Kommentar

03. März 2021

Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme

Präsident Joe Biden regiert ein gespaltenes Land, in dem der politische Kompromiss schon länger keine Tugend mehr ist. Während die Republikaner über die Zukunft ihrer Partei streiten, werden sich die Demokraten haushaltspolitischer Finessen bedienen, um Reformen anzustoßen und die oppositionelle Blockadepolitik im Kongress zu umgehen. Lediglich in der Außenpolitik herrscht überparteilicher Konsens, härter gegen China vorzugehen. Das stellt vor allem Deutschland vor große Herausforderungen.

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Wirtschaftliche Ungleichheit, sozio-kulturelle Konflikte und politische Polarisierung prägen seit längerem die innenpolitische Situation der USA. Daran wird auch ein Präsident Joe Biden wenig ändern können. Zu tief sind die geographischen, ökonomischen und ideologischen Gräben, die sich nicht nur durch Washington, sondern das gesamte Land ziehen. Laut einer aktuellen Studie von der Brookings Institution stimmten bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen nur 509 der etwas mehr als 3.000 Wahlbezirke für Biden. Diese repräsentieren jedoch gleichzeitig mehr als 70 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts – ein Spiegelbild für den extremen Stadt-Land-Gegensatz, die zunehmende Kluft zwischen wirtschaftlich prosperierenden und wirtschaftlich absteigenden Regionen, sowie den Gegensatz zwischen ethnisch homogenen, ländlichen und multi-ethnischen, urbanen Wahlbezirken.

Daraus resultierend obliegen auch die politischen Institutionen einer ähnlich starken politischen Polarisierung. Während im Senat regelmäßig 80-85 Prozent der Senatoren wiedergewählt werden, sind es im  Repräsentantenhaus sogar über 90 Prozent der Abgeordneten. Hinzu kommt, dass nur noch etwa 15-20 Prozent der Sitze im Kongress überhaupt noch parteipolitisch umkämpft sind – und nicht entweder eindeutig in republikanischer oder demokratischer Hand. Trotz einer verheerenden Pandemie, des massiven durch Covid-19 bedingten wirtschaftlichen Einbruchs und dem mehr als erratischem Führungsstil Donald Trumps gewann Biden die Präsidentschaftswahlen deutlich knapper als von vielen Experten erwartet — ein Indiz wie stark sich die beschriebene parteipolitische Polarisierung sowie auch der populistische Trumpismus in der amerikanischen Gesellschaft inzwischen verfestigt haben.

Dies liegt unter anderem auch am Wahlsystem. Die politisch motivierte Grenzziehung der Wahlkreise, besser bekannt als gerrymandering, oftmals kombiniert mit einem System von closed primaries, hat zur Folge, dass Wahlkämpfe nicht mehr in der gesellschaftlichen Mitte, sondern vielmehr an den politischen Rändern gefochten werden. Dies verhindert nicht nur politische Kompromisse, sondern unterstützt auch sogenanntes negative partisanshipgerade im Zusammenhang mit kognitiv-psychologischen Verzerrungen (biases) und sozialen Medien, die im Extremfall mit Verschwörungstheorien ihr Übriges zur gesellschaftlichen und politischen Polarisierung beitragen. Auch scheinen weite Teile der amerikanischen Gesellschaft inzwischen in alternativen Welten zu leben: Noch immer glauben drei von vier Republikanern, dass bei der letzten Präsidentschaftswahl großflächiger Wahlbetrug stattgefunden hat, während dies bei den Demokraten nur etwa vier Prozent behaupten.

