Kampfkraft im Rahmen der Long-Term Evolution (LTE) ist daher notwendig und richtig.

Offen ist, ob der Eurofighter rechtzeitig in eine SEAD-Rolle hineinwachsen könnte. Deutsche und französische Unternehmen sind der Ansicht, dass das möglich ist, wenn die Entscheidung dazu schnell getroffen wird. Dies würde die technologische Lücke schließen, die Deutschland durch fehlende Investitionen in der Vergangenheit hat entstehen lassen und die schon heute die Einsatzsicherheit deutscher Besatzungen erheblich

reduziert. Mit einer nationalen Entwicklung würde Deutschland auch seine Hoheit über die Software und die sensiblen Datenbanken erhalten. Eine andere Möglichkeit, die weniger Zeit erfordert und die Entwicklungsrisiken reduziert, wäre der Kauf der Ausrüstung für den Eurofighter bei den Partnern. Diese bedürfte jedoch der nationalen Zertifizierung. Auch eine Mischlösung – erst Kauf, dann eigene oder gemeinsame Entwicklung – könnte erwogen werden.

Für die NT-Rolle ist es dagegen sehr unwahrscheinlich, dass eine Version des Eurofighters zeitgerecht zur Verfügung stünde. Zwar scheint die Umrüstung technisch prinzipiell möglich, würde aber viel Zeit erfordern. Erst danach könnte die Zertifizierung für die Nuklearrolle beginnen, die weitere Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Deutschland müsste zudem von den anderen Eurofighter-Nationen die Genehmigung für diesen Schritt erhalten. Das dürfte nicht leicht sein: Erstens beschaffen die anderen europäischen Verbündeten für die NT-Rolle die F-35-Flugzeuge und nicht den Eurofighter. Zweitens käme diese Version des Eurofighters nicht für den Export in Frage, und drittens würden die USA bei der Zertifizierung Einblick in die dann modernste Version des

Eurofighters erhalten. Ohnehin müsste Deutschland die Entwicklung und Zertifizierung ebenso wie die Kosten allein übernehmen. 

Schließlich wäre das Flugzeug durch seine Bauart und technische Auslegung im Einsatz gegen eine leistungsfähige Luftverteidigung nur begrenzt durchsetzungs- und überlebensfähig. Der Eurofighter ist nicht tarnkappenfähig. Anders als der Tornado kann er diesen Mangel auch noch nicht einmal partiell durch Tiefflugeigenschaften bis hin zum automatischen Konturenflug ersetzen. Der Eurofighter müsste also für einen nuklearen Einsatz von zusätzlichen Kampfflugzeugen in der SEAD-Rolle begleitet werden, die bereits aus großer Entfernung die gegnerische Luftverteidigung ausschalten oder zumindest blenden könnten. Dies würde zu einem höheren Kräfteansatz im Einsatz führen, die Gefährdung auf zusätzliche Unterstützungsflugzeuge, z.B. zur elektronischen Kampfführung, ausweiten und die Kosten für das Bereithalten zusätzlicher Kampfflugzeuge im Frieden erhöhen.

US-Systeme 

F/A-18E/F Super Hornet und EA-18 Growler: Wie der Eurofighter ist auch die amerikanische F-18 ein Kampfflugzeug der 4. Generation. Sie wird heute von der US-Navy geflogen, die damit ihre Flugzeugträger ausstattet. Diese Aufgabe übernehmen schrittweise in den nächsten Jahren F-35-Jets. Deutschland könnte die F-18 als Jagdbomber einsetzen.

Berichten zufolge sichert der Hersteller Boeing zudem zu, die F-18E/F für Deutschland bis 2025 für den Nukleareinsatz technisch ausrüsten zu können. Doch auch diese Version bedarf dann der Zertifizierung. Die Radar- signatur des Flugzeugs ist im Vergleich zu älteren Versionen geringer, so dass gegnerische Sensoren die Flugzeuge schwerer aufklären können. Sie bietet aber weniger Schutz als die Tarnkappen-Fähigkeit. Die Durchsetzungs- und Überlebensfähigkeit ist daher zwar besser als die eines heutigen Eurofighter. Dennoch müsste eine F-18E/F in der Nuklear-Rolle im Verbund mit Unterstützungsflugzeugen eingesetzt werden, die für elektronische Kampfführung optimiert sind und feindliche Luftverteidigung bekämpfen oder zumindest unterdrücken können. Dies könnte ein geeigneter Eurofighter sein, oder die entsprechende Variante der F-18, die EA-18 Growler. Deshalb wäre auch für diese

Option eine größere Kampfflugzeugflotte mit entsprechend höheren Risiken und Kosten erforderlich. 

Ein Einsatz der F-35 im Verbund mit einem der anderen Flugzeuge würde den gesamten fliegenden Verband für die gegnerische Luftverteidigung sichtbar machen. Ein Grund ist die notwendige Kommunikation zwischen den Flugzeugen, die dann vom Gegner aufgespürt werden könnten. Aus militärischer Sicht würden sie daher bei einem Nuklear-Einsatz nicht gemeinsam eingesetzt werden, da sonst die wesentlich wirksameren F-35 verwundbar würden. Der deutsche Beitrag zur nuklearen Abschreckung könnte dadurch in Frage gestellt werden. Die Alternative wäre, Flugzeuge der Bundeswehr für einen solchen Einsatz durch die NATO nicht in Betracht zu ziehen. Dies würde der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen Deutschlands unter den Verbündeten schwer schaden. 

F-35A: Die ebenfalls amerikanische F-35A ist das derzeit modernste Kampfflugzeug der 5. Generation. Es ist ausdrücklich als Trägersystem für taktische Atomwaffen ausgelegt und wird in der US-Luftwaffe die F-15 und F-16 in dieser Rolle bis Mitte des Jahrzehntsablösen. Unter Experten ist unbestritten, dass die F-35A die beiden militärischen Kernfunktionen Durchsetzungs- und damit Eindringfähigkeit sowie Überlebensfähigkeit derzeit am glaubwürdigsten und besten erfüllt. Dies erhöht die Chancen für eine erfolgreiche Auftragserfüllung. Für die Piloten besteht ein geringeres Risiko. Wegen der geringeren Verlustrate sowie der nicht benötigten Unterstützungsflugzeuge ist planerisch ein geringerer Kräfteansatz möglich.

Neben der Tarnkappenfähigkeit verfügt die F-35 über eine hochmoderne Zielsteuerung zur Bekämpfung von Bodenzielen. Vielfältige interne und externe Sensoren liefern Informationen, die mit den Daten der anderen an der Mission beteiligten Kampfflugzeuge der 5. Generation abgeglichen und zu einem Lagebild zusammengefügt werden. Dies verleiht den Piloten eine deutliche Informationsüberlegenheit im Einsatzraum, ohne dass die beteiligten Flugzeuge elektronische Emissionen abstrahlten, die aufgeklärt werden könnten. Deswegen wird die gegnerische Luftverteidigung eindringende Kampfflugzeuge erst sehr spät oder gar nicht erfassen können. Auch die gegnerischen Flugabwehrraketen werden erst spät oder überhaupt nicht aufschalten können. Zudem verfügt die F-35 über wirksame Fähigkeiten zur elektronischen Abwehr sowie zum aktiven Niederhalten und Bekämpfen gegnerischer Luftverteidigung (SEAD). 

Wenn Deutschland die F-35A kaufte, würde die NT-Rolle zwar auf absehbare Zeit durch US-Flugzeuge wahrgenommen. Jedoch ist das Argument, eine US-Lösung für die Nuklearrolle würde eine (spätere) europäische Lösung für andere Rollen verhindern, nicht stichhaltig. Die Lösungen für die NT-Tornado-Nachfolge und auch das darauffolgende NT-Flugzeug sind weitgehend unabhängig von der Frage des FCAS. Es ist fraglich, ob der „New Generation Fighter“ (NGF) für US-Bomben zertifiziert würde. Paris und wahrscheinlich auch Berlin würden den USA kaum den dafür notwendigen detaillierten Einblick in ihr modernstes Waffensystem gewähren. Und selbst dann wäre ungewiss, ob die USA das NGF zertifizieren würden, und wie lange dies dauern würde.