Strukturelle Faktoren bedingen politische Polarisierung

Trumps Erfolg war jedoch genauso Symptom wie Ursache, denn das politische System Amerikas liefert schon länger nicht mehr genügend output legitimacy, wie dies im politikwissenschaftlichen Jargon heißt. Stillstand und Reformstau determinieren nicht nur Unzufriedenheit in der Bevölkerung, sondern unterminieren auch das gesellschaftliche Vertrauen in die Problemlösungskompetenz des politischen Systems im Allgemeinen. Verringerte Problemlösungsfähigkeit und politische Polarisierung (sowie auch wirtschaftliche Ungleichheit) bedingen sich dabei auf tragische Weise gegenseitig. Auf der einen Seite verwehrt politische Polarisierung die notwendigen Kompromisse zur Lösung der bestehenden Probleme, auf der anderen Seite führt gesellschaftliche Frustration zu ideologischer Radikalisierung. Die daraus resultierende politisch-institutionelle Blockade wird zusätzlich von einer vergleichsweisen hohen Anzahl von veto players (Repräsentantenhaus, Senat, Präsident, Verfassungsgericht) verstärkt. Man spricht hier vom sogenannten institutional gridlock, dem schon einige Reformvorschläge diverser Präsidenten zum Opfer gefallen sind.

Die Wahl von Biden wird an dieser Situation nichts Grundlegendes ändern. Zwar kontrollieren die Demokraten hauchdünne Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat, aber das Risiko einer Blockade bleibt weiter bestehen – nicht zuletzt aufgrund des sogenannten filibusters, welcher es Senatoren erlaubt, Abstimmungen über Gesetzesvorlagen durch Endlos-Debatten quasi zu verhindern. Es bedarf einer Supermehrheit von 60 (von 100) Stimmen, um derartige Senatsprozedere zu umgehen. Auch wenn Vizepräsidentin Kamala Harris als tiebraker die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der Demokraten verschiebt, sind diese mit ihren 50 Sitzen weit von einer Supermehrheit entfernt, um progressive Politiken durch den Kongress zu bringen.  Für Biden wird es deshalb schwierig, seine ambitionierte innenpolitische Agenda in Gesetze zu verwandeln, denn einer möglichen Abschaffung des filibusters mit einfacher Mehrheit stehen auch Demokraten kritisch entgegen.

Politische Kompromisse würden nur dann wahrscheinlicher werden, wenn sich die republikanischen Kongressmitglieder vom Trumpismus abwenden und zu einer gemäßigteren, mehr kompromissorientierten Position finden. Trotz Trumps Wahlniederlage und der Gewalteskalation am 6. Januar mit der Erstürmung des Kapitols deuten die innerparteilichen Grabenkämpfe, eine radikalisierte Wählerbasis und das Wahlverhalten der großen Mehrheit der republikanischen Abgeordneten im Kongress (z.B. beim impeachment-Verfahren und der Wahlzertifizierung) derzeit jedoch nicht darauf hin, dass Populismus und Trumpismus in naher Zukunft an Einfluss in der Grand Old Party verlieren werden.

Bidens finanzpolitischer Spielraum

Um dennoch Reformen, gerade im budgetpolitischen Bereich herbeizuführen, können sich Bidens Demokraten aber der sogenannten budget reconciliation bedienen – ein Prozess, der es erlaubt, finanzpolitische Maßnahmen mit nur jeweils einfachen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses zu verabschieden. Ebenfalls entscheidend ist auch, dass der Budget Control Act aus dem Jahre 2011 ausläuft. Dieser hatte in den vergangenen zehn Jahren nicht nur den Anstieg der Staatsausgaben allgemein begrenzt, sondern auch die nicht-militärischen Ermessensausgaben an den Anstieg der verteidigungspolitischen Allokationen gekoppelt. Ab dem Steuerjahr 2022 fallen diese Beschränkungen weg und geben der Biden Administration weitgehenden budgetpolitischen Spielraum.