Frankreich sollte ein erhebliches Interesse daran haben, dass Deutschland in der nuklearen Teilhabe der NATO verbleibt und dauerhaft einen effektiven Beitrag leistet. Frankreich hat zwar sein eigenes Nuklearpotential, profitiert aber trotzdem davon, dass Amerikas nuklearer Schirm durch dessen erweiterte Abschreckungswirkung die Sicherheit Europas garantiert. Im Gegenzug muss Paris allerdings in Kauf nehmen, dass Deutschland sich für die NT-Rolle gegebenenfalls für ein US-Flugzeug entscheidet, wenn es in der Allianz auf diese Weise einen glaubwürdigen Beitrag leisten kann.

Mögliche Kombinationen

Für die Tornado Nachfolge kämen damit aus heutiger Sicht die folgenden Kombinationen in Frage: 

  • Kombinierte Beschaffung von F/A-18E/F und EA-18G in dem Umfang wie für die NT-Rolle erforderlich und Ersatz der restlichen Tornados in der konventionellen Luft-Boden-Rolle durch Eurofighter. Für die NT-Rolle wäre die Ausstattung eines Geschwaders mit rund 50 Kampfflugzeugen vom Typ F-18E/F und EA-18G für den Begleitschutz erforderlich. Zusätzlich wären dann noch 35 bis 40 Eurofighter für ein zweites Geschwader zu beschaffen, das die verbleibenden Aufgaben des Tornados für den konventionelle Luftangriff und die taktische Luftaufklärung übernehmen müsste. Es wäre zu erwarten, dass diese Eurofighter dann ab 2040/50 durch FCAS/NGF ersetzt würden. Ein möglicher Ersatz der F-18-Varianten für NT müsste dann getrennt davon ebenfalls neu entschieden werden.
  • Beschaffung von F-35 für die NT-Rolle, wofür nur etwa 40 Flugzeuge notwendig wären, da es keine zusätzlichen Unterstützungsflugzeuge für den Begleitschutz geben müsste, und Ersatz der restlichen Tornado in der konventionellen Luft-Boden-Rolle durch Eurofighter; oder 
  • Ersatz der gesamten Tornado-Flotte entweder durch Eurofighter, F-18 oder F-35 in vollem Umfang. Bei einer Entscheidung für einen kompletten Ersatz durch Eurofighter wäre zu bedenken, dass die Lebensdauer der Tornados bis ins nächste Jahrzehnt verlängert werden müsste – verbunden mit enormen zusätzlichen Kosten.

Lösungsbausteine

Im Lichte der gesamten Analyse sollte die politische Entscheidung über die Nachfolge des Tornados Teil eines Pakets sein, das drei zentrale

Maßnahmen enthält: (1) Auswahl desjenigen Kampfflugzeugs, das die

politisch-militärischen Kriterien für die NT-Rolle und die ihr zugrundeliegende konventionelle Leistungsfähigkeit am besten erfüllt; (2) Implementierung des langfristigen Programms zur Kampfwertsteigerung des Eurofighters bis mindestens 2040 und Ersatz der restlichen Tornados; und (3) ungeschmälerte Investition in Forschung für und Entwicklung des FCAS/NGF.

Entstehender Anreiz für Rüstungskontrolle: Rüstungskontrolle ist die notwendige Ergänzung von Abschreckung. Beide dienen dem gleichen Ziel: Sicherheit und Stabilität in Europa. Gerade wenn sich Deutschland für eine glaubhafte Abschreckung einsetzt, kann dies neue Optionen für die Rüstungskontrolle eröffnen: Deutschland kann dann in der NATO glaubwürdiger den Doppelansatz einfordern, auf den sich alle Mitgliedsstaaten 2016 geeinigt haben. Die Verbündeten würden anerkennen, dass Deutschland sich solidarisch verhält und die Verantwortung der Nuklearen Teilhabe mitträgt. Das gibt Berlin die Legitimität, mit den Verbündeten über Optionen der Rüstungskontrolle zu sprechen. Zugleich dürfte eine glaubhafte Abschreckung auch in Moskau das Interesse an Rüstungskontrollmaßnahmen erhöhen. Bislang gibt es aus russischer Sicht keinen Grund für Verhandlungen. 

Eine Lösung, die die skizzierten Interessen und Sorgen aufnimmt, könnte auf folgenden Bausteinen basieren:

  1. Wenn Deutschland sich für eine US-Lösung oder -Kombination entscheidet, sollte diese industriell und technologisch von den europäischen Investitionen in die eigene technologische und industrielle Handlungsfähigkeit entkoppelt werden. Dies dürfte französischen Sorgen und deutschen Interessen gleichermaßen Rechnung tragen.
  2. Die Zahl der US-Systeme sollte auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Für die NT-Rolle werden nicht mehr als 40 bis 50 Maschinen benötigt. Zudem müssen die Flugzeuge nicht gekauft, sondern können geleast werden. Dabei sollten die Flugstunden inklusive der Wartung bezahlt werden; eine Mindestverfügbarkeitsrate sollte garantiert sein. Mit einer Leasing-Lösung mit Preisbindung oder -deckelung ließe sich zudem das Risiko einer Kostenexplosion vermeiden. 
  3. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die Beschaffung eines amerikanischen Trägerflugzeugs den Druck auf Frankreich erhöhen würde, das FCAS wirklich gemeinsam mit Deutschland zu entwickeln; umgekehrt würde Frankreich durch einen Ausschluss von US-Systemen seine Position gestärkt sehen, weil Deutschland allein auf die Kooperation mit Frankreich angewiesen wäre.
  4. Parallel zur Tornado-Nachfolge sollte der Aufwuchs europäischer Technologien und die Konsolidierung des Rüstungssektors über das FCAS vorangetrieben werden. Wenn die Bundesregierung und der Bundestag eine gesicherte Selbstverpflichtung für die FCAS-Entwicklung abgeben würden, wäre dies ein wichtiges Signal nicht nur in Richtung Paris.
  5. Der Eurofighter sollte als Innovationsmotor weiterentwickelt werden, sowohl für die FCAS-relevanten Technologien als auch für jene, die für SEAD benötigt werden. Sollte dies zeitlich nicht möglich sein, wäre eine (teilweise) Kauflösung von Technologien und Anti-Radar-Flugkörpern eine Option. Dann besteht aber das Risiko der technologischen Abkopplung.

Für den Fall, dass sich Deutschland bei der NT-Rolle gegen den Eurofighter entscheidet, stehen zwei amerikanische Optionen zur Wahl. In diesem Fall wäre es mit Blick auf den Zweck, den das Flugzeug erfüllen soll, schwer verständlich, wenn Deutschland nicht das modernste, beste und kosteneffizienteste Kampfflugzeug für die NT-Mission auswählen würde, zumal damit die Auftragserfüllung im Bündnis für die nächsten vier bis fünf Jahrzehnte sichergestellt werden könnte.

Die Entscheidung über die Nachfolge des Tornado-Flugzeugs bestimmt über den zukünftigen Beitrag Deutschlands zur Sicherheit Europas mit. Trotz der Zielkonflikte scheint ein Lösungspaket möglich, das den wichtigsten Interessen Deutschlands gerecht wird, nur wenige Konzessionen von allen Betroffenen verlangt und zugleich den europäischen Partnern die Gewissheit verschafft, dass Deutschland für die gemeinsame Sicherheit keine Kompromisse eingeht. 

Bibliografische Angaben

Mölling, Christian, and Heinrich Brauß. “Der Tornado-Komplex.” German Council on Foreign Relations. February 2020.

DGAP Policy Brief Nr. 2, 04. Februar 2020, 9 S.

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