Die Verabschiedung des 1,9 Billionen Dollar schweren Finanzpakets mit bestenfalls minimaler republikanischer Unterstützung im Repräsentantenhaus wird das Schmieden parteiübergreifender Kompromisse jedoch nicht wirklich erleichtern. Bidens groß angelegtes Investitionsprogramm mit Fokus auf Umwelttechnologie und Infrastruktur sowie andere wichtige Reformen, beispielsweise in der Einwanderungspolitik, werden es schwer haben, das Licht des Oval Office zu erblicken. Ähnlich wie zur Amtszeit von Barack Obama machen es wahltaktische Opportunitäten der Opposition wahrscheinlich, dass die Republikaner zu einer weitgehenden Blockade-Politik und ausgiebiger Nutzung des filibuster zurückkehren, um bei den Zwischenwahlen 2022 von gesellschaftlicher Frustration zu profitieren und politischen Boden gut zu machen. Traditionell muss die Partei des Präsidenten bei den so genannten Midterms Verluste hinnehmen, was die Demokraten wohl ermutigt, so viele Teile ihres Programmes so aggressiv und so schnell wie möglich durch den Kongress zu bringen – auch mit Hilfe finanzpolitischer Tricks wie dem budget reconciliation. Unter derartigen politischen Konstellationen ist es schwierig zu sehen, wie es zu einem bedeutenden Rückgang der Polarisierung und zu einer mehr kompromissorientierten, parteiübergreifenden Politik in Washington kommen soll.

Mehr Konsens in der Außenpolitik

Einzige Ausnahme dieser Paralyse ist wohl die amerikanische Außenpolitik, die schon immer mehr Angelegenheit der Exekutive war. Gerade sicherheitspolitisch – das zeigt die Wahl des Kabinetts – wird sich die neue Administration zu den bestehenden Militärbündnissen in Europa und Asien bekennen und diese gegebenenfalls noch intensivieren, auch um eine klare Frontstellung gegenüber China und Russland zu beziehen. Ganz allgemein gesprochen, ist von der Biden-Administration wohl eine weitaus werte-basiertere Außenpolitik zu erwarten, als das unter der Trump-Administration der Fall war. Auch wenn die Idee einer „Allianz der Demokratien” mit Skepsis zu betrachten ist, werden es illiberale Staaten schwieriger haben, in Washington Gehör zu finden. Inwieweit diese Politik strategisch Sinn macht, gerade im Hinblick auf den aufkommenden Systemkonflikt mit China, bleibt allerdings abzuwarten. Denn, ob handels-, finanz- oder sicherheitspolitisch, die Vereinigten Staaten sehen die Welt zunehmend durch das Prisma des amerikanisch-chinesischen Großmachtkonfliktes. Wenn es in Washington noch ein über politische Lager hinweg einigendes Thema gibt, dann ist es eine Politik, die China (und auch Russland) entschiedener und härter entgegentritt.

Etwaige Bestrebungen, wichtige Aspekte des internationalen Wirtschaftssystems in Zusammenarbeit mit Verbündeten zu reformieren, sollten die Europäer deshalb schnellstmöglich aufgreifen und unterstützen. Denn auch wenn weitere Freihandelsabkommen auf Grund fehlender öffentlicher Zustimmung kurz- bzw. mittelfristig eher unwahrscheinlich sind, ist es gerade im deutschen Interesse, ein auf Kooperation beruhendes multilaterales Wirtschaftssystem zu bewahren. Die Forderung nach einem level playing field für alle Beteiligten, insbesondere im Hinblick auf die Volksrepublik China, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Bidens Außen- und Handelspolitik muss innenpolitisch liefern und Deutschland wäre der größte Verlierer einer wirtschaftlichen Entkoppelung der zwei größten Volkswirtschaften der Welt.

Fazit: Die fortbestehende innenpolitische Polarisierung legt der Biden-Administration schwere Steine in den Weg, um innenpolitische Reformen erfolgreich umzusetzen. Zumindest finanzpolitisch haben die Demokraten jedoch die Möglichkeit, eine Blockade der Republikaner mit budget reconciliations zu umgehen. Innerhalb der Grand Old Party zeichnet sich eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Establishment um den republikanischen Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, und den populistischen Trump-Anhängern über die Zukunft der Partei ab. Der Ausgang dieses innerparteilichen Konfliktes hat bedeutende Konsequenzen für die politische Zukunft der USA. Die US-Außenpolitik hingegen wird, zumindest mittelfristig, davon vergleichsweise weniger stark betroffen sein und sich zunehmend auf China konzentrieren, was Europa und vor allem Deutschland vor große Herausforderungen stellt.

 

Bibliografische Angaben

Jaeger, Markus, and Julian Müller-Kaler. “Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme.” March 2021.

DGAP Kommentar, Nr. 6, 03. März 2021, 4 S.

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